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Das Queer-ABC* des Queerspiegels erklärte Begriffe rund um die Geschlechter - alle Beiträge finden Sie hier.

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Das Queer-Lexikon: Was ist Asexualität?

Asexuelle Menschen fühlen keine sexuelle Anziehung - und haben deswegen mit vielen Vorurteilen zu kämpfen. Aber Asexualität ist nicht gleich Asexualität.

Asexuelle Menschen verspüren kein oder kaum sexuelle Anziehung zu anderen Menschen und kein Verlangen nach sexueller Interaktion. Sie leiden nicht unter ihrer geminderten Libido. Einige Wissenschaftler*innen sehen Asexualität als Gegenteil von Sexualität an, durchgesetzt hat sich jedoch das Verständnis von Asexualität als vierte sexuelle Orientierung – neben Heterosexualität, Bi- bzw. Pansexualität und Homosexualität. Vor allem aber ist asexuell aber eine Selbstbezeichnung.

Asexuelle Menschen entsprechen nicht dem heteronormativen Gesellschaftsbild und sind Teil der queeren Community. Sie werden zusammen mit aromantischen und agender Personen durch das "A" in dem Akronym LGBTIQA* repräsentiert.

Zirka ein Prozent der Bevölkerung identifizieren sich als asexuell

Obwohl Asexualität keine Erfindung des 21. Jahrhunderts ist, rückte sie als vierte sexuelle Orientierung erst in den letzten 20 Jahren und das auch nur sehr langsam ins öffentliche Bewusstsein. 2001 gründete der US-Amerikaner David Jay das Onlineforum „Asexual Visibility and Education Network“, kurz AVEN. Auf der Plattform konnten sich asexuelle Menschen erstmals austauschen und auf ihre sexuelle Orientierung aufmerksam machen.

Mittlerweile ist das Forum nach eigenen Angaben „die weltweit größte asexuelle Gemeinschaft“. Vier Jahre später gründete sich auch in Deutschland ein AVEN-Forum, heute ein riesiges Archiv von Erfahrungsberichten und Antworten zu Fragen rund um Asexualität.

Die erste Studie zur Asexualität gab es 2004, als der kanadische Sexualwissenschaftler Anthony Bogaert eine Querschnittbefragung zur sexuellen Orientierung der britischen Bevölkerung aus dem Jahr 1994 neu auswertete. Das Ergebnis: etwa ein Prozent der Bevölkerung ist asexuell.

Der Studie zufolge liegt der Anteil an asexuellen Frauen etwas höher als der an asexuellen Männern. Eine Umfrage innerhalb der asexuellen Community 2019 ergab, dass sich etwa 50 Prozent der Mitglieder als nicht-binär identifizieren.

Unter denjenigen, die in Bogaerts Studie „ich habe mich nie sexuell zu jemandem hingezogen gefühlt“ antworteten, lebten 30 Prozent der Männer und 25 Prozent der Frauen in einer Beziehung, einige hatten Kinder. „Dies zeigt, wie Sex und Romantik entkoppelt werden können", sagte Bogaert 2015 im Interview mit der „Academic Minute“. „Man kann erkennen, dass es nicht stimmt, wenn wir Romantik und Sex automatisch miteinander verbinden, als ob sie von Natur aus zusammengehören würden.“

Asexualität als Spektrum mit verschiedenen Ausprägungen

Von dieser Erkenntnis ausgehend wird vermehrt zwischen Asexualität und Aromantik unterschieden, auch wenn diese Konzepte oft zusammen genannt werden. Während sich Asexualität auf die sexuelle Anziehung bezieht, beschreibt Aromantik das nicht vorhandene Bedürfnis nach einer romantischen Beziehung.

Es gibt asexuelle Menschen, die sich emotional zu einer anderen Person hingezogen fühlen und sich romantische Beziehungen wünschen. Manche von ihnen sind mit ihren Partner*innen sexuell aktiv, dem*der Partner*in zuliebe beispielsweise oder um einen Kinderwunsch zu realisieren. Asexualität ist somit mit den anderen Orientierungen kombinierbar: Ein asexuelle Frau, die sich von Frauen romantisch angezogen fühlt, ist asexuell homoromantisch.

Andere asexuelle Personen empfinden diese romantische Anziehung nicht, sie verlieben sich nicht und haben kein Verlangen nach einer Liebesbeziehung. Diese Personen sind asexuell und aromantisch. Das bedeutet aber nicht, dass diese Menschen keine engen Freundschaften oder andere partner*innenschaftlichen Beziehungen pflegen können.

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Wieder andere Personen empfinden sexuelle oder romantische Anziehung nur unter bestimmten Bedingungen, nur selten oder hin und wieder. Demisexuelle Personen beispielsweise fühlen sich nur zu Personen sexuell hingezogen, wenn sie zu diesen bereits eine enge emotionale Beziehung haben. Manche dieser Personen bezeichnen sich auch als gray (grau) asexuell, sie verorten sich also zwischen den Polen Asexualität und Allosexualität. Als allosexuell werden Menschen bezeichnet, die grundsätzlich sexuelle Anziehung gegenüber anderen Menschen verspüren.

Die verschiedenen Ausprägungen zeigen, dass sich Asexualität und Aromantik auf einem Spektrum bewegen, abhängig von der Stärke der sexuellen bzw. romantischen Anziehung. Um die Unterschiede und Vielseitigkeit innerhalb des asexuellen Spektrums deutlich zu machen, wird auch die Schreibweise A_sexualität und A_romantik mit Unterstrich verwendet.

Asexuelle Menschen von Heteros als „weniger menschlich“ stigmatisiert

Als vierte sexuelle Orientierung ist Asexualtät also weder eine bewusste Entscheidung zur Enthaltsamkeit, bei der etwaiges Verlagen unterdrückt wird, noch eine Luststörung, die einer Behandlung bedarf. Beides sind Vorurteile mit denen asexuelle Menschen zu kämpfen haben. Eine Untersuchung der amerikanischen Psycholog*innen Cara McInnis und Gordon Hodson ergab, dass Heterosexuelle asexuellen Menschen mit einer größeren Abneigung begegnen als homo- oder bisexuellen Menschen und sie als „weniger menschlich“ charakterisieren.

Asexuellen Menschen wird oft mit Unverständnis begegnet, sie werden gefragt, ob sie denn überhaupt schon einmal guten Sex gehabt hätten, oder ihnen wird gar unterstellt, dass sie durch schlechte Erfahrungen oder sexualisierter Gewalt keine "normale" Sexualität mehr aufbauen können. Auch Klassiker wie „Das ist nur eine Phase“ und „Warte, bis der oder die Richtige kommt“ bekommen asexuelle Menschen immer wieder zu hören.

Diskriminierende Aussagen wie diese machen deutlich, dass der sexuell aktive Mensch als gesellschaftliche Norm gilt – und Abweichungen von diesem Bild als vermeintlich "unnatürlich" oder "defekt". Sexualwissenschaftler Anthony Bogaert sagte einmal: „Durch eine asexuelle Linse sehen wir, wie tief Sex in unserer Weltanschauung und Kultur verankert ist. Von der Allgegenwart von Nacktheit in der Kunst über die Verwendung von Sex für den Verkauf von Autowachs bis hin zum neuesten politischen Sexskandal.“

Das gesamte Queer-Lexikon finden Sie hier. Wir ergänzen es in lockerer Folge. Das Queer-ABC erscheint auf dem Queerspiegel, dem Blog des Tagesspiegel über LGBTI-Themen. Den Queerspiegel finden Sie hier. Themenanregungen und Kritik gern im Kommentarbereich etwas weiter unten auf dieser Seite oder per Email an: queer@tagesspiegel.de.

Jasmin Ehbauer

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