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Julius Thesings Kommentar zu der oft an Schwulen-Paare gerichteten Frage: "Wer von euch beiden ist denn die Frau?"

© Bohem Verlag

Das Jugendbuch „You don’t look gay“: Alles war anders und blieb doch gleich

In dem illustrierten Band „You don’t look gay“ zeigt Julius Thesing, was es für ihn heißt, in Deutschland schwul zu sein. Er hat immer wieder Homofeindlichkeit erlebt.

Ein paar Zivis erzählen von ihrem Wochenende. Einer war mit seinem Bruder in einem Club. Dort habe ein Mann den Bruder an der Hüfte berührt, was dieser sich nicht gefallen ließ.

„Und dann hat er ihm so richtig in die Fresse geschlagen“, berichtet der junge Mann. „Wir haben die Schwuchtel zusammen aus dem Club geboxt. Was meint der auch? Sehen wir schwul aus oder was.“ Die Kollegen lachen, finden die Aktion richtig. Nur ein Zivi verlässt leise den Raum – er ist selber schwul. Doch das weiß hier niemand.

Das erste Bauchkribbeln

Dass der 1990 in Dülmen geborene Julius Thesing lange gezögert hat, sich zu outen, lag sicher auch an Erlebnissen wie diesem. Und an Sprüchen wie dem eines Freundes, der beim Sommerbier sagte: „Ich weiß nicht, ob ich mit jemand noch befreundet sein könnte, der vor meinen Augen einen anderen Mann küsst.“

Irgendwann hat Thesing es dann doch geschafft, offen über seine sexuelle Orientierung zu sprechen – und nun sogar ein Buch darüber zu veröffentlichen. „You don’t look gay“ ist seine Abschlussarbeit an der Münster School of Design, in der er in einer Mischung aus Illustrationen, Statistiken und persönlichen Geschichten davon erzählt, was es für ihn heißt, ein junger Schwuler in Deutschland zu sein.

Im Kapitel über seinen ersten Liebeskummer (mit einem Mädchen) und dem ersten Bauchkribbeln (mit einem Jungen) sieht man die Zeichnung eines blonden Jugendlichen, der mit verschränkten Armen auf dem Boden liegt, umgeben von Platten, einer „Bravo“, einem Notizheft und Stiften.

Der Illustrator und Designer Julius Thesing.
Der Illustrator und Designer Julius Thesing.

© Parcours

Er wirkt traurig. Aber er hat Glück: Seine Eltern reagieren ruhig auf die Nachricht, dass ihr Sohn schwul ist. „Danach war alles anders, obwohl alles gleich blieb“, schreibt Thesing und betont, wie wichtig es ist, in der Familie das Gefühl zu haben, man selbst zu sein.

[Julius Thesing: "You don’t look gay. Eine Auseinandersetzung mit homophober Diskriminierung". Bohem Verlag, Münster. 96 S., 14,95 €. Ab 13 Jahren.]

Das ist auch heute noch keine Selbstverständlichkeit, was Thesing unter anderem mit einem Interview-Zitat von Jair Bolsonaro verdeutlicht, der einige Jahre vor seiner Wahl zum brasilianischen Präsidenten sagte, dass er einen schwulen Sohn nicht lieben könnte. Er würde es sogar vorziehen, dass er „bei einem Unfall ums Leben kommt, als dass er hier mit einem Typen mit Schnurrbart auftaucht“.

Diese und andere homofeindlichen Sätze sind in großen, roten Lettern gedruckt, die oft ein oder zwei Seiten des Bandes einnehmen. Auch im schwarz gedruckten Erzähltext ploppen immer wieder größer gesetzte rote Sätze auf – etwa der erwähnte Spruch des Freundes in der geselligen Runde.

Das wirkt so, als drehe Thesing diese Stellen lauter, als wolle er, dass sie auf keinen Fall überhört werden. Was ja sonst oft genug passiert. Diskriminierende, oft auch verletzendes Sätze, die einfach mal so dahin gesagt werden und bestenfalls mit einem „damit bist ja nicht du gemeint“ relativiert werden, wenn jemand darauf hinweist.

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Dabei sind es keineswegs nur Heterosexuelle, die solches Zeug raushauen. Auch Schwule sind nicht frei davon, andere Minderheiten zu beleidigen, etwa wenn sie in ihren Datingprofilen rassistische Ausschlusskriterien formulieren. Dass sie sogar selbst schwulenfeindlich sein können, hat Julius Thesing erlebt.

Darauf verweist der Titel seines auf blassrosa Papier gedruckten Buches. Denn der Autor bekam von anderen Homosexuellen immer wieder zu hören, gar nicht schwul auszusehen – oft mit der nachgeschobenen Bemerkung, dies sei als Kompliment gemeint. Ein geradezu klassisches Beispiel für verinnerlichte Homofeindlichkeit: Wer in einer Umgebung aufwächst, in der queere Menschen als minderwertig betrachtet werden, kann sich trotz der eigenen Gruppenzugehörigkeit schwer frei machen von einer solchen Einstellung.

Julius Thesing, der als Designer und Illustrator in Münster lebt, zeigt wie schlimm es für ihn ist, zu hören, er sehe nicht schwul aus. Er fühlt sich ausgeschlossen, verunsichert wie er seine Identität zum Ausdruck bringen kann. So ist „You don’t look gay“ nicht zuletzt ein Wink an die queere Community, die eigene Vielfalt zu würdigen. Thesings Zeichnungen von bärtigen, dicken, dünnen, alten und jungen Schwulen geben davon einen lebendigen Eindruck.

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