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Desolater Zustand: Die Geduld und die Leidensfähigkeit der Römerinnen und Römer ist längst am Ende.

© Imago images/ZUMA Wire

Wohin mit dem vielen Abfall?: Rom – die dreckigste Stadt der Welt

In der italienischen Stadt türmt sich seit Jahren der Müll. Der neue Bürgermeister will das ändern - und scheitert. Die Geschichte eines ökologischen Irrsinns.

Neue Besen kehren gut: Von dieser Hoffnung waren die meisten Römerinnen und Römer beseelt gewesen, als sie bei den Kommunalwahlen vor einem Monat die bisherige Bürgermeisterin Virginia Raggi von der Fünf-Sterne-Protestbewegung aus dem Rathaus gejagt und danach im zweiten Wahlgang den Sozialdemokraten Roberto Gualtieri zu ihrem Nachfolger bestimmt hatten.

In keiner anderen Kulturstadt der Welt hat die Redensart von den neuen Besen einen derart handfesten Hintergrund: Rom befindet sich seit Jahren am Rand des Müll-Kollapses; die Straßen, die Plätze und die Grünflächen sind übersät mit Müll und Unrat. Nichts hätte die Stadt dringender nötig als einen Bürgermeister, der diesen Zuständen mit eisernem Besen ein Ende bereitet. Die Geduld der Bewohner ist längst am Ende.

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Das wusste auch der neue „Sindaco“ im Senatorenpalast auf dem Kapitolshügel, dem prächtigen Amtssitz des Römer Stadtpräsidenten. Und so versprach Gualtieri, kaum im Amt: „Rom wird bis zu Weihnachten sauber sein.“ Und er schritt sogleich beherzt zur Tat: Er schickte den bisherigen Chef der städtischen Müllabfuhr in die Wüste, kratzte in der fast leeren Stadtkasse 40 Millionen Euro zusammen und startete am 1. November eine „raccolta straordinaria“, eine außerordentliche Müllsammlung.

Und siehe da: Die überquellenden Container begannen sich zu leeren, innerhalb von wenigen Tagen entfernten die Müllmänner der Ewigen Stadt 2500 Tonnen Abfall aus den Straßen. Da und dort konnte man sich als Fußgänger sogar plötzlich auf den Trottoirs bewegen, ohne ständig im Slalom um herumliegende Müllsäcke herum zirkeln zu müssen.

Der Müllexport kostet die Stadt jedes Jahr 150 Millionen Euro

Nur stellte sich sehr bald ein Problem: Schon nach wenigen Tagen war die einzige derzeit halbwegs funktionierende Not-Deponie und Mülltrennungsanlage Roms, jene Rocca Cencia einige Kilometer außerhalb Ringautobahn, zum Bersten voll. Und vor ihren Toren standen 60 Müllautos und warteten, bisher vergeblich, auf neue Weisungen, wohin sie den Müll bringen sollen.

Zu allem Überfluss streikten am Montag noch die Angestellten der Müllabfuhr – und so sah die Stadt am Dienstag wieder aus wie vor der „raccolta straordinaria“.

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Gualtieris Plan scheiterte letztlich am gleichen Problem wie seine Vorgängerin Raggi: Seit im Jahr 2013 die illegale Riesen-Deponie Malagrotta am Stadtrand geschlossen wurde, weiß die Stadt nicht mehr, wohin sie ihren Abfall karren soll. Denn die Drei-Millionen-Einwohner-Metropole, deren Bewohnerinnen und Bewohner täglich rund 4700 Tonnen Müll produzieren, verfügt über keine einzige Verbrennungsanlage.

Ein großer Teil des Hausmülls wird deshalb seit Jahren einfach in den Rest des Landes exportiert: Täglich verlassen 180 große Lastwagen die Stadt, um den Abfall Roms meist über Hunderte von Kilometern in die Entsorgungsanlagen und Verbrennungsöfen anderer Regionen zu karren. Das ist nicht nur ein ökologischer Irrsinn, sondern auch teuer: Der Müllexport kostet die Stadt jedes Jahr 150 Millionen Euro.

Der Anteil an der Mülltrennung liegt bei unter 50 Prozent

Die naheliegendste Lösung wäre der Bau einer eigenen Verbrennungsanlage, oder gleich von mehreren. Doch in Rom – und auch in weiten Teilen des übrigen Italien – ist dies ein Tabu: Wegen der Abgase gilt diese Technologie als todbringendes Teufelswerk, und auch der Hinweis darauf, dass der Privatverkehr in Rom an einem einzigen Tag mehr Abgase in die Luft bläst als eine moderne Müllverbrennungsanlage in einem ganzen Jahr, hilft da nicht weiter.

Schon Virginia Raggi wollte von diesen Öfen nichts wissen – und auch in dem von Gualtieri soeben präsentierten Müllentsorgungskonzept fehlt jeder Hinweis auf den Bau einer solchen Anlage. Vielmehr sucht auch der Neue das Heil in der Erhöhung des Anteils des getrennt eingesammelten Abfalls. Das versuchte schon Raggi, und nach fünf Jahren lag der Anteil der Mülltrennung dort, wo er schon zu Beginn ihrer fünfjährigen Amtszeit gewesen war: deutlich unter 50 Prozent.

Was für die Müllkrise gilt, trifft auch auf die anderen Desaster der Stadt zu: „Die Probleme der Hauptstadt“, erklärte unlängst der Römer Soziologe Domenico De Masi, „sind derart groß und komplex, dass selbst ein Triumvirat aus Churchill, Roosevelt und Stalin Mühe hätten, sie zu lösen“.

In einem desolaten Zustand befindet sich insbesondere der öffentliche Verkehr: Viele spotten über die sich selbst entzündenden Busse, die wegen tropfender Treibstoffleitungen in Flammen aufgehen. Die Gründe dafür sind das mit zwölf Jahren hohe Durchschnittsalter der Busse, mangelnder Unterhalt und ganz allgemein Gleichgültigkeit, Schlendrian und Vetternwirtschaft bei den städtischen Verkehrsbetrieben.

Die insgesamt 13.000 Angestellten arbeiten nur 700 Stunden pro Jahr; in Mailand sind es 1200 Stunden.

Gualtieri will die Situation für die Fahrgäste verbessern, indem er neue Busspuren anlegen lassen will. Und er hat den Autofahrern, die auf den bisherigen Busspuren in zweiter und dritter Linie parken, den Kampf angesagt. Ob dies die Situation nachhaltig verbessern wird, muss sich erst noch weisen. Mit dem Scheitern seiner „raccolta straordinaria“ hat Gualtieri einen ersten Vorgeschmack auf das bekommen, was ihn in den nächsten fünf Jahren noch alles erwarten wird.

Eine Ahnung davon hatte der 55-jährige Sozialdemokrat und Finanzminister der letzten Regierung von Giuseppe Conte schon am Wahlabend: „Mir zittern die Venen und die Hände“, erklärte Gualtieri unmittelbar nach der Bekanntgabe seines Wahlsiegs, einen Vers aus Dantes göttlicher Komödie zitierend.

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