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In die Fußgängerzone in Istanbul dürfen am Wochenende nur Touristen.

© Susanne Güsten

Zutritt nur für Touristen: In der Türkei gilt die Ausgangssperre nur für Einheimische

An Wochenenden gilt in der Türkei eine Ausgangssperre, aber ausländische Besucher dürfen sich frei bewegen und erleben ein Land der Leere.

Fast menschenleer liegt der Taksim-Platz in Istanbul in der Wintersonne, denn in der Türkei gilt wochenends Ausgangssperre wegen des Coronavirus – nur ab und zu fährt ein Doppeldecker-Bus vor und lässt Touristen aussteigen. „Halt, Passkontrolle“, rufen die Polizisten an den Absperrungen, mit denen die Fußgängerzone abgeriegelt ist. Wer einen ausländischen Pass vorzeigen kann, wird durchgelassen und darf bummeln gehen, doch Türken dürfen nicht hinein und müssen sich obendrein fragen lassen, was sie überhaupt draußen verloren haben.

Von Freitagabend bis Montagmorgen dürfen Einwohner der Türkei wegen der Pandemie nicht weiter aus dem Haus als bis zum nächsten Krämer, aber für Touristen gilt die Ausgangssperre nicht – sie dürfen sich frei in der menschenleeren Stadt bewegen. Ein außergewöhnliches Erlebnis, wie viele von ihnen finden, mit guten und mit schlechten Seiten.

Keine Warteschlangen

Sehr angenehm sei es, ohne Warteschlangen überall hinein zu kommen, finden Mike und Tina, ein Touristenpaar aus dem US-Staat North Carolina. Die beiden waren gerade auf dem mittelalterlichen Galata-Turm, um die Aussicht über die stille Stadt zu genießen. Anstehen mussten sie dafür nicht – nur die Pässe vorzeigen, um zu beweisen, dass sie Touristen sind.

Die Flitterwöchner Marta und Niel Barnard aus Südafrika während der Ausgangssperre auf dem Taksim.
Die Flitterwöchner Marta und Niel Barnard aus Südafrika während der Ausgangssperre auf dem Taksim.

© Susanne Güsten

Jetzt stehen sie vor einem Imbiss in der leeren Einkaufsstraße und lassen sich ein Paket zum Mitnehmen schnüren, denn Restaurants und Lokale haben alle geschlossen – ein klarer Nachteil des Lockdowns, findet das Pärchen, denn gutes Essen gehöre für sie eigentlich zum Urlaub. Trotzdem wolle er sich nicht beklagen, sagt Mike, der sich in Istanbul einer Haartransplantation unterzogen hat: Für einen Monat in der Türkei mit Mittelmeer und Istanbul habe er für sich und seine Freundin einschließlich der Transplantation nicht mehr bezahlt, als zuhause der Eingriff allein gekostet hätte.

Öffentliche Kritik ist selten geworden

Der türkischen Tourismusbranche steht das Wasser bis zum Hals. Die Türkei verzeichnete während der ersten Coronavirus-Welle im Frühjahr ein Besucherminus von zeitweise 99,9 Prozent gegenüber dem Vorjahr – einen kompletten Kahlschlag, den die Branche nicht noch einmal erleben will. Seither erholten sich die Zahlen zwar etwas und lagen im Herbst rund 60 Prozent unter Vorjahresniveau; insgesamt werde der Sektor zum Jahresende aber um 70 Prozent geschrumpft sein, sagte Tourismusminister Nuri Ersoy kürzlich.

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Einen neuen Besucher-Kahlschlag in der zweiten Welle will die Regierung unbedingt vermeiden, deshalb bleiben Touristen von den Ausgangssperren ausgenommen. Nicht alle Türken finden das einleuchtend oder erfreulich, doch gemurrt wird nur privat – öffentliche Kritik ist in der Türkei selten geworden.

Günstiger Preis

Die meisten Touristen können gut damit leben. Wunderbar zum Sightseeing finden Marta und Niel Barnard, ein frischgebackenes Ehepaar aus Südafrika, die Ruhe in der Stadt. Die Flitterwöchner sehen sich gerade auf dem Taksim um; die Altstadt, die Prinzeninseln und den großen Basar haben sie noch auf dem Zettel.

Nach Istanbul gezogen hat sie der günstige Preis: Für eine Woche in der Türkei bezahlen sie einschließlich der Langstrecken-Flüge nicht mehr, als ein Hotel sie in Südafrika gekostet hätte. Die ausbleibende Nachfrage und der Wertverfall der Lira haben die Preise in der Türkei abstürzen lassen. „Wir haben das Hotel auf umgerechnet 15 Euro die Nacht herunterhandeln können“, berichtet ein deutsches Paar in der Fußgängerzone; normalerweise hätte ihr Zimmer 40 oder 50 Euro kosten sollen.

Menschenleere Strände

Anderswo in der Türkei erfreuen sich Urlauber an menschenleeren Stränden und Ausgrabungen. In Antalya badeten Ausländer am Wochenende bei Temperaturen von über 20 Grad im Meer, während die Einheimischen zuhause bleiben mussten und die Belegung der Intensivstationen in der Stadt auf 71 Prozent stieg, wie die Zeitung „Cumhuriyet“ meldete.

Passkontrolle an der Bummelmeile: Türken müssen draußen bleiben.
Passkontrolle an der Bummelmeile: Türken müssen draußen bleiben.

© Susanne Güsten

Der Strand von Antalya gehöre nun den Hunden und Touristen, bemerkte das Blatt bissig. Auch in Kappadokien und in Ephesus sei es ohne das Gedränge sehr angenehm gewesen, berichtet ein Chilene, der mit seiner Tochter auf einer großen Rundreise durch die Türkei ist und nun mit ihr vor dem Galata-Turm in Istanbul steht.

Historischer Anblick

Die Verpflegung sei trotz geschlossener Restaurants kein Problem gewesen, denn Hotels dürfen ihre Gäste weiterhin bewirten – aber nur solche, die dort wohnen. Enttäuschend sei nur, dass wegen der Ausgangssperre die Geschäfte am Wochenende geschlossen sind, findet eine pakistanische Ärztin aus Abu Dhabi, die mit ihrem Sohn für einem zehntägigen Städteurlaub in Istanbul ist und sich vor allem auch auf das Shopping gefreut hatte.

Nun darf sie zwar in die Einkaufsstraße, doch kaufen kann sie dort nichts – bis auf die Imbissbuden und ein paar Andenkenläden haben alle Geschäfte die Rollladen unten. Ein kleiner Wermutstropfen sei das aber nur für sie, denn von Montag bis Freitag haben alle Läden wieder offen – und dann dürfen auch die Türken wieder raus. Ob man es nun gut finde oder schlecht, sagt Jan, ein Besucher aus Sankt Petersburg, es sei auf jeden Fall besonders: „Ein historischer Anblick: Istanbul menschenleer“.

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