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An Bulgariens Schwarzmeerküste gibt es derzeit viel Platz für Urlauber. Unsicher ist, ob diese wirklich wieder alle kommen werden.

© OLiver Bilger

Zuflucht am Schwarzen Meer: Hotels in Bulgarien wollen Urlauber statt Ukrainer

Bulgarien hilft Flüchtlingen und Gastgewerbe – indem Ukrainer in Hotels untergebracht werden. Doch jetzt sollen wieder Touristen am Schwarzen Meer einchecken.

Von Oliver Bilger

Die Flüchtlinge sollen gehen, die Urlauber kommen - so lautet kurz gefasst der Plan der bulgarischen Regierung für die bevorstehende Strandsaison. In den Hotelanlagen am Schwarzen Meer leben derzeit Zehntausende aus der Ukraine Geflohene. Als in ihrer Heimat der Krieg ausbrach, hatte die Regierung in Sofia eine Idee: Flüchtlinge belegen die leerstehenden Bettenburgen und Ferienhäuser.

Der Staat zahlt deren Betreibern 40 Lewa (knapp 20 Euro) pro Person am Tag. So ist nicht nur jenen geholfen, die unter der russischen Aggression leiden, sondern auch den Hoteliers, die in den vergangenen beiden Pandemie-Sommern eine Besucherflaute aushalten mussten.

Für das Tourismusministerium, neben dem Gastgewerbe plötzlich auch zuständig für Kriegsflüchtlinge, waren zwei Nöte auf einmal gelindert.

Doch bis zum 31. Mai sollen die Flüchtlinge Platz machen, damit die Strandtouristen einchecken können. Denn die Feriengäste bringen mehr Geld in die Kassen von Hotels, Gastronomen oder Souvenirhändlern.

Die Entscheidung für die Unterbringung in Hotels „war unkonventionell, aber aus vielen Gründen mehr als richtig“, erklärte Vize-Premierministerin Kalina Konstantinowa vor wenigen Tagen in einer Videoansprache. So sei es möglich gewesen, „schnell und sicher Unterkunft und Essen, Sicherheit und Ruhe zu geben“.

Aber die Urlaubssaison sei von großer Bedeutung: „Dieser Wirtschaftszweig sichert den Lebensunterhalt vieler Bulgaren und ihrer Familien, er macht einen erheblichen Prozentsatz unseres BIP aus, und es ist unsere Pflicht, eine erfolgreiche Sommersaison für Bulgarien zu gewährleisten“, erklärte Konstantinowa.

60.000 Flüchtlinge in Hotels

In den Ferienanlagen und Restaurants entlang der Schwarzmeerküste laufen die Vorbereitungen. Überall wird gehämmert und geschraubt, verputzt und neu gestrichen. Zur gleichen Zeit wird der Umzug der Flüchtlinge vorbereitet.

Fast 250.000 Menschen aus der Ukraine sind seit Kriegsbeginn nach Bulgarien gekommen. Viele der meist Frauen mit Kindern reisten weiter, doch gut 100.000 planen vorerst im Land zu bleiben. Etwa 60.000 sind offiziellen Angaben zufolge in Hotels untergebracht. Die einen fliehen vor Bomben, andere aus ihrem Alltag.

Vor Corona war der Goldstrand eine Partymeile für feierwütige Urlauber aus ganz Europa.
Vor Corona war der Goldstrand eine Partymeile für feierwütige Urlauber aus ganz Europa.

© imago/EST&OST

In der Rummelatmosphäre am Sonnenstrand etwa treffen die ersten Grüppchen junger Männer, oft aus Großbritannien oder Deutschland, bei der Suche nach günstigem Alkohol und Vergnügen, auf Ukrainer, die sich ein neues Leben in Bulgarien aufbauen.

Am Goldstrand, dem berühmtesten Seebad des Landes, sitzt eine junge Frau mit ihrer Mutter am Ufer. Ende April sind sie aus Odessa geflohen. Eigentlich wollten sie nach Polen. Doch sei die Reise dorthin zu unsicher gewesen, sagt Sofia, die nur ihren Vornamen nennt. Seitdem leben sie in einer der Bettenburgen von Slatni Pjasazi.

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Vor den Hotels stehen die Sonnenliegen bereit, die meisten sind noch frei. Hotelpools werden gefüllt, Blumenbeete an der Uferpromenade bepflanzt. Die Partymeile riecht nach frischem Teer, eine Open-Air-Disco testet ihr Sound-System.

Sofia ist dankbar für die Hilfe in Bulgarien. Im Hotel sei es so weit okay, sagt sie, doch Unsicherheit schwingt in ihrer Stimme mit. Am liebsten würde sie zurück nach Odessa.

Wie es am Monatsende weitergehen wird, weiß sie noch nicht. „Vielleicht ziehen wir nach Warna“, sagt sie, in die nahe Hafenstadt. Sie will erstmal abwarten, was geschehen wird.

Neue Unterkünfte gesucht

So wie Sofia geht es vielen. Einige Flüchtlinge haben Arbeit gefunden und wollen sich selbst eine Wohnung mieten, für andere wird die Regierung Unterkünfte organisieren. Sie sollen in staatliche und kommunale Unterkünfte umziehen.

Wohin genau, ist oft noch unklar. Auch reichen die Kapazitäten offenbar nicht aus. 26.000 Plätze müssen nach Regierungsangaben von Anfang Mai noch gefunden werden.

In der Diskussion sind unter anderem Erholungsheime, die die Regierung seit Sowjetzeiten unterhält. Notfalls würden Sporthallen als Unterkünfte erwogen, heißt es, aber die Regierung will dies vermeiden. Im Gespräch sind auch Hotels in Skigebieten, die über den Sommer leer stehen. In deren Abgeschiedenheit aber wollen viele Ukrainer nicht leben.

Viele haben Jobs gefunden und ihre Kinder in Schulen und Kindergärten angemeldet. Ein Umzug würde bedeuten, anderswo erneut von vorne zu beginnen. Einige Arbeitgeber in der Tourismusbranche setzen bereits auf die Ukrainer, um ihren Personalmangel zu beheben.

Zwei Ortschaften im Nordosten Bulgariens haben das Tourismusministerium um eine Verlängerung des Regierungsprogramms gebeten - damit den Ukrainern die Integration vor Ort leichter gelinge, aber wohl auch, weil sie nicht genügend Touristen erwarten, um alle Betten zu belegen.

Für einige sei es besser, weiter Geld vom Staat zu bekommen, erklärt Atanas Rusew, Politikexperte vom Thinktank Center for the Study of Democracy. Aufgrund des Baubooms der Vergangenheit, gebe es deutlich mehr Betten als Besucher.

Die Unsicherheit der Menschen, der langsame Entscheidungsprozess der Regierung und eine mangelnde Vorbereitung könnte zu „gewissen Spannungen am Monatsende“ führen, fürchtet er. Außerdem sehe er keine längerfristige Strategie im Umgang mit den Flüchtlingen.

Stimmungsmache gegen Flüchtlinge

Es gebe noch ein weiteres Problem: Desinformationen, die Russland gezielt nutze, um die Stimmung in der bulgarischen Gesellschaft gegen die Flüchtlinge zu drehen. Das Narrativ, das durch die sozialen Medien geistert: Statt ärmere Bulgaren in ihrem Alltag zu unterstützen, finanziere der Staat Flüchtlingen den Aufenthalt in schicken Hotels am Meer. Neidische Bürger und Flüchtlinge werden gegeneinander aufgebracht, warnt Rusew.

Die Flüchtlingsfrage ist nicht der einzige Schatten über der Sommersaison. Aus der Ukraine kommen in diesem Jahr keine Touristen ins Land. Aufgrund gekappter Flugverbindungen und Sanktionen dürften zudem die meisten Besucher aus Russland fernbleiben.

300.000 bis 400.000 pro Jahr waren es üblicherweise, knapp zehn Prozent aller Urlauber an der bulgarischen Schwarzmeerküste. Viele Russen besitzen dort Ferienimmobilien, auch die werden weitgehend ungenutzt bleiben. Einige Eigentümer versuchten, ihre Ferienwohnungen zu verkaufen, berichten Medien, andere öffneten sie für Flüchtlinge.

Optimistisch für den Sommer

Vize-Tourismusministerin Irena Georgiewa rechnete Ende April mit „einer Steigerung um 30 Prozent im Vergleich zum letzten Jahr“ bei den Buchungen. Dies sei Grund für vorsichtigen Optimismus.

Zugleich sind Klagen zu vernehmen, dass Urlauber aus Mittel- und Westeuropa, die im vergangenen Jahr aufgrund des weniger strikten Umgangs mit Corona in Bulgarien einigen das Geschäft retteten, diesmal Südosteuropa meiden dürften – weil es für sie zu nahe am Kriegsschauplatz Ukraine sei.

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Am Schwarzen Meer fürchten viele daher auch nach den zwei Corona-Jahren weitere Umsatzeinbußen. Ein junger Souvenirhändler im alten Kern des Örtchens Sosopol blickt mit Sorge auf die kommenden Wochen. Vor allem Russen kauften die bunt verzierten Vasen, Schalen und Töpfe aus Keramik in seinem Laden, erzählt er.

„Eigentlich sollte es nach der Pandemie bergauf gehen“, war seine Hoffnung noch vor wenigen Wochen. „Jetzt ist schwer zu sagen, wie die Saison wird“, sagt der junge Mann. „Es hängt es von den Russen ab.“

Auch ein Kellner in einem Restaurant mit Meeresblick sagt: „Die russischen Touristen werden fehlen. Das ist ein Problem.“ Sie seien wichtig für die Region, sagt er. „Sie kommen gerne und wir mögen sie.“

Zwar hoffe er, dass der Tourismus in diesem Jahr wieder anziehe. Doch jetzt verhagelt der Krieg das Sommergeschäft. Dass es so wird, wie vor der Pandemie, glaubt er deshalb nicht.
Die Recherche wurde unterstützt vom Medienprogramm Südosteuropa der Konrad-Adenauer-Stiftung.

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