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Pedro Almodóvar: Alles über meine Frauen

Star-Regisseur Pedro Almodóvar dreht Filme über Mütter, Nonnen, Mädchen. Hier enthüllt er seinen femininen Kosmos.

In den vergangenen 35 Jahren habe ich 19 Filme gedreht, nur in drei von ihnen spielen Frauen keine Hauptrolle. Damit habe ich mir den Ruf erworben, ein Regisseur von Schauspielerinnen zu sein. Dass diese so gern mit mir zusammenarbeiten, liegt, glaube ich, auch daran, dass sie es mögen, wenn man ihnen klare Anweisungen gibt. Viele beklagen sich bei mir, dass die meisten Regisseure nicht intensiv genug mit ihnen arbeiten. Doch gerade Schauspielerinnen brauchen viel Aufmerksamkeit und Zeit, bis sie locker sind und zu Dingen bereit, die sie sich normalerweise nicht trauen würden.

Ich probe immer alle Szenen vor dem Dreh, wie beim Theater. Das gibt allen Schauspielern die nötige Sicherheit und mir die Möglichkeit, die Rolle noch mal an den Charakter des jeweiligen Darstellers anzupassen. Ich glaube, diese enge Zusammenarbeit ist es, die vor allem die Frauen meines Metiers an mir schätzen.

Ganz automatisch schreibe ich fast alle Rollen für Frauen. Das liegt möglicherweise daran, dass ich ausschließlich mit Frauen aufgewachsen bin. In Kastilien-La Mancha der 50er Jahre verbrachten wir Kinder den ganzen Tag mit unseren Müttern. La Mancha ist zwar eigentlich ein Ort, wo die Männer das Sagen haben, aber als Väter und Großväter waren sie so gut wie immer abwesend. Sie kamen erst spätabends vom Feld zurück, da waren wir meist schon im Bett.

Bis ich etwa acht, neun Jahre alt war, saß ich jeden Tag mit meiner Mutter in den Innenhöfen der Nachbarinnen oder am Fluss, wo die Frauen die Wäsche wuschen. Ich hörte alle Geschichten, die im Dorf kursierten: den neuesten Klatsch, aber auch Skurriles, wie die angeblichen Besuche der Verstorbenen, ein Motiv, das ich im Film „Volver – Zurückkehren“ aufgegriffen habe.

Auch als ich erwachsen war, hat meine Mutter mich stark beeinflusst, vor allem als sie in den 80er Jahren mit meinen Schwestern von La Mancha nach Madrid zog. Sie stand beinahe für alle meine Frauenrollen Modell. Dass die Frauen in meinen Filmen immer stark sind, kämpferisch und moralisch frei, verdanken sie dem Beispiel meiner Mutter. Ihren Charakter habe ich immer mit dem von anderen Frauen vermischt, mit dem von Frauen in meinem Alter, von modernen Frauen aus der Stadt, die ich in Madrid scharenweise kennengelernt habe.

Die Frauen in meinen Filmen haben daher alle etwas von den Frauen vom Land. Sie sind stark wie meine Mutter, haben genauso viel Humor wie sie. Gleichzeitig besitzen sie den freiheitlichen Geist der Frauen, die in der Stadt überleben, für sich selbst sorgen und keine Vorurteile gegenüber anderen kennen.

So bin ich hoffentlich auch: ein unschuldiges Kind, das keine Tabus kennt. Ich probiere alles aus, spreche in meinen Filmen alle Themen und alle Milieus an, ohne Grenzen im Kopf. Mit vielen Filmen habe ich deshalb das Publikum verstört. Dabei war Provokation nie meine Absicht. Selbst mit einem meiner ersten Filme, „Das Kloster zum heiligen Wahnsinn“ von 1983, der von drogenabhängigen und lesbischen Klosterschwestern handelt, wollte ich nicht provozieren.

Ich will einfach Geschichten erzählen. Und zwar in dem Ton, auf den ich gerade Lust habe. Jeder Film hat viel mit meiner Lebenssituation zu tun. Es gibt Momente, da bin ich introvertiert, sehe wenige Menschen, zu anderen Zeiten bin ich extrovertiert und gehe viel aus. Meine Filme handeln auch immer davon, wie ich mein Land zu einer bestimmten Zeit erlebe, sie sind vom jeweiligen historischen Kontext beeinflusst, davon, was ich auf den Straßen von Spanien gesehen habe. Die ersten Werke sind Zeugnisse jener Zeit, als die Demokratie in Spanien ankam. Sie sind ziemlich verrückt, die gefühlte Freiheit war damals grenzenlos. Im aktuellen Film „Fliegende Liebende“ schwingt die Verunsicherung mit, die gerade in der spanischen Gesellschaft herrscht.

Ich überarbeite jedes Buch mindestens zehn Mal

Wenn ich ein Drehbuch schreibe, weiß ich normalerweise noch nicht, welcher Schauspieler welche Rolle spielt. Erst bei der ersten Überarbeitung fange ich an, über die Besetzung nachzudenken. Und ich überarbeite meine Bücher sehr oft, mindestens zehn Mal. Dabei passe ich meine Figuren langsam an die Schauspieler an, die ich mir für die Rolle wünsche.

Victoria Abril – sie war spektakulär in „Kika“, da spielte sie eine durchgeknallte Fernsehjournalistin in hautengen Lackkostümen von Jean-Paul Gaultier und Gianni Versace – hat einmal über mich gesagt, mich würden nur Granaten und Omas als Schauspielerinnen interessieren. Das stimmt nicht. In meinen Filmen kommen alle Generationen vor: Mädchen, Jugendliche, Alte, schöne Frauen, extravagante Frauen. In „Fliegende Liebende“ spielen eine 40-Jährige, eine 20-Jährige und eine 60-Jährige mit.

Abril zielte mit dem Satz wohl unter anderem auf meine langjährige Zusammenarbeit mit der „Oma“ Chus Lampreave ab. Sie war zum Beispiel die Erotikromane schreibende Klosterschwester Straßenratte aus „Das Kloster zum heiligen Wahnsinn“ oder die zu den Zeugen Jehovas gehörende Pförtnerin aus „Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs“. Eine Zeitlang schrieb ich tatsächlich viele Rollen für ältere Frauen, sie waren von meiner Mutter inspiriert, und Chus Lampreave war dafür die ideale Besetzung.

Andererseits habe ich viel mit attraktiven jungen Frauen gedreht, mit Victoria Abril selbst, aber auch mit Penélope Cruz. Sie arbeitete zum ersten Mal 1997 in „Live Flesh – mit Haut und Haar“ mit mir, da ist sie eine gebärende Prostituierte. Oder mit Elena Anaya, die zuletzt die gehäutete Protagonistin in „Die Haut, in der ich wohne“ war. Aber eigentlich interessieren mich Frauen jeden Alters.

Wichtig ist, dass meine Schauspielerinnen wie meine Figuren frei von Vorurteilen sind, Witz haben und ausdrucksstarke Gesichter. Solche Darstellerinnen brauche ich. Das können klassisch schöne Frauen sein wie Penelope Cruz oder Cecilia Roth, die in „Fliegende Liebende“ eine gealterte Erotikikone und Chefin eines Callgirlrings spielt, oder fotogene, ungewöhnliche Frauen wie Rossy de Palma. Sie hat eine relativ große geschwungene Nase, wie aus einem Picasso-Gemälde. Unter anderem war sie in „Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs“ die Freundin von Antonio Banderas.

Nie würde ich Penelope Cruz oder Cecilia Roth oder irgendeine andere Schauspielerin, mit der ich zusammen gearbeitet habe, übrigens als „mein Mädchen“ bezeichnen. Der Begriff „Chica Almodóvar – Mädchen von Almodóvar“ ist eine Erfindung der spanischen Medien.

Viele Schauspielerinnen sind mit der Zeit gute Freundinnen geworden. Das liegt eben an der engen Zusammenarbeit während des Drehs. In der Zeit hat die Beziehung mit mancher Schauspielerin fast etwas von einer Liebesromanze. Man verbringt schließlich fast eineinhalb Jahre miteinander – denn nach dem Dreh kommen die Interviewrunden, die Premieren und viele damit verbundene gemeinsame Reisen.

Wie bei einem Liebespaar fußt die Beziehung auf Leidenschaft, auf Lust – nicht im sexuellen Sinn, sondern im Sinne von Lust an der Arbeit – und auf einem gemeinsamen Alltag. Wenn die Beziehung eine bestimmte Tiefe hat, wird es oft kompliziert, wie bei einem Liebespaar, vor allem, wenn der Film abgeschlossen ist, wenn die Beziehung also eine neue Stufe erreicht. Wie bei zwei Liebenden kann es dann Probleme geben.

Es hängt von vielen Dingen ab, ob die Freundschaft mit einer Schauspielerin über den Film hinaus funktioniert. Vom Menschen, von den Lebensumständen. Nur mit einer Schauspielerin habe ich endgültig gebrochen, nachdem wir jahrelang eine sehr enge Beziehung hatten: mit Carmen Maura. Sie war die Hauptdarstellerin in meinem ersten kommerziell erfolgreichen Film „Pepi, Luci, Bom und der Rest der Bande“ und überhaupt in meinen ersten Filmen. Bei den Dreharbeiten von „Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs“ im Jahr 1988 gerieten wir aber aneinander.

Ich habe lange versucht, die Beziehung zu kitten. Auf der Verleihung des spanischen Filmpreises Goya 1990 habe ich ihr in einer Rede sogar zugerufen: „Wenn die Deutschen es schaffen, eine Mauer niederzureißen, die sie 40 Jahre trennte, warum können wir nicht die Mauer einreißen, die uns trennt?“ Es hat leider nicht funktioniert. Fast 20 Jahre später haben wir uns kurzzeitig zusammengerauft, in „Volver“ spielt Carmen den Geist der toten Mutter. Aber unsere Freundschaft ließ sich nicht wiederbeleben.

Es ist schwierig, eine Beziehung zu beenden. Vor allem für Männer. Wir sind weniger direkt, wenn es darum geht, Schluss zu machen. Wir sagen nicht „Ich gehe“ oder „Bis hierhin und nicht weiter“. Ich glaube, Männer lügen deshalb mehr als Frauen, wenn eine Beziehung auf das Ende zugeht.

Eine enge Verbindung habe ich zum Glück nach wie vor zu Penélope Cruz. Sie ist meine beste Freundin, obwohl wir wegen des Altersunterschieds kaum Gemeinsamkeiten haben. Sie ist mehr als 20 Jahre jünger als ich. Trotzdem telefonieren Penélope und ich mehrmals pro Woche. Für sie bin ich so was wie ein Vater im Filmgeschäft. Sie vertraut mir Dinge an, die sie keinem anderen erzählen könnte, und fragt mich um Rat. Ich mag ihre Mischung aus kompletter Unschuld und großer Leidenschaft.

Sie sehen schon, Beziehungen sind kompliziert. Ich möchte nicht sagen, dass sie vorübergehender Natur sind. Aber ich glaube, sie sind oft nicht anpassungsfähig genug. Es ist besser, eine Freundschaft zu beenden, als über einen langen Zeitraum schlechte Launen auszuhalten. Ich habe Paare kennengelernt, bei denen man sofort merkt: Ah, die gehören für immer zusammen, die werden zusammen alt. Das ist aber die Ausnahme. Ich habe noch nie jemanden getroffen, bei dem ich wusste: Das ist was für immer.

Aufgezeichnet von Veronika Frenzel. Der neue Film von Pedro Almodóvar, „Fliegende Liebende“, ist ab Donnerstag im Kino zu sehen.

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