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Siegfried Wagner, fotografiert im Jahr 1905.

© Internationale Ricard Wagner Gesellschaft/Schwules Museum

Ausstellung zu Siegfried Wagner im Schwulen Museum: Bayreuther Beziehungskisten

Wer war Siegfried Wagner? Ein Genie im Schatten? Ein politischer Duckmäuser? Das Schwule Museum Berlin begibt sich auf Spurensuche.

Innerhalb des mit schillernden Persönlichkeiten wahrlich reich gesegneten Wagner-Clans ist Siegfried der große Rätselhafte. Richard, der Gesamtkunstwerker und Erfinder jener Festspiele, die seit 1876 zu seinen Ehren in Bayreuth stattfinden, thront über allem, seine Witwe Cosima ist als Gralshüterin in die Geschichte eingegangen, Siegfried Wagners Gattin Winifred als glühende Naziverehrerin. Sein ältester Sohn Wieland gilt als der ästhetische Erneuerer der Festspiele ab 1951, der jüngere Wolfgang als fränkisch-bodenständiger Pragmatiker.

Und Siegfried, der 1869 geborene Stammhalter? Als Komponist hat er 18 Opern hinterlassen, 24 Jahre, von 1906 bis zu seinem Tod 1930 leitete er die damals noch unsubventionierten Festspiele. Wie aber dachte er politisch, was war er für eine Persönlichkeit, wie ist er künstlerisch zu verorten im bewegten Geschehen des ersten Drittels des 20. Jahrhunderts? Die Bewertungen der Fachleute gehen da stark auseinander. Das Einzige, worauf sich alle einigen können, ist – obwohl sich Siegfried dazu natürlich nie öffentlich geäußert hat – seine Homosexualität.

So ist es nur folgerichtig, wenn sich das Schwule Museum Berlin jetzt auf eine Spurensuche in Sachen Siegfried Wagner begibt. Die umfassende biografische Ausstellung nimmt keineswegs nur seine sexuellen Vorlieben in den Blick, sondern die ganze Persönlichkeit. Und sie ist bereit, Widersprüche auszuhalten, Kontroversen zu spiegeln.

Am liebsten wäre er Architekt geworden

Eine durchaus heikle diplomatische Mission war für Kevin Clarke vom Schwulen Museum die Zusammenarbeit mit seinen beiden Ko-Kuratoren von der Internationalen Siegfried Wagner Gesellschaft, Peter P. Pachl und Achim Bahr. Denn diese wollen ihren Helden, der in ihren Augen ein „Genie im Schatten“ ist, natürlich in bestem Licht präsentieren. Während beispielsweise Sven Friedrich, der Direktor des Bayreuther Richard-Wagner-Museums, kein gutes Haar am Filius des Meisters lässt, den er für einen ebenso mittelmäßigen Tonsetzer wie Regisseur hält – und politisch für einen rückgratlosen Duckmäuser.

Der 217 Seiten starke Essayband zur Ausstellung lässt diese divergierenden Einschätzungen mit Mut zur Vielstimmigkeit nebeneinander stehen. Und auch die Schau selber ist sichtbar bemüht, alle Facetten der Künstlerpersönlichkeit Siegfried Wagners zu beleuchten.

Eine Skizze, die Siegfried Wagner von einer Asienreise 1892 anfertigte.
Eine Skizze, die Siegfried Wagner von einer Asienreise 1892 anfertigte.

© Schwules Museum/ Wagner Gesellschaft

Am liebsten wäre er ja Architekt geworden. Und hat tatsächlich auch ein Jahr lang das Bauwesen studiert, in Berlin natürlich, das schon damals die queere Hauptstadt Deutschlands war. Ausgerechnet auf einer sechsmonatigen Traumreise nach Asien, zu der ihn seine erste große Liebe, der britische Reeder-Sohn Clement Harris eingeladen hatte, entscheidet er sich 1892 dann aber doch, dem Erwartungsdruck der Familie nachzugeben, sich der Musik zu verschreiben und der Pflicht nachzukommen, das Unternehmen Bayreuth weiterzuführen. Auf sein homosexuelles Privatleben aber wird er nicht verzichten, er wird sich dandyhaft kleiden, seine Taille dadurch betonen, dass er den Gürtel stets über den hellfarbigen Pullovern trägt, die er mit Knickerbockern kombiniert.

Und er wird all jenen Erpressern Geld zahlen, die ihn mit einem Outing drohen. Bis der berüchtigte Schwulen-Jäger Maximilian Harden 1914 die Wagners ins Visier nimmt. Da wird der 44-Jährige dann doch zwangsverheiratet, mit der gerade 18-jährigen Engländerin Winifred Klindworth, zeugt vier Kinder in vier Jahren und richtet sich in seinem Doppelleben ein. Erstmals zeigt Peter P. Pachl ein Konvolut von Liebesbriefen, die Siegfried Wagner Anfang der 1920er Jahre mit einem sehr jungen Mann ausgetauscht hat.

Siegfried Wagner, karikiert als Dandy.
Siegfried Wagner, karikiert als Dandy.

© Schwules Museum/Wagner Gesellschaft

Dass sich im Nachlass des berühmten Dirigenten Hans Knappertsbusch mehrere Fotos fanden, die Wagner in gewagter Badebekleidung zeigen, legt die Vermutung nahe, dass auch Künstler, die gerne in Bayreuth engagiert werden wollten, nicht davor zurückschreckten, ihre Kenntnis von Siegfrieds sexueller Orientierung als Druckmittel zu benutzen.

Vor allem als Dirigent der Werke seines Vaters wurde Siegfried Wagner zu Lebzeiten international geschätzt. Seine winterlichen Gastspielreisen, die ihn bis in die USA führten, nutzte er jeweils, um die nötigen Finanzmittel für den nächsten Bayreuther Sommer zusammenzubekommen. Bei den Festspielen selber führte er behutsam Neuerungen ein, wenn er meinte, sie dem erzkonservativen, völkisch denkenden Stammpublikum zumuten zu können. Und er ließ mit Arturo Toscanini in seinem Sterbejahr 1930 erstmals einen Ausländer auf dem Grünen Hügel dirigieren.

Mit "Der Bärenhäuter" landete Siegfried Wagner einen Publikumserfolg

Wie weit geschäftliche Hintergedanken auch bei seiner nebulösen Haltung der nationalsozialistischen Bewegung gegenüber eine Rolle spielten, ist nicht zu klären, solange der Familien-Clan Siegfrieds Nachlass unter Verschluss hält. Winifred hatte sich 1973 geweigert, dessen Privatkorrespondenz in die Wagner-Stiftung einzubringen, derzeit liegen die Dokumente bei Amélie Lafferentz im Safe.

Ein wesentlicher Bereich der Ausstellung ist dem Komponisten Siegfried Wagner gewidmet, mit Hörinseln und Videos sowie Aufführungsplakaten und -fotos aus seinen Lebzeiten wie aus jüngerer Vergangenheit. „Ein harmloses, sinniges, deutsches Lustspiel, das ist, was uns eigentlich noch übrig bleibt“, hatte der komponierende Sohn seinem Lehrer Engelbert Humperdinck gegenüber konstatiert, in Bezug auf den übermächtigen Vater. Mit seiner ersten Märchenoper „Der Bärenhäuter“ konnte Siegfried 1899 tatsächlich einen beachtlichen Publikumserfolg landen, bald aber manövrierte er sich stilistisch ins Abseits. Geschah es bewusst, um seine gesellschaftliche Außenseiter-Position auch in den Partituren zu spiegeln, wie seine Fans behaupten? Oder lag es ganz schlicht am künstlerischen Unvermögen?

Wer in die CD-Einspielungen vom „Bärenhäuter“ oder auch von „Bruder Lustig“ hineinhört, bekommt Lust, diese schlichte, aber durchaus schmissige Musik im Tauglichkeitstest auf deutschen Stadttheaterbühnen zu erleben.

Schwules Museum, Lützowstr. 73, bis 26. Juni; So, Mo, Mi, Fr 14–18 Uhr, Do bis 20 Uhr, Sa bis 19 Uhr, Katalog 24 €.

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