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Das "Stonewall" in der Christopher Street in New York.

© STAN HONDA/AFP

50 Jahre Stonewall-Aufstand: "Ich habe das erste Mal Stolz gespürt"

Für Ginny Apuzzo waren die "Stonewall"-Unruhen ein Wendepunkt in ihrem Leben. Seitdem kämpft sie für die Rechte der Homosexuellen.

Vom Ruhestand ist Virginia "Ginny" Apuzzo weit entfernt. "Ruhestand" - wie soll das auch gehen angesichts all dessen, was sie umtreibt? "Ich mache mir große Sorgen", sagt die 78-Jährige am Telefon in Oakland Park/Florida, wo sie inzwischen lebt, als Rentnerin mit einer Mission. "Es geht gerade wieder um alles." Der Anlass für dieses Gespräch ist natürlich der 50. Jahrestag der Unruhen rund um das Stonewall Inn. Damals wurde Ginny Apuzzo zu einer Vorkämpferin für die Rechte von Homosexuellen wurde. Und es bis heute ist.

Sorgen macht sich Apuzzo vor allem wegen des Mannes im Weißen Haus und seiner Politik, aber dazu später mehr. Denn erst einmal muss man verstehen, woher sie kommt. "Ich bin vor Beginn des Zweiten Weltkriegs geboren." In den 40er und 50er Jahren wuchs sie in der Bronx auf, einer Arbeitergegend von New York, die von italienischen und irischen Einwanderern geprägt war. Ihre eigene Familie gehörte auch dazu und war sehr katholisch.

"Das erste", so erzählt sie weiter, "was eine italienische Großmutter mir dir unternahm, war, in die Kirche zu gehen. Religion spielte eine große Rolle in meinem Leben." Offenbar war es dann auch fast zwangsläufig, dass Ginny Apuzzo in einen Orden eintrat. Schon da habe sie gewusst, dass sie anders sei, lesbisch, "aber ich dachte, ich wäre die einzige meiner Art, also behielt ich es für mich". Sie habe immer eine tiefe Scham wegen ihrer Andersartigkeit empfunden.

Der 28. Juni 1969 veränderte ihr Leben

Doch dann kam der 28. Juni 1969. In der New Yorker Christopher Street feierten Homosexuelle und Transgender wie so häufig in der Szenekneipe Stonewall Inn. Auf einmal stürmten Polizisten herein und schikanierten die Anwesenden. Ähnliche Razzien gab es immer wieder - aber dieses Mal wehrten sich die Feiernden, mit allem, was sie in die Hände bekamen. Der Stonewall-Aufstand nahm seinen Anfang. Tagelang kam die Gegend im Greenwich Village nicht zur Ruhe, hunderte versammelten sich hier Nacht für Nacht.

Vorkämpferin für Gleichberechtigung: Ginny Apuzzo.
Vorkämpferin für Gleichberechtigung: Ginny Apuzzo.

© Privat

In einer der Nächte war auch die damals 28-jährige Novizin Virginia Apuzzo dabei. "Ich hatte in der Zeitung von den Aufständen gelesen und musste mir das einfach selbst anschauen." Also machte sie sich auf den Weg. Vom Stadtteil Riverdale, wo sie seit zwei Jahren in dem vergleichsweise progressiven Konvent Mount Saint Vincent der Sisters of Charity lebte, in die Christopher Street. "Ich war so gespannt, was da vor sich ging."

Was sie fand, veränderte alles. "Ich habe das erste Mal Stolz gespürt. Es war wie frische Luft in meinem Leben." Sie wusste auf einmal, dass es viele wie sie gab, sie war nicht allein. Das sei eine spirituelle Erfahrung gewesen, sagt Apuzzo, die ihrem Leben eine Richtung gegeben habe. "Es war mir nicht wichtig, den eigentlichen Moment des Aufstands mitzuerleben. Wie so viele andere musste ich schlicht diesen Ort sehen, wo es passiert war, die Luft dort einatmen, erleben, wie mich diese Energie auflud." Alles schien plötzlich möglich.

Sie arbeitete für Bill Clinton

Und alles war möglich für Virginia Apuzzo. Kurz danach verließ sie den Orden, outete sich und begann eine offene Beziehung mit einer Frau. Sie lebten in Brooklyn, "in einer sehr toleranten Nachbarschaft", in der sie sich sicher fühlten. Zusammen begannen sie, sich für andere zu engagieren. Damit hat Virginia Apuzzo seit damals nicht aufgehört. Sie unterrichte, kämpfte für die Rechte von Homosexuellen und HIV-Positiven. "Ich hatte ja selbst erfahren, wie wichtig Freiheit ist, auch die Freiheit von Angst."

Sie wurde Geschäftsführerin der "National Lesbian and Gay Task Force", gründete das Hudson Valley LGBTQ Community Center und arbeitete im Arbeitsministerium in Washington. Im Jahr 1980 wurde sie die erste offen lesbisch lebende Delegierte beim Parteitag der Demokraten, für die sie auch das erste Bürgerrechtsprogramm für Homosexuelle mitentworfen hatte, "vier Jahre Arbeit steckten da drin". 1997, in der Regierungszeit von Bill Clinton, wurde die ehemalige Novizin dann als Assistentin des Präsidenten für Management und Verwaltung die höchstrangige lesbische Mitarbeiterin im Weißen Haus.

Aktiv gegen Trump

Sie war dabei, als die Vereinigten Staaten nach und nach liberaler und toleranter wurden, sie freute sich über die Erfolge. Auch darüber, dass an Stonewall und die frühen Vorkämpferinnen und Vorkämpfer inzwischen weltweit und jedes Jahr erinnert wird. Aber die Arbeit habe nicht einfach aufgehört, das zeigten die aktuellen politischen Entwicklungen - vor allem seit der Wahl von Donald Trump zum amerikanischen Präsidenten.

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Sie klingt alarmiert. "Wir sind mit einem Supreme Court konfrontiert, der uns unsere Rechte nehmen möchte." Und die Republikaner im Kongress hätten Angst davor, sich gegen Trump zu positionieren.

Daher will sie aufrütteln, auch als Rentnerin ist sie noch Aktivistin, befindet sich, wie sie sagt, "im Widerstand" gegen Trump. "Ich frage immer: Was machen wir jetzt mit der politischen Macht, die wir uns in all den Jahren erkämpft haben, sind wir bereit, sie zu teilen - nicht nur mit homosexuellen Menschen, sondern mit allen, die benachteiligt sind?" Natürlich freue es sie, wenn sie sehe, wie wohl sich junge, homosexuelle Leute heute in ihrer Haut fühlten, wie selbstverständlich Schwulsein inzwischen sei. Aber damit dürfe man sich nicht zufrieden geben, "wir müssen aufpassen und weiter Vorkämpfer für den sozialen Wandel sein". Virgina Apuzzo hat auch nach 50 Jahren noch eine Mission.

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