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Kitsch? "Genau den wollte ich ergründen", sagt der Sammler.

© "Postcards", Christoph Merian Verlag

Postkartensammler Beat Schlatter: „Essen gut, Wetter auch“

Seit 30 Jahren sammelt der Schweizer Kabarettist Postkarten. Nun präsentiert er seine Schätze in einem Buch

Beat Schlatter, 58, ist ein Schweizer Kabarettist, Schauspieler und Drehbuchautor. Er lebt in Zürich. Sein Buch „Postcards“ (256 Seiten, 32 Euro) ist im Christoph Merian Verlag erschienen.

Herr Schlatter, Sie sammeln Postkarten und sagen, diese seien „wie ein guter Popsong“. Wie meinen Sie das?
Ein gutes Lied ist sofort verständlich und mit Emotionen verbunden, mit Erinnerungen: an eine Strandparty, den ersten Kuss oder an die schmerzhafte Begegnung mit einer Feuerqualle. Eine Postkarte kann eine ähnliche Wirkung entfalten.

Wie groß ist Ihre Sammlung?
Ich habe mehr als 3000 Postkarten und wahrscheinlich jede davon fünf Mal in den Fingern gehabt, um die Auswahl für das Buch zu treffen.

Beat Schlatter lebt in Zürich.
Beat Schlatter lebt in Zürich.

© promo

Ihre Wahl fiel auf Blumenbouquets vor dem Rhonegletscher, Wasserspiele vor dem Eiffelturm. Oftmals ganz schöner Kitsch.
Genau den wollte ich ergründen und in über 200 Seitenkompositionen thematisieren, ihn gar überhöhen, aber nie ins Lächerliche ziehen. Kitsch hat viel mit Stereotypen und Klischees zu tun, gleichzeitig aber auch mit zutiefst menschlicher Sehnsucht und Vorstellungskraft.

Ihre Auswahl deckt vor allem die 1960er bis 1980er Jahre ab, eine vergangene Welt.
Nostalgie ist natürlich dabei. Die Nostalgie stimuliert nicht nur Erinnerungen an das eigene Leben, sondern kann gleichzeitig zu neuen Träumen und zu neuer Lebenslust führen.

San Remo, Italien.
San Remo, Italien.

© "Postcards", Christoph Merian Verlag

Wann haben Sie Ihre erste Postkarte geschrieben?
Als Kind war das Pflicht, wenn wir im Urlaub in Engelberg waren oder ich den Sommer in einer Ferienkolonie verbrachte. Die ersten Postkartengrüße, die ich an meine Großmutter geschrieben habe, waren voller Fehler. V statt F und umgekehrt …
Und Sie schreiben bis heute?
Ja. Aber ich mag nur das klassische Format. Es gibt Karten, die sind ein Stückchen größer. Die hasse ich wie die Pest! Ich habe mir über die Jahre maßgeschneiderte Lagerkisten schreinern lassen. Sind die Karten etwas breiter und höher, dann biegt das links und rechts die Ränder weg oder der Deckel geht nicht mehr richtig zu. Furchtbar!

In dem Buch sind die Postkarten thematisch sortiert. Immer zwei auf einer Seite.
In dem Buch sind die Postkarten thematisch sortiert. Immer zwei auf einer Seite.

© Foto: "Postcards", Christoph Merian Verlag

Im Vorwort zu Ihrem Buch schreiben Sie, ein Grund für das Sammeln sei, dass „auch in der digitalisierten Welt die Postkarte als Kommunikationsmittel lebendig erhalten wird.“
Ich bin eigentlich überhaupt kein Retromensch. Aber wenn man heute in den Ferien ein Foto macht, kann man das sofort und massenhaft verschicken. Beim Schreiben einer Postkarte an die Liebste oder an einen Freund nimmt man sich viel mehr Zeit. Ich muss mich auf ein Motiv festlegen und leserlich schreiben. Dann eine Marke finden, die gibt es im Ausland ja oft nicht im selben Laden. Schließlich einen vertrauenswürdigen Briefkasten suchen. Da habe ich mit größter Liebe Postkarten geschrieben, und dann kamen die nie an.

Andererseits könnte man argumentieren, dass Instagram und Co viel näher an der ursprünglichen Idee der Postkarte sind. Zwischen 1900 und 1915 waren die in einer Stadt oft nur zwei Stunden unterwegs, mitunter wurde bis zu elf Mal am Tag zugestellt.
Ja, aber wie schaut man diese Bilder an, wenn sie so im Überfluss kommen? Ich lebe in Zürich, wo es normalerweise jeden Tag drei Kulturangebote gibt, die man wirklich sehen will. Im Briefkasten stapeln sich die Einladungen. Eine beschriebene Postkarte ist immer noch etwas sehr Einzigartiges.

Gargano,Italien
Gargano,Italien

© Foto: "Postcards", Christoph Merian Verlag

Bei der Einführung der Postkarte Mitte des 19. Jahrhunderts befürchtete der preußische Generalpostdirektor Karl Ludwig Richard von Philipsborn sittlichen Verfall. Nicht ganz zu Unrecht, wenn man sich die Masse an „Nackedeikarten“ anschaut, von denen Sie einige dokumentieren.
Pornografische Postkarten interessierten mich überhaupt nicht. Aber wie gleichartige, erotische Sujets den Blick lenken, ist interessant. Auf einigen Postkarten der 1970er und 1980er Jahre posierten oftmals dieselben mit knappen Tangas bekleideten Models vor einer einladenden Meeresbucht in St. Tropez, in Rimini oder Malaga – der Hintergrund war austauschbar. Auffallend, dass eine solche Postkarte nie vor Schweizer Sehenswürdigkeiten gemacht wurde. Vor zwei Jahren habe ich das mit einem Kunstprojekt nachgeholt und suchte dafür keine Models, sondern ganz gewöhnliche Männer und Frauen. Ich wurde mit Anfragen überrannt.

Die Rückseiten Ihrer Sammlung dokumentieren Sie gar nicht. Warum?
Das wäre ein ganz anderes Buchkonzept. Unter den Absendern befinden sich Freunde und Bekannte, die in der Schweiz, aber auch international bekannte Namen geworden sind. Aber die Texte hätten vom Bildzauber abgelenkt. Bei einigen Postkarten stand auch bloß: „Essen gut, Wetter auch“.

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