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Adır Jan Tekin mit seiner Langhalslaute, die auf kurdisch Tembur heißt.

© Makis Asimakopoulos

Adir Jan und sein Album "Leyla": Der Brückenbauerbarde

Der Kreuzberger Singer-Songwriter Adir Jan verbindet kurdische Traditionen mit queeren Texten. Jetzt stellt er sein Debütalbum "Leyla" im SO36 vor.

Es hätte auch ganz anders kommen können, banaler. Dann wäre Adir Jan Tekîn jetzt Lehrer für Latein und Italienisch, vielleicht an einer Berliner Schule. Ein Freund an der Seite, ein Hund, dazu Ratenzahlungen für eine Eigentumswohnung. Und nebenher noch Vereinsarbeit „für die kurdische Sache“.

Doch diesen Weg hat Tekîn nicht genommen. Denn manchmal sind Abwege die einzig richtigen Wege für Menschen, die die erdrückende Last von Widersprüchen spüren. Kurde und Schwuler ist zum Beispiel so ein Widerspruch. Zwar nicht für Adir Jan Tekîn selbst. „Ich sehe mich in erster Linie als Mensch“, sagt er beim Gespräch in seiner Wohnung. Doch muss er ständig Fragen zu diesem Thema aushalten.

Und vielleicht liegt hier der Grund, weshalb Tekîn vor sechs Jahren das Studium in Latein und Italienisch kurz vor der Masterarbeit hinschmiss – nach einem Burnout. „Ich wünsche jedem einen“, sagt er heute flapsig, während leise Musik im Hintergrund läuft. Damals kam wie so oft einiges zusammen: Die Vereinsarbeit in einer kurdischen Jugendorganisation wuchs ihm über den Kopf, der Vater starb und auch der geliebte Hund.

Er singt meist auf Kurdisch oder in seiner Muttersprache Zaza

Er sei gezwungen gewesen, in sich hineinzuhören. Eine Stimme dort drinnen riet ihm zur Musik. Seitdem tritt er als Sänger auf, zunächst mit der Band Adirjam bei der Partyreihe „Zembîl“ im Südblock in Kreuzberg, wo Tekin geboren und aufgewachsen ist. Irgendwann war ihm, der jetzt seine beiden Vornamen als Künstlernamen nutzt, der Südblock zu klein geworden. Adir Jan wechselte mit „Zembîl“ rüber ins SO36. Dort findet am heutigen Freitag auch das Releasekonzert seines ersten Albums statt, das „Leyla“ heißt und in zwei Wochen erscheint. Darauf sind zehn Songs zu hören – bis auf einen türkischen – sind sie alle auf Kurdisch und Zaza, letzteres ist Tekins Muttersprache, die dem Kurdischen sehr ähnelt.

Der Singer-Songwriter hat zahlreiche Vorbilder. Sein größtes ist der kurdische Sänger Şivan Perwer, „die Stimme der Freiheit“ genannt und von vielen Kurden geliebt, zeitweise aber auch von PKK-Anhängern als Verräter beschimpft und mit dem Tod bedroht, weil er sich 2011 mit dem damaligen türkischen Vize-Ministerpräsidenten Bülent Arınç in Köln traf. Der AKP-Politiker sprach mit Perwer über eine mögliche Rückkehr in die Türkei nach 35 Jahre Exil in Deutschland.

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Tekîn trat Anfang der nuller Jahre mit einer Volkstanzgruppe auf mehreren Konzerten von Perwer auf. Getanzt hat der Sohn einer Erzieherin und eines Zahntechnikers mehrere Jahre nicht nur Folklore, sondern mit sechs, sieben Jahren auch als einziger Junge in einer Bauchtanzgruppe. Als Kind schlüpfte Tekîn gerne in Rollen. Auf einem Foto ist der Vierjährige mit Kleid und Mikrofon in der Hand zu sehen. Später am Kant-Gymnasium kann sein Lehrer die weiche Stimme des Jugendlichen nicht so recht in den Chor einordnen – und lässt ihn solo singen.

Heute steht im Geiste des bald 35-Jährigen ein ganzes Pantheon von kurdischen Volksliedsängern hinter ihm. Darunter befinden sich die Dengbeji, kurdische Barden, die fast ohne Instrumente auskommen. Sie sind so etwas wie das kulturelle Gedächtnis der Kurden. Die Dengbeji tragen singend Geschichten weiter, die sonst verlorengehen würden, weil sie nicht aufgeschrieben wurden. Bekannt sind etwa Mihemed Arif Cizrawi (1912-1989) und Hesene Ciziri. Eyşe Şans Lieder wurden nach dem Militärputsch 1971 in der Türkei verboten, die Bardin lebte zeitweise in Deutschland. Rençber Aziz stammt aus Bingöl in Ostanatolien, der Heimat von Tekîns Familie. Zu diesen klassischen Vorbildern kommen die Stranbeji, eine allgemeine kurdische Bezeichnung für Liedersänger. Ihnen kann man Adir Jan zurechnen. Aber auch türkische Musik, „ist Teil von mir“, sagt der Sänger, was er früher am liebsten weit von sich gewiesen hätte.

Queere Kultur rund ums Kottbusser Tor

Die kurdische Kultur und Sprache sind Tekîn sehr wichtig. In Ländern wie der Türkei, wo die meisten Kurden leben, waren sie lange Zeit unterdrückt und sind es wieder. Ein Verständnis für seine kurdisch/zazaische Familie entwickelte Tekin in den Neunzigern durch Reisen nach Bingöl. Damals erlebte er, wie sich Kurden in Ostanatolien – er selbst bezeichnet die Gegend als Nordkurdistan – mit Repressionen arrangierten. Etwa, wenn Busfahrer plötzlich die Musik wechselten: „Vor Kontrollposten des Militärs wurde die kurdische Kassette schnell durch eine türkische ersetzt“, erinnert er sich.

Fortan engagiert sich Tekîn in einem kurdischen Verein, leitet Jugendgruppen. Das ist die eine Welt, in der er lebt. Die andere ist die der Schwulen, Lesben, Transgender und Queers mit und ohne Migrationshintergrund rund um das Kottbusser Tor. Tekin weitet sein Engagement auf Gladt aus, einen von türkischstämmigen Queers gegründeten Verein. Die zwei Welten vereinen sich in Tekîn, er baut Brücken und sie finden sich auch in seiner Musik wieder. Etwa in dem Stück „Keskesor“ auf dem neuen Album – das kurdische Wort bedeutet Regenbogen. Darin heißt es: „Wenn nur Liebe unter den Menschen existierte, überall auf der Welt.“ Und dann: „Lasst Männer Männer lieben, lasst Frauen Frauen lieben.“ Schnell ist ausgemacht, wer Schuld daran ist, dass das mit der universellen Liebe nicht so klappt, wie Adir Jan es gerne hätte: der weiße Mann. Der nämlich trenne mit seiner Sprache in dunkel- und hellhäutige Menschen, Männer und Frauen, arm und reich.

"Ich will Liebe verbreiten", sagt Adir Jan

Bis auf drei Stücke sind alle Songs auf „Leyla“ homoerotisch gefärbt. Eine der Ausnahmen ist „Şengal“, der den vom IS gefolterten, vergewaltigten und ermordeten Jesidinnen gewidmet ist. Außerdem covert Tekîn zwei Stücke, darunter das türkisch gesungene „Ecel elinden“ des Mystikers Yunus Emre. Die restlichen Lieder hat Tekîn selbst geschrieben.

„Ich will Liebe verbreiten“, sagt er. Auf dieser ambitionierten Mission begleitet er sich mit einer Langhalslaute, auf kurdisch Tembur genannt, oder auf dessen kleinerer Version, der Cura. Durch E-Gitarrist Conny Kreuter kommt neben dem eher traditionellen Gesang eine leichte Rocknote hinzu. Und mit der Erbane, einer in Ost-Anatolien, dem Iran und dem Irak verbreiteten Trommel, verleiht der Perkussionist Hogir Göregen den Stücken einen Hauch von Mystik. Dieser Stilmix ist für die Türkei nicht neu, doch in Verbindung mit Tekins Texten ergibt „Leyla“ etwas Besonderes – eine Kreuzberger Pionierleistung.
„Leyla“ erscheint am 15.2. bei Trikont. Konzert: SO 36, 1.2. 21 Uhr

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Hülya Gürler

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