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Adam Hoya bei der Premiere von "Glück".

© imago images/Future Image

Adam Hoya im Berlinale-Film „Glück“: „Wenn du etwas tust, kannst du auch öffentlich dazu stehen“

Sexarbeit, Drogensucht, Selbstzweifel: Für „Searching Eva“-Star Adam Hoya ist kein Thema tabu. Jetzt ist er im Liebesdrama „Glück“ zu sehen. Eine Begegnung.

Adam Hoya sitzt in einem Neuköllner Café am Landwehrkanal, er spießt ein Stück Käsekuchen auf. Seine lockigen Haare sind im Vokuhila-Stil geschnitten, die dünnen, blassen Arme übersät mit Tattoos und Narben. „Ich habe wirklich eine Menge Scheiße gesehen“, sagt er und kaut. Sein Vater habe ihm als Kind immer gesagt, er solle das aufschreiben. „Wahrscheinlich dachte er, ich schreibe einen großen Roman.“

Stattdessen fing Adam Hoya mit 14 an, einen Blog zu schreiben. Darin zeichnete er schonungslos alles auf, was ihn bewegte. Aus dem Blog wurde schließlich ein Dokumentarfilm, „Searching Eva“, der 2019 auf der Berlinale lief. Damals noch unter dem Namen Eva Collé ist Hoya darin bei der Sexarbeit zu sehen, als Model auf der Fashion Week – und wie er sich die Heroinspritze aufzieht. Hoya, der 1992 in Italien geboren wurde und seitdem dutzende Male den Namen wechselte, ist bekannt für seine radikale Offenheit.

Er schreibt, um den Kopf freizubekommen und um sich mit anderen zu verbinden, die Ähnliches erlebten. „Das ist besser als jede Therapie.“ Während viele ihre Tagebücher geheim halten, war das für ihn nie Thema. „Mir gefiel die Aufmerksamkeit“, sagt er. „Und wenn du etwas tust, kannst du auch öffentlich dazu stehen.“ Ein wenig privater sei er inzwischen nur geworden, weil andere Menschen, über die er schrieb, von dieser Offenheit nicht immer begeistert waren.

Sexarbeit sollte so realistisch wie möglich dargestellt werden

„Searching Eva“ hat Hoya auch zu seinem neuesten Projekt gebracht: Henrika Kulls Spielfilm „Glück“, der dieses Jahr im Panorama der Berlinale läuft. Der sanfte, berührende Film erzählt die Liebesgeschichte zwischen zwei Frauen, die sich an ihrem Arbeitsplatz kennenlernen – einem Berliner Bordell. Hoya spielt eine der Hauptrollen, die 25-jährige Maria.

Sie trifft auf die 42-jährige Sascha, gespielt von Katharina Behrens. Die ist bereits fest im Bordell integriert, sie nimmt dort eine mütterliche Rolle ein. Als beide gemeinsam nach Brandenburg in Saschas Heimatdorf fahren, bekommt die Liebe erste Brüche.

Katharina Behrens und Adam Hoya. in "Glück".
Katharina Behrens und Adam Hoya. in "Glück".

© Flare Film

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Henrika Kull kontaktierte Hoya, nachdem sie ihn in „Searching Eva“ sah. Als ehemaligem Sexarbeiter sei es ihm wichtig gewesen, dass die Tätigkeit im Film realistisch dargestellt wird, sagt er. Die Dreharbeiten zu „Glück“ fanden in einem echten Bordell statt, bei laufendem Betrieb. Kull hatte dort bereits lange recherchiert.

Weder glamourös, noch schmuddelig und kriminell

Im Film sind Details zu sehen, wie die Sexarbeiterinnen ihre Decken ausbreiten, Papiertücher neben das Bett stellen und benutzte Kondome entsorgen. Die Räumlichkeiten sehen gemütlich aus, fast ein bisschen spießig. Die Hausdame könnte mit ihrer Kurzhaarfrisur, Brille und herzlichen Art auch gut Sekretärin in einem Büro sein.

Ein scharfer Kontrast zu anderen Filmen, in denen Prostitution entweder extrem glamourös oder schmuddelig und kriminell dargestellt wird. In „Glück“ ist Sexarbeit eben das: Arbeit. „Es gibt diese Vorstellung, dass Sexarbeit nur macht, wer verzweifelt ist“, sagt Hoya. „Aber manche Menschen machen das wirklich freiwillig.“ Dann überlegt er. „So freiwillig wie man im Kapitalismus eben arbeiten kann.“

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Hoya hat inzwischen mit der Sexarbeit aufgehört, lebt in Athen und schreibt Gedichte. Die Premiere von „Searching Eva“ gab ihm den letzten Schubs, sich als trans Mann zu outen. „Ich bin für ein Jahr auf Festivals gegangen und war das Mädchen aus dem Film“, sagt er. „Das hat mich echt verstört.“

Der Künstler wuchs in einer katholischen Entzugsklinik auf, erzählt er, zwischen Junkies, Sexarbeiter:innen und psychisch Kranken – seine Eltern hatten Drogenprobleme, machten dort ihren Entzug. Als Mädchen habe er sich nie gefühlt, lange nannte er sich Nick. Sein jetziger Name kommt von seinem Nachnamen, Adamo. „Ich mag, dass das so ein normaler Name ist“, sagt Hoya. „Ich bin ja auch ein normaler Typ.“

Hoya erzählt von Drogensucht und Missbrauch, ohne zu zögern

Mit Anfang 20 zog er nach Berlin, fing selbst an, Drogen zu nehmen. Dann starteten die Dreharbeiten für „Searching Eva“. Um später vom Heroin wieder loszukommen, habe er viel gelesen, sagt Hoya. Das habe er immer geliebt. „Aber mein Gehirn war kaputt, ich habe ewig gebraucht, um durch eine Seite zu kommen.“ Damit er auf etwas stolz sein konnte, studierte er komplizierte Texte, Deleuze und Agamben.

Hoya erzählt von Drogensucht , Missbrauch und Selbstzweifeln, ohne zu zögern. Er fühle sich oft eher losgelöst von den Dingen, sagt er. Manchmal driftet er ab, wenn er redet, wirkt wie in einer anderen Welt.

Adam Hoya und Katharina Behrens auf dem roten Teppich.
Adam Hoya und Katharina Behrens auf dem roten Teppich.

© imago images/Future Image

Seit seinem Outing als trans Mann gehe es ihm viel besser, seine Beziehung zu Weiblichkeit sei deutlich entspannter. Früher habe ihn abgeschreckt, was als klassisch weiblich gilt. „Ich dachte, dass ich so viel Misogynie internalisiert habe, dass ich Frauen hasse“, sagt er. Dafür habe er sich verachtet. Jetzt mag er weibliche Kleidung mehr, auch seinen anderen Leidenschaften frönt er wieder. „Als Mann ist es doch cool, Haarpflege gut zu finden.“

Weiblichkeit als Konstruktion, als Gefängnis

Dass er nun in „Glück“ eine Frau spielt, störe ihn nicht. „Ich habe so lange Weiblichkeit performt, diese Erfahrung kann ich gut anwenden“, sagt er. Trotzdem würde er gern mal einen Mann oder eine trans Person spielen – auch wenn er vom Konzept der Repräsentation nicht viel hält. „Theoretisch kann jeder jeden spielen – das ist Schauspielerei.“

Bei seinem Schauspieldebüt als Maria hat ihm geholfen, dass die Dialoge im Film improvisiert sind, feste Regeln sind nichts für ihn. Gemeinsam mit Henrika Kull entwickelte er den Charakter der Maria, auch das Styling übernahm er. Maria sollte eigentlich Tänzerin sein, nicht Dichterin. „Aber ich kann echt nicht tanzen, ich bin wie ein Besenstiel“, sagt Hoya.

In dem Film liest Maria eines der Gedichte vor, dass er geschrieben hat. Es geht dabei um Weiblichkeit als Konstruktion, als Gefängnis. „Besonders als Sexarbeiterin ist das offensichtlich“, sagt Adam Hoya. „Du spielst die ideale Frau für jemanden.“

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