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Stephanie Kuhnen, Jahrgang 1969, lebt seit 1997 in Berlin. Von 2001 bis 2008 führte sie die Buchhandlung „Lustwandel“ in Prenzlauer Berg. Von 2012 bis 2014 war sie Chefredakteurin des Lesbenmagazins „L-Mag“. Kuhnen hat 1997 den Band „Butch/Femme. Eine erotische Kultur“ herausgegeben und im vergangenen Jahr „Lesben raus! – Für mehr lesbische Sichtbarkeit“ (beide Querverlag). Foto: Kitty Kleist-Heinrich

© Kitty Kleist-Heinrich

Christopher Street Day in Berlin: Dyke*March: „Zum politischen Kampf gehört auch Spaß“

Vor dem Berliner Dyke*March: Ein Gespräch mit der Autorin und Aktivistin Stephanie Kuhnen über demonstrierende Lesben, rechte Homos und die Ehe für alle.

Frau Kuhnen, am heutigen Freitag findet – einen Tag vor der Berliner CSD-Parade – der sechste Dyke*March statt. Auch in anderen Städten wie Hamburg, Heidelberg, Köln, Erfurt und Oldenburg gehen immer mehr Lesben auf die Straße. Warum reicht ihnen allen der CSD nicht mehr?

Hat er jemals gereicht? Es sind immer weniger Frauen zu den CSDs gegangen, weil es keine richtige Zielgruppenansprache gab. Lesben haben sich nicht wertgeschätzt gefühlt, weder von den Organisatoren noch von den anderen Teilnehmenden. Auch von den Medien nicht, denn gezeigt werden immer nur die Schwulen in knappen Klamotten und die Dragqueens. Lesben dringen da mit ihren Forderungen nach sozialer Gerechtigkeit nicht durch. Warum sollte ich dahin gehen, wo ich mich nicht willkommen fühle?

Das L steht vorn in LGBTI, fällt aber oft hinten runter.
Ja, ich nenne es immer Schrödingers L. Die Frage, ob da auch wirklich Lesben drin sind oder ob es nur draufsteht. Viele Verbände, Vereine, Stiftungen und andere Organisationen meinen das L gerne mit, aber es gibt keine sichtbare Selbstvertretung darin. Ich möchte mal erleben, was passiert, wenn sich Schwule nur von Lesben vertreten lassen müssten. Das Geschrei wäre groß. Und das auch zu Recht.

Es geht also letztlich um lesbische Sichtbarkeit. Was ja auch das Thema Ihres im vergangenen Jahr erschienenen Sammelbandes „Lesben raus!“ ist. Sie sprechen darin vom Verschwinden der lesbischen Identität. Wie kann das geschehen? Schließlich gibt es immer noch lesbische Personen.
Sie verschwinden nicht im wortwörtlichen Sinne. Sichtbarkeit heißt ja zunächst mal: gesehen werden. Womit wir wieder bei der medialen Darstellung wären, in der Lesben ganz klar benachteiligt sind. Das hat mit einer sozialen Ordnung zu tun, die auch innerhalb der LGBTI-Gemeinschaft hergestellt oder gespiegelt wird. Die Frage ist immer: Wer wird gesehen, wer ist es wert, gehört zu werden? Seit den Neunzigern waren das vor allem Lesben, die zusammen mit Schwulen für die Eheöffnung eingetreten sind. Unsichtbarer wurden damit die sehr vielen politischen Lesben, die das System verändern wollten und nicht nur gleiche Rechte.

Die derzeit sichtbarste Lesbe Deutschlands ist Alice Weidel von der AfD. Schmerzt Sie das? Weidel steht nicht gerade für queere Emanzipationspolitik.
Mich schmerzt der CDU-Gesundheitsminister Jens Spahn mehr. Weidel ist Oppositionspolitikerin. Ihre Sichtbarkeit funktioniert auch darüber, dass sie eine Ausnahme und nicht die Regel ist. Aber die Community hat auch Fehler gemacht und den Rechtspopulismus unterschätzt. Es wurde etwa nie ein kritischer Blick auf Postulate wie den Vielfaltsbegriff geworfen. Alles war gut, was homo war. Wir sind bunt, hieß es im fluffigen Marketingsprech. Rechte Lesben, Schwule und Transpersonen waren eben exotisch. Ich glaube, den Rechten ist in unseren Reihen nicht früh genug widersprochen worden. Inzwischen sind die Homosexuellen und Trans in der AfD schon sehr gut vernetzt. Was auch zeigt, dass die Klammer LGBTI als Utopie nicht mehr richtig funktioniert.

Wieso das?
Weil sie Rassismus und Klassismus ausblendet. Von konservativ bis linksradikal sind viele Meinungen möglich. Rassismus ist aber keine Meinung. Was im Kopf von Alice Weidel vorgeht, ist letztlich egal, wir müssen fragen, wen sie begeistert, welche Themen besetzt sie, wem nützt sie? Für die AfD ist sie ein großes Glück. Und das trägt weiter zu dem Mythos bei: Früher war alles schlecht, heute ist alles fortschrittlich. Uns geht es jetzt so gut, dass sogar die Rückschrittlichen offen homosexuell oder transgender sein können.

Geht’s wirklich so gut?
Nein! In Berlin wurden im vergangenen Jahr erneut mehr homo- und transfeindliche Übergriffe erfasst als im Vorjahr. Es wird immer feindseliger in diesem Land. Da sind viele Dämme gebrochen. Zum gegenwärtigen Rechtsruck gehören wir im Übrigen alle, wir sind ein Teil dieser Gesellschaft. Da müssen sich auch die weißen Homosexuellen fragen, wo sie in ihrer Sehnsucht, in die Mitte zu rücken, mit nach rechts gerückt sind, und wie sie zu diesem bisher unvorstellbaren Rassismus, zur Entsolidarisierung beitragen.

„L-MAG“-Chefredakteurin Manuela Kay vertritt die These, die Ehe für alle sei am Rechtsruck schuld. Man schaue nur noch auf sein privates Glück und nicht mehr auf das Kollektiv. Wie sehen Sie das? War die Ehe für alle ein Eigentor?
Ja. Gleiche Rechte sind selbstverständlich wichtig, aber dann bitte für alle! Auch die WGs, die besten Freundinnen. Das hat schon die lesbische Grünen-Abgeordnete Jutta Oesterle-Schwerin in den Achtzigern im Bundestag gefordert. So modern wurde das nie wieder. Die wirklich queeren Forderungen kamen aus den Lesbenbewegungen.

Viele Homos wollten trotzdem erst mal die rechtliche Gleichstellung erreichen.
Sicher. Ich verstehe den Wunsch nach Glück und Anerkennung. Wir alle wollen von unseren Herkunftsfamilien anerkannt werden. Ein Leben führen, für das andere Empathie entwickeln. Was wiederum die beste Gewaltprävention ist. Beispielsweise ist in den Ländern die exorbitante Suizidrate queerer Jugendlicher nachweislich gesunken, in denen die Ehe für alle eingeführt wurde. Daher habe ich mich zähneknirschend in den letzten Jahren auch für die Ehegleichstellung mit eingesetzt. Jetzt können wir dafür kämpfen, die Bevorzugung einer einzigen Beziehungsform insgesamt abzuschaffen.

Veränderungen können auch von staatlicher Seite angeschoben werden. So hat sich die Regierungskoalition in Berlin das Ziel gesetzt, lesbische Sichtbarkeit zu erhöhen. Wie beurteilen Sie die Umsetzung bisher?
Es ist sehr viel in Bewegung. Das Thema ist gesetzt. Der Justizsenator hat gerade einen Preis für lesbische Sichtbarkeit vergeben und eine Rede dazu gehalten. Dass es diesen Preis gibt, finde ich sensationell, denn er hat viel Empathie und Solidarität geschaffen, aber auch Konfliktlinien und Leerstellen gezeigt. Die Debatte über Sichtbarkeit wird dennoch erst mal von den bereits Sichtbarsten geführt. Da gibt es noch viel zu tun.

In den Neunzigern gab es eine höhere lesbische Sichtbarkeit durch eine Infrastruktur von Cafés, Frauen-, Lesbenzentren und Buchläden. Davon ist kaum etwas geblieben. Berlin hat nicht mal mehr eine Lesben-Bar. Wie erklären Sie sich das?
Die alte Buchbranche ist generell zusammengebrochen, das hat auch die schwulen Buchläden getroffen. Die Städte haben sich durch massive Gentrifizierung verändert. Die meisten Frauen-/Lesbenzentren, die ohnehin immer alle prekär waren, wurden aus den Haushalten gekürzt. Es wurde kein Nachwuchs aufgebaut. Das haben die Schwulen eindeutig besser im Griff. Eine ganze Generation ist einfach auch in die Berufstätigkeit gegangen und hatte keine Zeit mehr für ehrenamtliche Tätigkeit. Denn ein Ehrenamt muss man sich auch leisten können.

Eine Kneipe könnte man hauptberuflich betreiben.
Das stimmt. Mit lesbischen Kneipen ist nur noch nie eine reich geworden.

Mit Schwulen-Bars schon.
Schwule haben eine andere Kultur des Geldausgebens. Bei ihnen wird Attraktivität und Macht auch durch Geld hergestellt. Reichsein ist bei Lesben schlichtweg nicht attraktiv. In den Neunzigern war „Konsumlesbe“ das schlimmste Schimpfwort. Viele sind dann zum Feiern zu den Schwulen gegangen, weil es dort lustiger zuging. Ein Teil der politischen Lesbenbewegung war ja irgendwann auch päpstlicher als der Papst. Da wurde dann auf dem Plenum besprochen, ob die DJ die richtigen Lieder gespielt hat. Viele der aktuellen Debatten über Konsumverzicht und politisch korrekte Musik haben wir damals schon geführt. Die queeren Hipster müssen das jetzt noch mal durchspielen und sich gegenseitig alles verbieten. Verbotslust führt nur in den Stillstand. Für mich gehören zum politischen Kampf auch Spaß und Katharsis.

Apropos Kampf und Spaß: Gehen Sie nach dem Dyke*March auch auf den CSD?
Ich muss zu einer Diskussion zur Pride Week in Hamburg, aber sonst wäre ich wie in den letzten 25 Jahren dabei. Schließlich ist der CSD unser Weihnachten. Man mag nie die ganze Familie, es ist stressig und dennoch gibt es ein Zugehörigkeitsgefühl, viel Glitzer und Wärme. Das bleibt das ganze Jahr. Und wir zeigen der Öffentlichkeit, dass wir sehr, sehr viele sind.

Der Berliner Dyke*March startet am 27.7. um 19 Uhr am Platz der Luftbrücke.

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