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Robi, der die Kundgebung zum Intersex Awareness Day organisiert.

© privat

Demo zum Intersex Awareness Day: Für mehr Sichtbarkeit von inter Menschen

Vor dem Bundestag soll zum Intersex Awarness Day für die Rechte von Menschen außerhalb des binären Geschlechtersystems demonstriert werden.

Seit mehr als 15 Jahren findet jedes Jahr am 26. Oktober der Intersex Awareness Day statt, an dem geschlechtliche Vielfalt gefeiert, aber auch auf gesellschaftliche Missstände aufmerksam gemacht wird. Missstände, die inter* Personen bis heute ihr Recht auf körperliche Unversehrtheit und geschlechtliche Selbstbestimmung verwehren.

Auch in Berlin ist an diesem Tag ein Protest geplant. Robert Lüdtke, genannt Robi, ist 33 Jahre alt und in der Beratung einer LGBTIQ*-Organisation tätig. Dass Robi inter* ist, erfuhr Robi erst im vergangenen Jahr. „Seitdem hat sich viel getan und ich organisiere zum ersten Mal eine Demo von und für inter* Personen.“

In der queeren Community bleiben inter Personen mitunter außen vor

Gemeinsam mit Noah Rieser von Inter* Projekt TransInterQueer e.V. meldete Robi den Protest an und organisierte die Kundgebung mit der Gruppe Voices4Berlin und TransInterQueer e.V

Dani Coyle, die als Aktivistin, Künstlerin und freiberufliche Designerin tätig ist, wirkte ebenfalls an der Organisation mit. Ihrer Meinung nach ist es wichtig, Solidarität mit inter* Personen zu zeigen, denn oft blieben diese sogar in der queeren Community außen vor.

Viele Menschen tauchten auf Prides auf oder wenn die Rechte von homosexuellen oder trans Personen verletzt würden. „Aber nicht so viele Menschen werden mobilisiert, wenn es um uns geht. Wir werden oft vergessen.“

Die Vereinten Nationen gehen davon aus, dass rund 1,7 Prozent der Bevölkerung mit intergeschlechtlichen Merkmalen geboren sind. „Die meisten Menschen die inter* sind, wissen nicht, dass sie inter* sind und erfahren es auch nie“, sagt Robi. Viele würden außerdem von der Gesellschaft als männlich oder weiblich gelesen. 

„Das liegt daran, dass wir immer noch unsichtbar sind und versucht wird, unsere Körper auszuradieren - medizinisch und gesellschaftlich.“ Dani Coyle wünscht sich mehr Repräsentation von inter* Personen in der Öffentlichkeit, vor allem in medizinischen Berufen und in den Medien. Sie selbst habe acht Jahre lang gebraucht, um eine weitere inter* Person kennenzulernen und das sei absurd.

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Im Gegensatz zum vergangenen Jahr soll die Demonstration nicht vor dem Bundesamt für Gesundheit stattfinden, sondern vor dem Bundestag. „Dort sitzen die politischen Entscheidungsträger*innen, die die aktuellen Gesetzesentwürfe verhandeln“, erklärt Robi, „und die diskutieren in verschiedenen Arbeitskreisen das geplante Verbot von Zwangsoperationen an intergeschlechtlichen Kindern und Jugendlichen.“

Einen entsprechenden ersten Referentenentwurf legte das Bundesjustizministerium bereits Anfang des Jahres vor. Hintergrund ist, dass in Deutschland immer noch intergeschlechtliche Säuglinge und Kinder geschlechtsverändernden Eingriffen unterzogen werden.

Eine Studie zeigt, dass allein im Zeitraum zwischen 2005 und 2016 bei Personen unter zehn Jahren jährlich rund 1871 Operationen durchgeführt wurden. Solche Eingriffe sollen künftig verboten werden.

Der Gesetzenwurf zum OP-Verbot wird kritisiert

Die Bemühungen der Regierung, ein Verbotsgesetz auf den Weg zu bringen, begrüßt Robi. Das sei ein Erfolg und sollte am Montag gefeiert werden. Gleichzeitig weise der Gesetzesentwurf zahlreiche Lücken auf, die geschlossen werden müssten, bevor das Gesetz verabschiedet werden könne. Zum Beispiel sollte ein Entschädigungsfond für vergangene Menschenrechtsverletzungen an inter* Personen eingerichtet werden.

Außerdem beinhalte der Entwurf Ausnahmen, bei denen weiterhin operiert werden dürfe. „Das ist paradox, wenn eigentlich von einem Verbot die Rede ist“, kritisiert Robi. Auch das binär geprägte Verständnis von Geschlecht, das Personen in weiblich und männlich einteile, müsse kritisch beleuchtet werden: „Das Rechtsverständnis von Geschlecht ist veraltet, es ist bis heute eine Fremdzuweisung.“

Viele Ärzt*innen übten Druck auf Eltern

Darüber hinaus wird die Deutungshoheit der Medizin kritisiert. „Intergeschlechtliche Körper werden immer noch stigmatisiert und herabgewürdigt und nicht als lebenswertes körperliches Sein definiert“, sagt Robi. Bis heute würden die gesellschaftlichen Vorurteile gegenüber inter* Personen nicht hinreichend thematisiert und es mangle an Sanktionsmaßnahmen gegenüber Ärzt*innen, die trotz Verbot operierten.

Viele Ärzt*innen übten Druck auf Eltern aus und drängten diese zu einer Operation. Dahinter stehe die Vorstellung, dass der Körper dem binären System angepasst werden müsse und begründet werde das mit „fadenscheinigen“ Argumenten.: „Es wird gesagt, dass das Kind sonst später gehänselt wird oder nicht im Stehen pinkeln kann. Das löst bei vielen Elternteilen Angst aus. “

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Robi selbst ist froh inter* zu sein und das mittlerweile auch zu wissen. Das Wissen darüber habe vieles verändert: „Ich verstehe, warum ich bin wie ich bin und verstehe endlich die Diskriminierungserfahrungen, die ich von klein auf gemacht habe.“

Die Entscheidungen, die Robis Eltern damals trafen, kann Robi angesichts der Umstände heute nachvollziehen. „Sie haben das nicht hinterfragt und hätten sie gewusst, dass es unnötige medizinische Eingriffe waren, hätten sie natürlich ‚Nein‘ gesagt.“

Ähnlich wie Robis Eltern geht es auch anderen Elternteilen:  Aus diesem Grund sollten Fachkräfte oder Selbstvertretungen, die sich mit inter* auskennen, stärker in den Gesetzentwurf aufgenommen werden, schlägt Robi vor. Sie sollten zum Beispiel in Krankenhäuser, bei Hebammen, in Geburtshäusern und im humanmedizinischen Studium vertreten sein. „Denn geschlechtsverändernde Eingriffe sind eine Form der normalisierten Gewalt im medizinischen System und sollten gestoppt werden.“

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