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Uhrenfeld in Düsseldorf.

© imago/Future Image/xC.xHardtx/xFuturexImage

Zeit: Zur Natur - oder zum südeuropäischen Flair?

Viele Menschen wünschen sich, dass die Zeitumstellung abgeschafft wird. Ist dauerhafte Normalzeit besser? Oder immerwährende Sommerzeit? Ein Pro und Kontra.

Jedes Jahr im Herbst bekommen wir eine Stunde geschenkt, heißt es. Weil die Uhr von der Sommer- wieder auf die Winterzeit gestellt wird. Der Satz ist völlig absurd, weil wir uns freuen sollen, dass wieder Normalität eintritt. Denn die Winterzeit ist die normale, die von der Natur gesetzte Zeit. Diejenige, auf die nicht nur unser ganzer Biorhythmus aufbaut, sondern auch der von Pflanzen und Tieren. Aber der Mensch, selbstherrlich wie er ist, glaubt schon seit vielen Jahren, er könne sich einfach darüber hinwegsetzen. Die Welt als Wille und Vorstellung. Das beruht auf einem Irrtum: der Verwechslung von „Uhr“ und „Zeit“. Die Uhr kann man für die Sommerzeit vorstellen, die jedoch Zeit nicht.

Es ist erstaunlich: Viele Menschen legen zu Recht sehr viel Wert darauf, gesund zu leben. Sie ernähren sich gesund, bewegen sich viel, versuchen so gut es geht, Stress zu vermeiden. Aber wenn man mit ihnen über die Sommerzeit redet, stellen sie auf stur. Das ist doch nur eine Stunde, das steckt man locker weg. Sie sind doch toll: diese langen, hellen, warmen Sommerabende. Diese Zeit im Jahr steht einfach für gutes Lebensgefühl. Die meisten sehnen diese Monate regelrecht herbei. Am liebsten hätten sie sie für immer. So jedenfalls sagt es eine Umfrage, die die EU in Auftrag gegeben hat. Und ausgerechnet in dieser Frage droht die EU, populistisch zu entscheiden und dem Begehren der Mehrheit nachzugeben.

Man kann die Sinnhaftigkeit einer solchen Umfrage insgesamt in Frage stellen: Wenn man im Sommer danach gefragt wird, willst Du die Sommerzeit für immer, sagen die meisten Ja. Das ist nicht überraschend. An den Winter denkt dabei niemand. Und auch nicht an Frühling und Herbst. Da ist es nämlich früh eine Stunde länger dunkel. Eine grausame Vorstellung. Dunkelheit bis um neun Uhr morgens. Wer erst um zehn aufstehen kann, den mag das nicht stören. Wer um sechs Uhr früh raus muss, wird das schon anders sehen. Mag sich daran gewöhnen, wer will. Ich will es nicht.

Aber es geht nicht einmal darum, was ich will oder nicht. Neben der Zeit zu leben ist einfach ungesund. Das sagen jedenfalls die Mediziner einhellig. Sie warnen vor Bluthochdruck, Herz-Rhythmus-Störungen, sogar vor erhöhtem Krebs-Risiko. Dazu gibt es gar keine belastbaren Studien, wird den Ärzten entgegengehalten. Das stimmt. Aber müssen wir wirklich erst den Versuch machen, ob die düsteren Szenarien eintreten. Wir machen uns schon genügend Stress: durch die Verdichtung der Arbeit, den zunehmenden Verkehr, die permanente Bereitschaft 24 Stunden am Tag und sieben Tage in der Woche. Machen wir uns nicht noch mehr Stress durch ein Leben in der falschen Zeit. (Frank Herold)

Carpe Diem funktioniert bei Sommerzeit noch besser

Uhrenfeld in Düsseldorf.
Uhrenfeld in Düsseldorf.

© imago/Future Image/xC.xHardtx/xFuturexImage

Ja. Wenn ich mich entscheiden müsste wäre ich für die dauerhafte Sommerzeit in Deutschland. Aber noch besser fände ich, dass alles so bleibt, wie es ist. Ich gehöre nicht zu denen, die durch die Umstellung der Zeit zwei Mal im Jahr übermäßig erschüttert werden. Zwei, drei Tage danach denke ich noch: „Ups! Schon dunkel?“ oder auch „Ups! Schon hell?“. Dann hat sich mein Biorhythmus angepasst und es kann weitergehen. Vielleicht spricht das für ein besonders unsensibles Körpergefühl, für eine verschüttete innere Uhr oder gar für eine gegenüber der kostbaren Zeit unverantwortliche Verantwortungslosigkeit. Auf jeden Fall geht es mir gut damit.

Wenn nun aber eine Entscheidung her muss, wenn sich nun aber die Nationen Europas auf eine feste Zeit einigen sollen, dann sollte das die Sommerzeit sein. Jeder weiß, wie groß das Aufatmen ist, wenn am letzten März-Wochenende eine Stunde verlorengeht und dafür Licht am Ende des Wintertunnels sichtbar wird. Endlich ist es wieder länger hell! Wenn die Sonne nicht mehr um halb sieben, sondern um halb acht untergeht, beginnt für mich der Sommer. Egal, welche Temperaturen herrschen. Endlich lange Licht, endlich geht es wieder los.

Dass die dauerhafte Sommerzeit im Winter dazu führt, dass es morgens länger dunkel ist, stört mich nicht. Morgens ist mein Tag sowieso größtenteils fremdbestimmt… da kann es ruhig dunkel sein. Außerdem sind meine angenehmen morgendlichen Tätigkeiten nicht zwingend mit Helligkeit verbunden: Zeitung lesen, ein bisschen Meditations-Om (gerne mit Kerze) und im fensterlosen Bad duschen – das alles geht genauso gut, wenn es draußen noch dunkel ist.

Abends aber, wenn ich ausgehe, mich mit Freunden treffe, einen Spaziergang nach der Arbeit mache – da will ich es lange hell haben. Da vermittelt mir das späte Licht ein Gefühl von Süden. Meine Wahrnehmung wird schärfer und ich glücklicher. Mitte Juni im schönen Brandenburg gegen 21.30 Uhr in die Weite sehen, beim Feiern auf dem Dorfplatz in die Gesichter der anderen schauen können – auch das ist Glück. Das Licht am Abend ist wie eine Option, ein Versprechen: Da geht noch was… Es lockt: Komm nochmal raus, mach mit, lass die Gelegenheit nicht ungenutzt verstreichen. Carpe Diem – ein langer Tag lässt sich noch besser nutzen.

Wenn Mediziner nun sagen, der Körper würde unter der permanenten Sommerzeit leiden, wir seien sozusagen biorhythmisch aus dem Lot, kann ich nur völlig unwissenschaftlich sagen: Lieber biorhythmisch aus dem Lot und dafür abends länger draußen.
Die Vorstellung, bei mitteleuropäischer Zeit am längsten Tag des Jahres um kurz nach halb neun der Sonne zum Abschied zu winken, ist mir ein Greul. Es bleibe Licht – das ist mein Wunsch. (Claudia Seiring)

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