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Out and proud in der Schule. Schwule Lehrer beim Christopher Street Day.

© Waldemar Boegel/imago

40 Jahre AG Schwule Lehrer: "Noch immer haben Lehrer Angst sich zu outen"

Detlef Mücke gründete die AG Schwule Lehrer in der GEW. Ein Gespräch über Berufsverbote, sexuelle Vielfalt in der Schule - und was sich in 40 Jahren änderte.

Herr Mücke, seit 40 Jahren gibt es in Berlin die AG Schwule Lehrer in der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft. Sie sind Gründer der Gruppe, das Jubiläum wird am Donnerstag gefeiert. Was hat sich seit der Gründung beim Thema Homosexualität in der Schule getan – und was nicht?

Vor 40 Jahren hätte ich nicht gedacht, dass wir so weit kommen würden. Wir haben heute an vielen Berliner Schulen Diversity-Beauftragte, es gibt Handreichungen, wie man sexuelle Vielfalt für jede Altersgruppe angemessen im Unterricht behandeln kann. Allerdings muss man auch sagen: Es gibt trotz allem immer noch Kolleginnen und Kollegen, die Angst haben sich am Arbeitsplatz zu outen. Da bleibt weiterhin viel zu tun.

Warum haben Sie die Gruppe damals gegründet?

Früher war Homosexualität an Schulen ein absolutes Tabu, darüber sprach man einfach nicht. Als wir Anfang der 70er mit der Schwulenbewegung aktiv und sichtbar wurden, gab es Berufsverbote und Diskriminierung am Arbeitsplatz. Dagegen wehrten wir uns. Als Lehrer haben wir auch darüber nachgedacht, wie man Homosexualität als mit der Heterosexualität gleichberechtigte Lebensform darstellen kann. Im Rahmenplan wurde Homosexualität als ’besondere Form der Sexualität’ in einer Reihe mit Sodomie, Pädophilie und sexueller Gewalt genannt. Es gab einen einzigen Film zu dem Thema. Das Lernziel: Schüler sollen lernen, dass Homosexuelle Triebverbrecher sind. All das wollten wir ändern.

Wie waren die Reaktionen?

Wir brauchten die GEW als Bündnispartner, um uns bildungspolitisch zu engagieren. Natürlich gab es auch erstmal in der Gewerkschaft Widerstände. Homosexualität ist Privatsache, uns interessiert nicht, was ihr im Bett macht, wurde da gesagt. Wir antworteten: Wir wollen gar nicht erzählen, was wir im Bett machen – es geht um Diskriminierung am Arbeitsplatz. Den Kampf dagegen hat man sich in der GEW dann aber schnell zu eigen gemacht. Ein großer Erfolg war auch, dass sich als Folge unserer Initiative der Deutsche Gewerkschaftsbund für die Abschaffung des Paragrafen 175 aussprach. Das kam dann allerdings erst 1994.

Detlef Mücke hat vor 40 Jahren die AG Schwule Lehrer bei der Berliner GEW gegründet. Bis 2007 war er Lehrer an der Hermann-von Helmholtz-Schule in Berlin-Neukölln.
Detlef Mücke hat vor 40 Jahren die AG Schwule Lehrer bei der Berliner GEW gegründet. Bis 2007 war er Lehrer an der Hermann-von Helmholtz-Schule in Berlin-Neukölln.

© privat

Ab wann hatten Sie das Gefühl, dass Sie mit Ihren Forderungen auch in der Politik gehört werden?

Ein großer Durchbruch war Anfang der 90er Jahre. Es war ein trauriger Anlass: Jugendliche Neo-Nazis überfielen das Gründerzeitmuseum von Charlotte von Mahlsdorf.

Charlotte war die bekannteste trans Person der DDR und nach der Wende vielleicht ganz Deutschlands.

Die Presse fragte nach diesem Überfall: Hat bei den Tätern die Sexualerziehung versagt? Wir machten danach unsere Schriftwechsel mit Berliner Politikern öffentlich, um zu zeigen, dass schon deren Einstellung Teil des Problems ist.

Was stand da drin?

Ein Beispiel: Der damalige Schulsenator Kleemann (CDU) lehnte ab, dass queere Jugendgruppen am Schwarzen Brett von Schulen über sich informieren – denn dies ’betreffe das außerschulische Intimverhalten der Schüler’, ’biologisch normal sei die Heterosexualität’. ’Ein isoliertes Auftreten von Schwulen und Lesben in der Schule würde fast zwangsläufig zu einer Werbeveranstaltung degenerieren’, das waren Kleemanns Worte. Das Abgeordnetenhaus sagte nun: Das müssen wir ändern. In Berlin wurden Aufklärungsprojekte angeschoben, danach auch bundesweit. Der nächste große Schritt kam, als mit Ingrid Stahmer eine SPD-Politikerin die Schulverwaltung als Senatorin übernahm. 2001 führte sie neue Sexualkunderichtlinien ein, die alten waren noch von 1972. Es wurden Handreichungen für den Unterricht über gleichgeschlechtliche Lebensweisen entwickelt.

Braucht man eine solche Gruppe heute überhaupt noch?

Wie gesagt: Es outen sich bei weitem nicht alle Lehrkräfte am Arbeitsplatz, aus Angst vor Diskriminierung und Verächtlichmachung. Wir wollen die Kollegen ermutigen, offen mit ihrer sexuellen Identität umzugehen. Die allermeisten, die diesen Schritt gehen, berichten von positiven Erfahrungen. Und natürlich gibt es immer noch viele Fragen und auch Vorbehalte bei Jugendlichen. Die muss man ernst nehmen.

Sexuelle Vielfalt in der Schule wird von der AfD, aber auch von Teilen der CDU/CSU als politisches Kampfthema genutzt, Stichwort "Frühsexualisierung". Wie geht man damit um?

Erstmal: Man muss ganz deutlich sagen, dass das eine Minderheit von Eltern ist. Die bestimmen aber leider oft den öffentlichen Diskurs. Laut einer Studie der Antidiskriminierungsstelle befürworten 90 Prozent der Eltern sexuelle Aufklärung in der Schule und sagen, es wird eigentlich viel zu wenig gemacht. Es geht bei dem Thema ja nicht nur um Homosexualität, sondern auch um das Bild, das wir von Frauen haben, wie Familie aussehen soll. Die Reklame-Familie mit Vater, Mutter, Kindern ist wunderbar – aber die Lebensrealität vieler Kinder und Jugendlicher sieht halt anders aus, denken Sie an Kinder von Alleinerziehenden oder in Regenbogenfamilien. Auch deren Alltag muss in der Schule abgebildet werden.

Was ist mit lesbischen Lehrerinnen, vertreten Sie die etwa nicht mit?

Zu Beginn waren Schwule und Lesben gemeinsam in der Gruppe. Die Lesben fühlten sich dann eher der Frauenbewegung zugehörig und gründeten in Berlin eine eigene Gruppe. Zwischen den beiden Gruppen gibt es natürlich Kontakt - und bundesweit treten Lesben und Schwule in der GEW gemeinsam auf.

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