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Welt-Mittelfinger-Tag: Das komödiantische Erbe des Mittelfingers

Jeder kennt diese Geste, hat sie vielleicht gar selbst schon einmal gebraucht. Sie ist zum nonverbalen Code der Unflätigkeit mit klarer Aussage geworden: Der Mittel- bzw. Stinkefinger.

Countrylegende Johnny Cash ist 1969 mit dieser Geste während seines Konzerts im San Quentin Gefängnis als rebellischer Outlaw berühmt geworden. Sie war bei der Fußball-WM 1994 Stefan Effenbergs Antwort auf die Kritik der Fans und sogleich auch Grund seines Rauswurfs aus der Nationalmannschaft. Im Jahre 2000 reagierte der damalige Ministerpräsident Nordrhein-Westfalens Wolfgang Clement auf der Expo in Hannover auf die jugendliche Anfrage "Wer bist'n Du?" gereizt mit dieser aussagekräftigen Handbewegung. Und Popikone Madonna macht auf der Bühne inzwischen regelrecht inflationären Gebrauch davon.

Mal ist der Mittelfinger politische oder popkulturelle Aussage, mit der man seinem Ärger ultimativ Luft macht, in anderen Situationen klar ein Straftatbestand nichtsprachlicher Beleidigung nach §185 StGB. Doch woher kommt diese Geste eigentlich?

Klar ist zumindest, dass sie irgendwann im Kindesalter gesellschaftlich erlernt wird und international verstanden wird. Nach dem großen Sprachwissenschaftler Ferdinand de Saussure würde man den bösen Finger stellvertretend für einen erigierten Penis wohl als ein nicht arbiträres Gestikkonzept bezeichnen, bei dem eine Relation zwischen gezeigter Bewegung und Inhalt der Geste besteht. Wann er indes erstmals gezeigt wurde, darum ranken sich Sagen und Mythen.

Eine im Internet weit verbreitete urbane Legende besagt, dass die französischen Truppen Karl VI. während des Hundertjährigen Krieges in der Schlacht von Azincourt im Jahre 1415 dem englischen Heer König Heinrich V. siegesgewiss damit gedroht hatten, gefangen genommenen Engländern den rechten Mittelfinger abzutrennen. Ohne diesen sei es nämlich nicht mehr möglich gewesen, den berüchtigten Langbogen aus englischem Eibenholz zu ziehen. Die Bewegung des Bogenziehens war gemeinhin bekannt als "to pluck yew" (das Eibenholz zupfen). Um die geschlagenen Franzosen nun nach gewonnener Schlacht zu verhöhnen, sollen laut Sage die siegreichen Englänger ihnen ihre Mittelfinger entgegen gestreckt und gerufen haben "We can still pluck yew!", woraus angeblich durch Wortverschleifung später auch der bekannte Ausspruch und bis heute beibehaltene Inhalt der Geste - "Fuck you" - entstanden sein soll. Mutmaßlich geht auch der urbane amerikanische Begriff für diese Gebärde, "giving the bird", anspielend auf diese Mär, noch heute auf die mit federnbesetzten Pfeile der englischen Bogenschützen zurück. Soweit der Mythos.

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Eine erste wirklich nachweisbare schriftliche Erwähnung findet das vulgäre Zeigen des Fingers indes bereits 423 vor Christus im alten Griechenland. In Aristophanes' Komödie "Die Wolken" begegnet der Großbauer Strepsiades der neuen sophistischen Geistesbewegung, vertreten durch Sokrates, mit beißendem Spott und verhöhnt ihn durch das Zeigen des Mittelfingers als Zeichen für einen ertappten Ehebrecher oder Unzüchtigen. Ursprünglich entlehnte man einst diese Geste, "skimalizein" genannt, aus der griechischen Bauernsprache und bezeichnete dort das Nachprüfen mit dem Mittelfinger, ob eine Henne bald ein Ei lege.

Wie vielseitig der Mittelfinger als Symbol an sich sein kann, soll nun quasi als virale Fallstudie erörtert werden, wenn der Welt-Mittelfinger-Tag dazu aufruft, allem und jedem, der an den Nerven zerrt, ob nun Chef oder Grippe, das potente Ausdrucksmittel in sozialen Netzwerken entgegenzuhalten. Ob jedem von uns an diesem aber auch anderen Tagen das angeführte, hochgeistige historische Erbe der großen Philosophen und Komödienschreiber bewusst ist, wenn wir verärgert und wortlos den Mittelfinger zum beleidigenden Gruß erheben, bleibt jedoch zweifelhaft.

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