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Kenny Rogers bei einem Auftritt 1979.

© imago images/ZUMA Press

Zum Tod von Kenny Rogers: „Lucille“ war der Titel seines Lebens

Die Country-Legende Kenny Rogers ist tot. Eine Würdigung von Michael Holm, dem deutschen Sänger ("Mendocino"), Songwriter und Musikproduzenten.

Kenny Rogers, der jetzt mit 81 Jahren in Georgia gestorben ist, gehörte zu den großen Geschichtenerzählern der Countrymusik. Das Besondere war, dass seine Geschichten von gebrochenen Charakteren handelten. Keiner hat die Verlierer so oft und liebevoll porträtiert wie er, in einer Art, die die Hörer ihm abgenommen haben. Er hat den Losern eine Stimme gegeben.

In „Ruby, Dont Take Your Love to Town“, Kennys Hit von 1969, der von Waylon Jennings geschrieben wurde, geht es um eine Frau, die in die Stadt geht, um sich zu prostituieren. Ihr Mann ist ein Vietnamkriegsveteran, der im Rollstuhl sitzt, ihr beim Schminken zusieht und sie vergeblich anfleht zu bleiben.

„Lucille“, das Lied, mit dem Rogers 1977 den weltweiten Durchbruch schaffte, ist ähnlich. Ein Barbesucher wird von einer attraktiven Frau angemacht, die ihm erzählt, dass sie ein neues Leben beginnen will. Dann kommt ihr Mann dazu, ein bärenhafter, kräftiger Typ, schmeißt ihr den Ehering vor die Füße und sagt: „You’ve picked a fine time to leave me, Lucille.“

Für uns in Deutschland ist Johnny Cash der Inbegriff von Country. Er verkörpert das Gegenteil von Kenny Rogers: den Rebellen und Hobo. Kenny hingegen war einer, der mit sich im Reinen ist. So kam er jedenfalls rüber. Das war auch seine Rolle im Country: Dinge anzusprechen, die andere nicht hip, nicht chic finden. Seine helle, rauchige Baritonstimme passte sehr gut dazu.

Rogers war in der Regel nicht der Autor, hatte aber eine sehr gute Hand dafür, welcher Song zu ihm passte. In den USA stieg er mit diesem Instinkt zu einer riesigen Größe auf, was seine Plattenumsätze und die Zahl der Fans angeht. Er hatte 22 Nummer-Eins-Hits und verkaufte mehr als 125 Millionen Platten.

Der Sänger von nebenan

Das geht schon fast in die Elvis-Dimension. Zugute kam ihm, dass er nicht elitär, nicht ausgeflippt war. Er war der Sänger von nebenan. Einer, mit dem man gerne grillen würde.

Wenn man seine Stücke hört, bekommt man Mitleid mit dem Verlassenen. Sonst gibt es in Amerika oft diese „Somebody did somebody wrong“-Songs, in denen Frauen verletzt, hintergangen, betrogen werden. Rogers dreht die Perspektive um, er zeigt, dass Männer genauso schwer an der Liebe leiden können.

Bei ihm können Männer auch schwach sein, das macht ihn in einem muskulösen, oft mackerhaften Genre wie Country so ganz anders. Hört her: Männer sind verletzlich. Bis dahin waren Männer immer die Macher, Frauen blieben in der passiven Rolle. Kenny besingt Frauen, die ganz aktiv ihr Leben in die Hand nehmen, ohne Rücksicht auf Verluste.

Für Kenny Rogers war „Lucille“ der Titel seines Lebens. Bemerkenswert ist, dass es eben nicht zum Streit, zum Showdown kommt. Der Ehemann ist fertig, nicht mehr bereit zu kämpfen. Lucille hingegen ist eine lustige, lebensfrohe Person. Das wäre nicht schlimm, aber die Situation ihrer Familie, ihrer Kinder scheint ihr egal zu sein.

Ich war sofort verliebt in den Song

Mich hat Anfang 1977, gleich nachdem „Lucille“ in Amerika erschienen war, der Chefpromoter der Plattenfirma Ariola, bei der ich unter Vertrag war, angerufen. Er schwärmte von einem fantastischen Song, den ich mir unbedingt anhören müsse. Ich war sofort verliebt in die Nummer und die Geschichte. 

Den Text, den ich dann für meine Version schrieb, ist relativ nahe am Original gehalten. Allerdings spielt mein Stück nicht mehr konkret in Toledo, Ohio, sondern in irgendeiner Bar irgendwo auf der Welt. Es ist ja eine universelle Geschichte.

„Lucille“ hat in meiner Fassung kein offenes Ende. Der Fremde und die Frau kommen nicht zusammen. Am Ende heißt es: „Doch mit ihr gehen wollte ich nicht / Denn was sie sagte, das konnt’ ich nicht glauben / Und es klang mir im Ohr, wie ihr Mann zu ihr spricht.“
Leider durfte ich Kenny Rogers nie persönlich kennenlernen. Aber ich habe ihn immer bewundert.
Protokolliert von Christian Schröder.

Michael Holm

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