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Bekenntnis. Vor zwei Jahren zog Jo Heidner in die Thulestraße und seither hängen die Regenbogenfarben am Haus.

© J. Heidner

Bunter Flaggenschmuck in Berlin: Hundert Regenbogenfahnen gegen den Hass

In der Pankower Thulestraße hängen das ganze Jahr Regenbogenfahnen. Hinter der Aktion steckt der Berliner Student Jo Heidner.

„Ich hatte das Gefühl, ich muss einen Standpunkt zeigen“, sagt Jo Heidner. Kurz nachdem der 22-Jährige vor zwei Jahren in die Thulestraße gezogen war, hatte er eine Regenbogenfahne aus seinem Fenster gehängt. „Bei den Nachbarn hatte sich schnell herumgesprochen, dass ich womöglich nicht ganz ,straight’ bin“, sagt er.

Etwa eineinhalb Jahre störte sich daran auch niemand – bis die Flagge eines Morgens im Januar 2019 plötzlich weg war. Jemand muss sie abgerissen haben. „Sie war mit Nägeln an der Wand befestigt, der Wind kann sie nicht weggeweht haben“, sagt Heidner. Stattdessen fand er vor der Haustür einen großen Kothaufen. Einen menschlichen, sagt er, so große Tiere leben in Berlin nicht.

Dass Kothaufen und Fahnenklau miteinander zusammenhängen, war für Jo Heidner klar. So etwas war in der Nachbarschaft noch nie passiert, zudem ereigneten sich die Vorfälle gleichzeitig. „Das hat mich ziemlich verunsichert“, sagt Heidner. Nur wenige Wochen vorher war ein Schloss an der Haustür befestigt worden, vorher konnte man die Tür ohne Schlüssel aufstoßen. Auch über Heidners Fenster hätte man leicht ins Haus gelangen können. „Da reicht ein Steinwurf und man steht in meiner Wohnung“, sagt er. Was wäre passiert, wenn der Täter ihm etwas hätte antun wollen?

Ein Zeichen - auch um Menschen zu ermutigen sich zu outen

Jo Heidner meldete den Vorfall dem schwulen Anti-Gewaltprojekt Maneo. Das sitzt in Schöneberg und verzeichnet unter anderem homo- und transfeindliche Übergriffe in Berlin. Allein im vergangen Jahr gingen 818 Hinweise ein. Davon konnte das Projekt 382 auswerten, 50 mehr als 2017. Zwar könne man keine Aussage darüber treffen, ob es sich um einen objektiven Anstieg handelt, schreibt die Stelle.

Denkbar wäre zum einen, dass Betroffene Vorfälle häufiger melden. Auch ist möglich, dass mehr Übergriffe wegen steigender Einwohnerzahlen passieren. Dennoch gibt der Report ein erschreckendes Bild ab: Übergriffe sind kein Einzelfall, sondern passieren jeden Tag. Und die Dunkelziffer liegt noch viel höher.

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„Wenn ich mich unsicher fühle, will ich dem etwas entgegensetzen“, sagt Heidner. Schon eine Fahne schien einen Menschen extrem aufgewühlt zu haben, „da hielt ich es für sinnvoll, wenn sie überall hängen“. Zum einen, um sich selbst zu schützen. Zum anderen, um sich zu vergewissern, in der Gegend willkommen zu sein. Und drittens, um andere Menschen zu ermutigen, sich zu outen.

Im Internet bestellte er 100 Regenbogenfahnen, von denen er die meisten an Türen der Nachbarhäuser klebte – zusammen mit einem Aushang, auf dem er den Vorfall und seine Aktion erklärte. Außerdem ließ er eine E-Mail-Adresse da, als Gesprächsangebot. Wer mehr Fahnen benötige, schrieb Heidner, könne sich weitere bei ihm abholen. „Noch während ich sie draußen festgeklebt habe, haben die ersten Nachbarn welche aus dem Fenster gehängt“, sagt er. Per Mail bedankten sich die Nachbarinnen und Nachbarn, andere kamen mit einem Wein vorbei.

Jetzt engagiert sich Heidner für Klimagerechtigkeit

Noch heute hängen viele der Fahnen aus den Fenstern. Mittlerweile widmet sich Jo Heidner vor allem dem Thema Klimagerechtigkeit. Auch da, sagt er, gebe es Parallelen zu Interessen der queeren Bewegung. Beide wollen den Blick für marginalisierte Gruppen schärfen. Die Folgen des Klimawandels, sagt Heidner, betreffen vor allem finanziell schlechter- gestellte und Menschen ohne Macht – und das seien häufig die, die nicht als männlich interpretiert werden.

Frauen vor allem, aber auch queere Menschen. Jo Heidner nimmt an den Aktionen von „Ende Gelände“ im Braunkohletagebau teil. Auch bei der CSD-Parade in Berlin gab es jetzt einen Klimablock - ebenfalls ein Zeichen, wie das Themen auch in queeren Kontexten immer wichtiger wird.

Anima Müller

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