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Großes Herz fürs Andere. Auf der Oranienstraße in SO36 wird heute der alternative Christopher Street Day gefeiert.

© Prokura Nepp/promo

Christopher Street Day in Berlin: Der alternative X*CSD zieht durch Kreuzberg

Sonnabend wäre der Tag der Christopher-Street-Day-Parade. Doch Fußball geht vor. Dem alternativen X*CSD in Kreuzberg ist das egal – er zieht pünktlich los.

Am dritten Sonnabend im Juni gibt es weltweit Umzüge zum Christopher Street Day. Dabei soll an die Ausschreitungen in der gleichnamigen Straße in New York erinnert werden, als sich im Jahr 1969 Homo-, Bi- und Transsexuelle gegen diskriminierende Kontrollen der Polizei auflehnten. Doch in Berlin ist es dieses Jahr etwas anders: Wegen der Fußball-EM zieht die CSD-Parade erst am 23. Juli durch die Stadt. Damit „sich niemand zwischen Fanmeile und dem LGBTI-Pflichtprogramm entscheiden“ muss, schreibt der Veranstalter auf seiner Webseite. LGBTI steht für die englischen Wörter Lesbian, Gay, Bisexual, Transexuell/Transgender und Intersexual.

Die Router des Kreuzberger CSD 2016.
Die Router des Kreuzberger CSD 2016.

© xcsd/promo

Tülin Duman findet die Terminverschiebung schade. Das Abrücken vom historischen Tag Ende Juni sei keine „unwichtige Entscheidung“. Sie ist eine von etwa 20 Leuten, die den alternativen CSD, den X*CSD in Kreuzberg („X-Berg“), organisieren. Die Demo startet am traditionellen Datum, also am heutigen Samstag, um 16 Uhr am Oranienplatz. Mit politischen Themen will sie sich vom anderen CSD absetzen.

Bloß keine kommerzielle Veranstaltung

Duman bezeichnet sich selbst als politischen Menschen. Als sie in Istanbul lebte, engagierte sie sich in feministischen Gruppen und in der Menschenrechtsbewegung. 2003 zog sie nach Kreuzberg und trat dem Organisationsteam des X*CSD bei. Jetzt sitzt sie im „Südblock“, einem Lokal am Kottbusser Tor, das sie mit zwei Kolleginnen leitet. Tagsüber ist es Café, abends laufen hier Partys, Konzerte oder Diskussionen. Seit 1998 gibt es den alternativen CSD, für diejenigen, die sich mit dem offiziellen Umzug nicht identifizieren können, sagt Duman. Sie gehöre dazu. Das sei vor allem eine „große kommerzielle Veranstaltung“. „Existenzielles“, wie Rassismus in der Szene und Diskriminierung von Transsexuellen werde dort nicht thematisiert. Ein Banker habe beispielsweise andere Forderungen als ein Geflüchteter. Nur weil beide queer seien, heiße das nicht, dass sie auch die gleichen Erfahrungen machen. Sie als Frau mit Migrationshintergrund sei angestarrt und „exotisiert“ worden, sagt Duman. Dabei fühle sie sich nicht wohl.

Frauen, Migranten und Transpersonen unterrepräsentiert?

So seien lesbische Frauen, Migranten und Transsexuelle auf dem großen CSD unterrepräsentiert. Privilegien würden nicht hinterfragt. Dem widersprechen die Veranstalter. Das Team setze sich für die Sichtbarkeit von Lesben, Bisexuellen und Transpersonen ein, außerdem seien Rechtsradikale unerwünscht, betont Sprecherin Angela Schmerfeld.

Seit Februar laufen die Vorbereitungen für den Kreuzberger CSD. Nach einem öffentlichen Aufruf zum Mitmachen hat sich ein „Orga-Team“ aus Interessierten zusammengefunden. Dieses lud Gruppen ein, Reden oder Performances zur Demonstration beizusteuern. Und machte auch klar, dass Partei- oder Nationalfahnen oder gar Produktwerbung unerwünscht sind.

Gegen Gentrifizierung

Zu den Teilnehmern, die am Sonnabend unter dem Motto „Queer bleibt Radikal“ marschieren, gehören nicht nur LGBTI-Gruppen, sondern auch Vertreter der Mietergemeinschaft „Kotti und Co.“, denn es soll, so heißt es im Aufruf „für ein selbstbestimmtes, solidarisches Miteinander“ und gegen Gentrifizierung in SO36 demonstriert werden. Jeder sei dabei willkommen, wobei das aber eine schwierige Sache ist: Duman erzählt, dass sie beobachtet hat, wie jemand beim offiziellen CSD mal ein Hakenkreuz an einer Gürtelschnalle zur Schau getragen hat, mutmaßlich Teil eines Nazi-Fetischs. Der Veranstalter habe aber nichts dagegen getan.

Schwerpunkte sind wichtig

Also schränkt Duman das „jeder“ doch noch ein: „Wenn alle willkommen sind, wird auch immer jemand ausgeschlossen. Man muss also Schwerpunkte setzen.“ Und ein Schwerpunkt beim alternativen CSD scheint das Bestreben zu sein, einen „Schutzraum“ zu bieten. Für diejenigen, die nach Ansicht des Orga-Teams nicht dem Mainstream der Szene angehören. Und ein Programm gebe es auch, aber veröffentlicht wird es nicht. „Die Leute sollen nicht für das Programm kommen, sondern für die Sache“, sagt Duman.

Dieser Text erscheint auf dem Queerspiegel, dem queeren Blog des Tagesspiegels, den Sie hier finden. Themenanregungen und Kritik gern im Kommentarbereich etwas weiter unten auf dieser Seite oder per Email an:queer@tagesspiegel.de.

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Tania Röttger

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