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Ein Kind mit einem Stofftier sitzt alleine auf dem Sofa. Symbolbild.

© imago

Update

„Warum Kinder keine Tyrannen sind“: Strafanzeige gegen Winterhoff gestellt wegen immer gleicher Diagnose

Ein Dokumentarfilm entlarvt die zweifelhaften Erziehungsmethoden des Psychiaters Michael Winterhoff. Jetzt wurde Strafanzeige gestellt.

Über Michael Winterhoff und seine Bestseller, deren Titel meist die Wörter „Kinder“ und „Tyrannen“ in Verbindung bringen, stolpert jedes Elternteil früher oder später: in der Buchhandlung, als Empfehlung anderer Eltern, oder am Bildschirm in einer der vielen Talkshows von Lanz bis Maischberger, in die der Psychiater regelmäßig als Experte eingeladen wird, um immer Ähnliches zu verkünden: Es stehe wirklich schlecht um deutsche Familien, viele Eltern würden kleine Tyrannen aus ihren Kindern machen. Sie müssten „die zu enge Verbindung zum Kind auflösen“.

In einer Zeit, in der sowohl Eltern als auch Psychologen und Pädagogen zunehmend auf Bindungsorientierung setzen, polarisieren solche Aussagen. Einige schwören auf seine Tipps als ultimative Erziehungsratschläge, andere halten ihn für jemanden, der Kindern Schaden zufügt.
Dass letztere wohl eher richtig liegen, zeigte am Montagabend der Dokumentarfilm „Warum Kinder keine Tyrannen sind“ der Filmemacherin und Sozialpreis-Trägerin Nicole Rosenbach in der ARD.

Darin erheben ehemalige Patient:innen, ihre Eltern sowie andere Kinderpsychiater schwere Vorwürfe gegen Winterhoff: Er stelle immer dieselbe, völlig unwissenschaftliche Diagnose „frühkindlicher Narzissmus“ – anstatt etwa zu bemerken, dass ein Kind das Asperger-Syndrom hat.

Er gebe bei der Krankenkasse dann eine vollkommen andere Diagnose an, die er den Eltern nicht mitgeteilt habe – und stelle die Kinder oft über längere Zeit mit dem sedierenden Neuroleptikum Pipamperon ruhig, das laut Fachleuten nicht langfristig gegeben werden soll, da es den Kindern schaden kann.

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Mit rund 30 Fachleuten sprach das Filmteam für die Dokumentation.

Eine Kollege spricht von "etwas Guruhaftem"

Das Vorgehen und die Diagnosen Winterhoffs hätten „etwas Guruhaftes“, sagte ein Kinderpsychiater, der schon Kinder behandelt hat, die vorher bei Winterhoff in Behandlung waren. Der bekannte Kinderarzt und Autor Herbert Renz-Polster bezeichnet das „System Winterhoff“ als eine „Sekte“: „Das ist ja keine Medizin oder Pädagogik. Jetzt muss eigentlich aufgearbeitet werden, wo er Gelegenheit gehabt hat, die Glaubenssätze dieser Sekte zu platzieren. In welchen Einrichtungen der Jugendhilfe und welchen pädagogischen Einrichtungen.“

Der Psychiater Michael Winterhoff.
Der Psychiater Michael Winterhoff.

© promo

Renz-Polster fordert eine Revision der Einrichtungen, an denen Winterhoff tätig war: „Da müssen ja Hunderte von Leitungen Mitwisser und Kollaborateure von seinem System gewesen sein.“ Natürlich müsse das aufgearbeitet werden. Vor allem aber müsse jetzt jemand Strafanzeige wegen Kindeswohlgefährdung stellen.

„Der Mann muss ein Besuchsverbot bekommen in den Einrichtungen, in denen er gearbeitet hat, alle Fälle müssen aufgerollt werden“, sagt Renz-Polster. Die zuständige Ärztekammer müsse seine Approbation überprüfen. Auch die Krankenkassen und die kassenärztliche Vereinigung müssten alle Vorgänge, die ihn betreffen, überprüfen.

Es ist ein strukturelles Problem der Jugendhilfe

Renz-Polster ist nicht sehr zuversichtlich, dass das alles geschehen werde. „Natürlich wird jetzt über das System Winterhoff geredet, aber dahinter steht eine im Prinzip kranke Jugendhilfe“, sagt er. Wie habe Winterhoff sein Handwerk auf diese Weise auch in Jugendhilfeeinrichtungen ausüben können, ohne dass ihn jemand aufhielt?

„Da kommt einer und sagt Dinge, die sind offenbar gaga und trotzdem gilt er als Guru der neuen Pädagogik“, sagt Renz-Polster. „Wir haben eine Welle von Inobhutnahmen durch Jugendämter wegen ,zu enger Bindung’. Für mich stehen da genau die von Winterhoff erfundenen Theorien dahinter, auch diese Fälle gehören überprüft.“ Es müsse geprüft werden, an welchen Jugendämtern er Fortbildungen gegeben habe.

Kritik: Die Medien haben ihn groß gemacht

Es gibt aber noch einen Aspekt: „Wir Medien haben ihn groß gemacht“, so beginnt die ARD-Reportage. Und so fordern Twitternutzer:innen unter dem Hashtag #wegMitWinterhoff: „Liebe ARD, zieht doch bitte auch die richtigen Konsequenzen und ladet Michael #Winterhoff nicht mehr in Talkshows ein.“

Wie die Süddeutsche Zeitung am Nachmittag berichtete, wurde wegen des Anfangsverdacht der schweren Körperverletzung Strafanzeige gestellt. Sie ging bei der Bonner Staatsanwaltschaft ein. Absender ist laut der Zeitung der Siegburger Anwalt Mehmet Daimagüler, der im NSU-Prozess Opferangehörige vertrat.

NACHTRAG: Winterhoffs Rechtsanwalt teilt mit, dass der WDR - Bericht nach Winterhoffs Ansicht Falschdarstellungen enthält. Herr Winterhoff gehe gegen die WDR- Berichterstattung bereits juristisch vor.

Das Medikament Pipamperon sei für Kinder mit psychomotorischen Erregungszuständen zugelassen. Herr Dr. Winterhoff habe das Medikament nur dann verschrieben, wenn Kinder zum Beispiel von Aggressionen, Stimmungslabilität und Verwirrtheit beherrscht sind und für das Gegenüber nicht anders erreichbar sind. Winterhoff setze das Medikament in einer Dosierung ein, die zu keiner Sedierung führt. Der nach Ansicht Winterhoffs durch den WDR erweckte Eindruck, Herr Dr. Winterhoff habe das Medikament bei seinen Patienten flächendeckend eingesetzt, sei falsch. Das Medikament sei nur in Einzelfällen mit spezieller Indikation verordnet worden.

Die Verordnung des Medikaments bei Kindern sei aufgrund einer Zulassung des Medikaments für Kinder zulässig. Die notwendigen Einwilligungserklärungen für die Verordnung der Medikamente hätten ebenfalls vorgelegen, jedenfalls hätte Winterhoff in jedem Einzelfall davon ausgehen können, dass Einwilligungen vorlagen.

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