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Postkarte vom "Königshof"

© Privatarchiv Andreas Pretzel

Berliner Höfe (3): Nationalhof in Schöneberg: Das Quartier der lesbischen Liebe

In der Weimarer Republik war der Nationalhof in Schöneberg der glamouröse Ballsaal des queeren Berlin. Heute erinnert nur noch eine Säule an eines der Zentren der Lesbenbewegungen der 1920er.

Nur die eine Säule erinnert noch dran. Unter dem Erker der Beletage hängen die Ornamente wie Materialüberschuss, der Stuck neben den Fenstern wirkt wie eine Entschuldigung an das links stehende Nachbarhaus, das in seiner cremefarbenen Geschniegeltheit auf das Backsteinimitat der Bülowstraße 37 herabblickt. Wie ein Fremdkörper klebt der Klinkerbau aus dem Jahr 1978 an dem 1875 erbauten Gründerzeitgebäude. Nur diese eine Säule lässt erahnen, dass hier einst mehr als dieses Wohnhaus stand.

Wer sich vor 90 Jahren hier traf, war mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit lesbisch, schwul, trans* oder Crossdresser. Um den Bülowbogen in Schöneberg blühte Berlins queeres Leben während der Weimarer Republik, wie Andreas Pretzel in seinem Buch „Vom Dorian Gray zum Eldorado“ erzählt. Die Hauptstadt war das Zentrum der weltweiten Homosexuellenbewegung. Und der Regenbogenkiez rund um die Bülowstraße 37 war die östliche Grenze dieses Gebiets, das zu einem großen Teil den städtebaulichen Programmen der 70er Jahre zum Opfer gefallen ist.

Die Bülowstraße 37 und das angrenzende Haus, das heute ein 70er-Jahre- Bau mit Kindergarten und Wohnungen ist, war früher der Nationalhof, „das führende Ballhaus der mondänen Welt“, wie es in einer Anzeige in der Homosexuellenzeitschrift „Fanfare“ beworben wird. In dem Festsaal, der im Kaiserreich noch den Namen „Königshof“ trug, feierte man Maskenbälle und Verkleidungsfeste. Männer in Frauen- und Frauen in Männerkleidern tanzten auf Partys; der Nationalhof lud zum „Alpen-“ oder zum „Apachenfest“, danach gab es die „Prämierung der drei originellsten Apachenhäuptlinge“. Hier traf sich der „Continentalclub“, ein „vornehmer Treff der internationalen Herrenwelt“ – was damals etwas anderes bedeutete als heute –, und im Innenhof zeigten die Nationalhof-Lichtspiele die Anfänge des deutschen Kinos, wohl auch die Anfänge des homosexuellen Kinos, das 1919 mit „Anders als die Andern“ – dessen Drehbuch der Sexualforscher Magnus Hirschfeld schrieb – in Berlin seinen Ursprung hatte.

Politischer homosexueller Aktivismus in der Weimarer Republik

Solche Bälle, Klubs und Hinterhofkinos waren im Weimarer Berlin durchaus üblich, der Nationalhof unterschied sich aber wegen der politischen Ambitionen, die in ihm gärten. Ab 1923 stellte der Gastwirt des Nationalhofs, Fritz Götz, einmal die Woche seine Räume dem „Theater des Eros“ zur Verfügung. Eine Gruppe homosexueller Schauspieler führte Stücke auf, traf sich, organisierte Vorträge. Die Theatertruppe gehörte zum Bund für Menschenrecht, einer politischen Gruppierung, die die Abschaffung des Sodomieparagrafen 175 zum Ziel hatte. Der Nationalhof war ihr Klubhaus – und wurde so kurzzeitig das Zentrum des homosexuellen Aktivismus der Weimarer Republik.

„Unsere Vortragsabende finden jetzt regelmäßig jeden Donnerstagabend, 20.30 Uhr im ,Nationalhof‘ Bülowstraße 37 statt“, steht in einer Anzeige des Bundes für Menschenrecht: „Nach dem Vortrag, geselliges Beisammensein.“ Der Bund für Menschenrecht war der größte Aktivistenverein für Homosexuelle der 20er Jahre. Gründer war der Verleger Friedrich Radszuweit, der viele Zeitschriften für die homosexuelle Leserschaft herausgab, darunter das Wochenblatt „Die Freundin“, die erste Lesbenzeitschrift der Welt. Die „Blätter für Menschenrecht“ und das „Freundschaftsblatt“ wurden ebenfalls von ihm verlegt und gehörten zu den auflagenstärksten Homosexuellenzeitschriften der Zeit.

Zusätzliche Bekanntheit erlangte Radszuweit als Verleger der ersten Schallplatten homosexueller Künstler. Er brachte auch den wohl ersten Schwulenschlager der Welt heraus, „Bubi, lass uns Freunde sein“. Dessen Text stammte von Bruno Balz, der auch für Zarah Leander „Kann denn Liebe Sünde sein“ und für Heinz Rühmann „Ich brech’ die Herzen der stolzesten Frau’n“ schrieb. Balz ging im Nationalhof ein und aus, las hier regelmäßig aus seinen Gedichten.

"Quartier der lesbischen Liebe" in der Bülowstraße

Der Nationalhof war ein Ort für Lesben, Schwule, Trans* und andere, die sich hier zugehörig fühlten; er entwickelte sich aber zunehmend zur ersten Adresse der Lesbenbewegung, als hier 1926 erstmals Bälle nur für Frauen stattfanden. Damit verwandelte er auch den Kiez. „Die Bülowstraße und ihre Nachbarschaft ist das Quartier der lesbischen Liebe“, schrieb Curt Moreck 1931 in seinem „Führer durch das lasterhafte Berlin“. Er meinte damit außer dem Festsaal auch die gegenüber auf der Bülowstraße liegende Lesbenkneipe „Dorian Gray“. Im Nationalhof trafen sich verschiedene Lesbenorganisationen 1927, angefangen mit dem „Damen-BIF-Club“, einem Leserinnenklub der Zeitschrift „Blätter idealer Frauenfreundschaft“, die der Bund für Menschenrechte herausgab und bei der Bruno Balz als Redakteur arbeitete.

Zum großen Erfolg des Nationalhofes hat maßgeblich die Hausherrin Lotte Hahm beigetragen. Ab Januar 1928 übernahm sie mit ihrem Damenklub „Violetta“ viele Lesbenveranstaltungen. Mit 400 Mitgliedern war der Klub einer der größeren der Stadt. Sie veranstaltete Bälle im „intimen roten Saal“ und wochenends im „großen weißen Saal“, donnerstags gab es weiterhin separate Bälle für Crossdresser. Die Zeitschrift „Neue Freundschaft“ nannte sie „eine der populärsten Führerinnen der Berliner homoerotischen Frauenbewegung“. Sie brachte auch weitere Lesbenverbände ins Haus, wie „Monbijou“ und den „Damenklub Altes Geld“. Männer waren nur in Frauenkleidern zugelassen, auch wenn diese Ausnahme einige Damen erzürnte.

Schon vor dem Ende der Weimarer Republik geriet der Nationalhof in Schwierigkeiten. 1928 wurden die Repressionen gegen den lesbischen Betrieb stärker, 1932 endete er komplett, ein Jahr, nachdem Curt Morecks „Führer durch das lasterhafte Berlin“ erschienen war: „,Violetta‘ ist für viele lesbische Frauen das Heim, das sie anderwärts entbehren müssen. Man tanzt unermüdlich unter den wechselnden Farben der Scheinwerfer. Da bricht dann hie und da Leidenschaft über die Zäune, wenn sich die Freundin allzu hingebend in den Arm einer anderen Kavalierin geschmiegt hat oder allzu innige Blicke von einem Tisch zum anderen getauscht worden sind. Aber man besänftigt sich wieder, die Eifersucht verfliegt unter einem zärtlichen Händedruck, unter einer geflüsterten Liebkosung, die als neues Treuegelöbnis gilt. Die Damen sind aufmerksamere Kavaliere als ihre heterosexuellen Pendants. Sie haben eine leichtere Hand, sie sind chevaleresker. Sie kaufen der Freundin ein paar Blumen und überreichen sie ihr mit glücklich leuchtenden Augen. Bedankt von einem warmen Blick des Verstehens, der Verheißung, der Liebe.“

Ob während des NS-Regimes noch Veranstaltungen im Festsaal stattfanden, ist unklar. Kurz nach der Befreiung Berlins begann im Nationalhof wieder der Betrieb mit den ersten Homosexuellenveranstaltungen nach der Nazizeit. Unter anderem organisiert von Lotte Hahm, die die Jahre 1935 bis 1938 im Frauenkonzentrationslager Moringen verbrachte. Doch „Walterchens Ballhaus“, wie der Nationalhof nun hieß, kämpfte in der staubtrockenen Adenauerzeit mit Repressionen, es gab Auftrittsverbote, Veranstaltungsauflösungen. Selbst Gastronom Walterchen Draesel, den der „Spiegel“ 1975 einen „Mafia-Papa“ nannte, – eine illustre Gestalt mit Papagei auf der Schulter und Pudel in der Hand –, konnte den Untergang nicht aufhalten. Walterchen starb 1965, zehn Jahre später wurde der Nationalhof im Zuge der Sanierungen in Schöneberg abgerissen, 1978 entstand auf den Ruinen eines Wahrzeichens des queeren Berlins der Klinkerbau in der Bülowstraße 36. Und an den Nationalhof erinnert heute nur noch die alte Säule.

Weitere Texte unserer Sommer-Reihe "Berliner Höfe" finden Sie unter www.tagesspiegel.de/themen/berliner-hoefe/

Letztes Jahr präsentierten wir an dieser Stelle die Reihe "Berliner Türme". Alle Texte dazu finden Sie unter www.tagesspiegel.de/berliner-tuerme

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