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Isabel Coixet kam 1960 in Sant Adrià de Besòs zur Welt, ihren Debütspielfilm drehte sie 1988.

© F. Bensch/Reuters

Berlinale-Regisseurin Isabel Coixet: „Sexszenen zu drehen, ist großartig“

Teddy-Kandidatin: „Elisa y Marcela“-Regisseurin Isabel Coixet im Gespräch über queere Vorbilder und den Streit um den Kinostart ihrer Netflix-Produktion.

Señora Coixet, in Ihren Filmen stehen häufig ungewöhnliche Frauen im Zentrum. Das gilt auch für „Elisa y Marcela“. Diesmal hat Sie eine wahre Geschichte von zwei Frauen inspiriert, von denen sich eine im Jahr 1901 als Mann verkleidete, um die andere heiraten zu können. Wie haben Sie von den beiden erfahren?

Als ich vor etwa zehn Jahren wegen einer Ausstellung in Galicien war, traf ich dort Narciso de Gabriel von der Universität in A Coruña, der mir von ihnen erzählte. Er weiß einfach alles über sie. Zusammen fuhren wir zu den Dörfern, in denen sie gewohnt haben, und besuchten die Strände, an denen sie spazieren gegangen sind.

Das hat Sie bewegt, einen Film über das Paar zu machen?

Es ist eine fesselnde Geschichte. Das meiste, was man in „Elisa y Marcela“ sieht, ist wahr, einiges habe ich mir ausgedacht. Wobei mich die Dinge am meisten interessieren, über die wir nichts wissen: Wie bauen zwei Frauen in der damaligen Gesellschaft völlig ohne queere role models eine Beziehung zueinander auf? Es lag außerhalb von allem, was sie kannten.

Wieso denken Sie, dass die Frauen Vorbilder gebraucht hätten? Liebe ist Liebe, sie waren einfach verliebt.

Ja, aber man lebt, wo man lebt. Sie wussten, dass das, was sie taten, verboten war und bestraft werden würde. Sie waren kluge Frauen, aber sie haben einige sehr dumme Entscheidungen getroffen.

Es war ein Fehler, dass Elisa sich in Mario verwandelte?

Für ihr Ziel, nach Argentinien zu gehen, war es erst mal nachvollziehbar, weil es für verheiratete Paare staatliche Unterstützung gab. Für Frauen alleine war es viel schwieriger, zu reisen. Aber wenn du in einer kleinen Gemeinde wohnst, dann für einen Monat verschwindest und als Mann verkleidet zurückkommst, ist es recht unwahrscheinlich, dass die Leute das nicht bemerken. In einer größeren Stadt, wo dich niemand kennt, hätte das vielleicht klappen können.

Sie haben zum ersten Mal eine lesbische Liebesgeschichte inszeniert. Wie war es, Sexszenen mit zwei Frauen zu drehen?

Sex ist für Elisa und Marcela auch ein Schutz gegen die kalte Welt, in der sie leben. Ich wollte, dass sich darin Zärtlichkeit und Wildheit mischen. Natalia de Molina und Greta Fernández, die Hauptdarstellerinnen, haben das genau verstanden und umgesetzt. Es hat Spaß gemacht, das zu drehen. Sexszenen sind ohnehin großartig. Man befasst sich mit den eigenen Erfahrungen und Fantasien.

Apropos Fantasie: In einer Szene integrieren die Frauen einen toten Oktopus in ihr Liebesspiel. Wie kamen Sie auf die Idee?

Die Szene stand nicht im Skript, aber ich fand, dass wir etwas Einzigartiges brauchen. Leute benutzen alles mögliche beim Sex und ich dachte: Warum nicht? Ich liebe die Bilder von Frauen und gigantischen Oktopussen, die der japanische Künstler Hokusai geschaffen hat. Zudem ist der Oktopus etwas sehr Galicisches, man sieht ihn dort überall. Es ist eine Hommage an Hokusai und an Galicien.

Warum haben Sie eigentlich in Schwarz- Weiß gedreht?

Schon die Fotos, die ich auf der ersten Reise in Galicien machte, waren schwarz-weiß. Auch die erste Zeile meines Drehbuchentwurfs vor zehn Jahren besagt, dass der Film schwarz-weiß ist.

Weshalb hat es so lange gedauert, bis aus dem Drehbuch ein Film wurde?

Vor zehn Jahren stieß die Idee eines Schwarz-Weiß-Films über zwei Frauen, die vor hundert Jahren geheiratet haben, nicht gerade auf Begeisterung. Eine ganze Reihe von Produzenten war involviert, aber sie konnten das nötige Geld nicht auftreiben.

Und dann kam Netflix?

Ja, das war die Lösung. Ich habe als Autorin und als Regisseurin noch nie so viel Respekt erlebt – und ich habe schon mit vielen Produzenten zusammengearbeitet. Sie wollen immer irgendetwas ändern, wobei es mehr ums Prinzip geht als um den Film. Das war hier nicht der Fall. Ich hatte den final cut und auch, als es eine Umbesetzung bei der Rolle von Marcela gab, stellte Netflix meine Entscheidung für eine unbekannte Schauspielerin nicht infrage. Martin Scorsese hat mir von ähnlichen Erfahrungen bei seiner „The Irishman“-Produktion erzählt.

Natalia de Molina (l) und Greta Fernandez bei der Premiere von "Elisa y Marcela".
Natalia de Molina (l) und Greta Fernandez bei der Premiere von "Elisa y Marcela".

© Jens Kalaene/dpa

Anfang der Woche protestierten 160 deutsche Kinobetreiber in einem Brief an die Berlinale-Leitung und die Kulturstaatsministerin dagegen, dass „Elisa y Marcela“ im Wettbewerb läuft. Sie sagen, der Film bekäme wohl keinen regulären Kinostart.

Ich verstehe ihren Standpunkt, aber in diesem Fall liegen sie einfach falsch. Schon im ersten Gespräch mit Netflix habe ich gesagt, dass ich das Skript geschrieben habe, um es auf die Leinwand zu bringen. Ich will, dass der Film ein Leben in den Kinos hat. Dem haben sie sofort zugestimmt. „Elisa y Marcela“ kommt in Spanien ins Kino. Wahrscheinlich im September. Der Verleih, der alle meine Filme vertreibt, übernimmt das. Später läuft er auch bei Netflix. Kosslicks Team hat sofort nach dem Kinostart gefragt. Wir haben das vertraglich festgelegt.

Im Abspann Ihres Films sind Hochzeitsfotos von Frauenpaaren zu sehen. In Spanien gibt es seit 2005 die Ehe für alle. Doch wie in vielen anderen Ländern erstarken auch in Ihrem Heimatland rechtspopulistische Kräfte, die homofeindlich auftreten.

Es sind albtraumhafte Zeiten gerade. Schauen Sie nach Brasilien: Dort gibt es die Ehe für alle, doch in sechs Monaten wird sie wahrscheinlich verschwunden sein. Dazu wird es in Spanien nicht kommen (klopft auf Holz). Ich halte es mit Marcela, die zu dem Priester, dem Doktor und dem Nachbar, der sie bedrängt, sagt: „Warum könnt ihr die Leute nicht einfach in Frieden leben lassen?“ Ich selber glaube gar nicht an die Ehe, ich war auch nie verheiratet. Aber ich würde sterben, um das Recht derjenigen zu verteidigen, die heiraten wollen.

Teddy-Gala: Volksbühne, 15.2., 21 Uhr

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