zum Hauptinhalt
Teilnehmer*innen der Pride Parade im polnischen Stettin.

© Inga Hofman

CSD in Polen: Pride Parade in Stettin verläuft friedlich

Rund 6000 Menschen demonstrierten im polnischen Stettin für die Rechte queerer Menschen. Auch eine Gruppe aus Berlin war dabei.

Schon am frühen Samstagmorgen sammelt sich am Bahnhof Berlin-Gesundbrunnen eine große Menschentraube. Einige tragen Regenbogenfarben, andere haben Glitzer im Gesicht und selbstbemalten Schildern in der Hand. Alle warten auf den Regionalzug nach Angermünde, um von da aus weiter nach Stettin (polnisch Szczecin) zur Pride Parade zu fahren. Denn die polnische LGBTIQ* Community hat um Verstärkung aus Berlin gebeten, nachdem es in der Vergangenheit mehrfach zu Ausschreitungen durch rechte Gruppierungen gekommen war.

Nur 150 Kilometer von Berlin entfernt erfordert eine solche Veranstaltung viel Mut: Seit Anfang des Jahres gehen die katholische Kirche in Polen und die rechtspopulistische Regierungspartei PiS („Recht und Gerechtigkeit“) gegen die Rechte der LGBTIQ* Community vor.

Waren es 2015 noch Migrant*innen, die im Wahlkampf angegriffen wurden, sind es heute queere Menschen. Im Oktober sind in Polen Parlamentswahlen. Das regierungsnahe Magazin „Gazeta Polska“  im Juli Sticker bei mit der Aufschrift „LGBT-freie Zone“. Darüber hinaus erklärten sich vier Woiwodschaften, die von der PiS geführt werden, als „frei von LGBT- Ideologien“ und versprachen, das „traditionelle Familienbild“ zu schützen.

Das hat Folgen: In den letzten Monaten haben Hass und Gewalt gegenüber LGBTIQ* Menschen in Polen zugenommen, sodass es bei der Street Parade in Bialystok Ende Juni zu schweren Ausschreitungen gekommen war: Gegenprotestler hatten Regenbogenflaggen verbrannt und Steine und Flaschen auf die Aktivisten geworfen. Zeit für die Berliner Community, Solidarität zu zeigen!

Mit dabei sind auch Rainer und Rainer, ein 57-jähriges Paar aus Berlin. Beide waren schon vor drei Jahren beim Pride in Warschau dabei und wurden damals aufgrund ihrer bunten Perücken schief angeguckt. Sie hoffen, dass es heute etwas ausgelassener auf der Parade zugeht.

Rund 2000 Polizisten waren im Einsatz.
Rund 2000 Polizisten waren im Einsatz.

© Inga Hofmann

Die gemeinsame Fahrt hat die Gruppe „Voices4Berlin“ geplant. Unter ihnen auch Mitorganisator Fabian Lischkowitz, der erklärt, dass es vor allem darum gehe, die Hemmschwelle für alle Mitfahrenden zu senken. Nicht nur wegen der Preisvergünstigung beim Ticketkauf sollten sich alle Mitfahrenden in Fünfergruppen zusammentun, sondern vor allem aus Sicherheitsgründen. Auch wenn die Polizei auf dem Marsch präsent sein werde, müssten nach der Veranstaltung alle zurück zum Bahnhof- und das ohne polizeilichen Schutz.

In Stettin hatten vor wenigen Tagen Dariusz Matecki, Mitglied der PiS, und Bischof Kancelarczycz eine sogenannte „Säuberungsaktion“ angekündigt. Der Platz Solidarność, wo letztes Jahr die erste Pride Parade stattgefunden hatte, sollte symbolisch mit Besen und Desinfektionsmitteln „gesäubert“ werden. Für diesen Vorschlag bekam die beiden allerding öffentlichen Gegenwind und sind zurückgerudert. Doch die Sorge vor rechten Ausschreitungen bleibt bestehen- zumindest bis die Berliner Gruppe auf dem Gelände angekommen ist.

[Mehr Neuigkeiten aus der queeren Welt gibt es im monatlichen Queerspiegel-Newsletter des Tagesspiegel - hier geht es zur Anmeldung.]

Dort herrscht ausgelassene Stimmung: Zwischen Essensständen und einer großen Hüpfburg werden noch die letzten Banner bemalt, während Drag Queens ausgelassen zu Lady Gaga-Songs tanzen. Die Organisator*innen haben einen „Safe Space“ geschaffen- einen Raum, an dem sich „alle sicher fühlen und alle gleich sind“, meint Drag Queen Lola Vuitton.

Auf der Bühne heißt Aktivistin Monika Pacyfka Tichy alle Teilnehmenden Willkommen und ruft dazu auf, sich nicht von rechten Parolen provozieren zu lassen, sondern friedlich zu protestieren. Tichy organisierte bereits 2018 den allerersten Pride in Stettin und gründete zusammen mit anderen Menschen „Lambda Szczecin“, eine lokale Nichtregierungsorganisation, die sich für die Rechte von LGBTIQ* einsetzt.

Es ist schwierig Pride Paraden in Polen zu organisieren

Sie berichtet, dass Homophobie in Polen immer noch stark sei: „Pride Organisatoren und Teilnehmer werden gehasst, sie bekommen Morddrohungen, werden gefeuert von der Arbeit und von ihren Eltern verstoßen.“ Rechte Aktivisten sowie Mitglieder der Regierungspartei würden Pride Paraden zusätzlich erschweren, indem sie die Routen blockierten oder bis zu 500 Gegenveranstaltungen anmeldeten. Eine 16-jährige Aktivistin berichtet, dass sie letztes Jahr von Rechten angegriffen und mit Eiern beworfen worden sei, nachdem dass sie sich alleine auf den Heimweg gemacht hatte.

Demonstrierende mit einer Transfahne.
Demonstrierende mit einer Transfahne.

© Inga Hofmann

Kurz nach eins setzt sich der Demonstrationszug mit rund 6000 Menschen schließlich in Bewegung und läuft Richtung Grunwald-Platz. Aus Lautsprechern ertönt Musik und immer wieder schließen sich Passanten der Menge an. Eine ältere Frau winkt begeistert aus dem Fenster, ein Mann zieht skeptisch die Gardinen zu.

Besonders auffällig ist die Polizeipräsenz: Etwa 2000 Polizisten, deren Gesichter zum Teil vermummt sind, marschieren auf beiden Seiten nebenher und schirmen die Demonstrierenden ab. Zwischendurch wird ein Mann aus der Menge gezogen und im Polizeiwagen mitgenommen, weil er eine Regenbogenflagge hält, auf welcher der polnische Adler abgebildet ist.

„Wir wollen einfach nur wir selbst sein.“

Ansonsten bleibt die Parade friedlich. Nur vereinzelt dringen Rufe der Gegendemonstrant*innen durch. Auf dem Platz Solidarność kehren einige Menschen mit Besen den Boden. Am Ende des Umzugs versammeln sich alle noch einmal im Park und hören Moniky Tichy zu. Sie prangert die PiS und die Bischöfe der katholischen Kirche an: „Das Blut all jener Opfer von queer-feindlicher Gewalt klebt an euren Händen.“ Daraufhin erhebt sie ihre Stimme und ruft: „Wir wollen einfach nur wir selbst sein. Das ist alles!“ Lautes Klatschen setzt ein, Menschen umarmen sich und einige schwenken die Regenbogenfahne. Ein starkes Statement in einer unsicheren Zeit - das macht Hoffnung.

Inga Hofmann

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false