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Alles zu viel. Vor allem Ältere schlucken für den Job leistungssteigernde Medikamente.

© Oliver Berg / dpa

Vor allem Ältere schlucken viele Medikamente: Hunderttausende dopen sich für den Job

Hunderttausende nehmen täglich leistungssteigernde Arzneimittel ein. Experten warnen vor Gesundheitsgefahren.

Fast zwei Prozent der Arbeitnehmer in Deutschland schlucken regelmäßig leistungssteigernde oder stimmungsaufhellende Medikamente. Hochgerechnet sind das rund 700.000 Menschen. Und besonders häufig greifen ältere Beschäftigte über 60 zu solchen Mitteln. Von ihnen haben sich in den vergangenen zwölf Monaten 4,4 Prozent mindestens einmal gedopt.

Zu diesem Befund kommt eine aktuellen DAK-Analyse, die am Donnerstag präsentiert wurde. Dabei wurde untersucht, ob und wie Erwerbstätige ohne medizinische Notwendigkeit zu verschreibungspflichtigen Medikamenten greifen, um im Job leistungsfähiger zu sein oder nach der Arbeit noch genug Energie für private Unternehmungen zu haben. Experten sprechen von pharmakologischem Neuro-Enhancement. Es geht dabei um den Missbrauch von Stimulanzien wie Methylphenidat, Mitteln gegen Demenz wie Piracetam, Antidepressiva wie Fluoxetin oder Betablockern wie Metoprolol. Die Studie ist repräsentativ, befragt wurden mehr als 5.500 Berufstätige im Alter von 18 bis 65. 

Aktuell dopen sich demzufolge 1,8 Prozent der Beschäftigten mindestens zweimal im Monat – und mehr als jeder Dritte derer, die solchen Medikamentenmissbrauch einräumten, gab an, solche Mittel sogar täglich zu nehmen (34,8 Prozent). Es handle sich um "kein Massenphänomen“, sagte Andreas Storm, Vorstandschef der DAK-Gesundheit. Dennoch zeige die Analyse, wie wichtig gesunde Rahmenbedingungen im Job seien. „Arbeitsanforderungen dürfen Mitarbeiter nicht dazu verleiten, bessere Ergebnisse mithilfe von Medikamenten erzielen zu wollen.“

Oft nur minimale Effekte - aber Gesundheitsschäden

Der Studie zufolge dopen die meisten Arbeitnehmer, um berufliche Ziele besser zu erreichen. Jeder zweite aus der Gruppe derer, die solche Medikamente schlucken, nannte dies als Begründung. Etwa jeder Dritte gab an, dass die Arbeit dadurch leichter von der Hand ginge. Mehr als jeder Vierte (27,1 Prozent) greift nach eigenen Angaben zur Pille, um nach der Arbeit noch Energie und Laune für Privates zu haben. Und rund zehn Prozent - davon doppelt so viele Männer als Frauen - nehmen die Mittel, um mit weniger Schlaf auszukommen.

Besonders erschreckend: die "Dopingquote" steigt zunehmendem  Alter. Die höchste Verbreitung findet sich nicht etwa bei jungen, partyaffinen Arbeitnehmern, sondern – im Gegenteil – unter  den 60- bis 65-Jährigen, die sich anders offenbar ihren Jobs nicht mehr gewachsen fühlen. 4,4 Prozent von ihnen haben innerhalb des vergangenen Jahres mindestens einmal gedopt – der Durchschnitt unter den Beschäftigten aller Altersgruppen liegt bei 3,3 Prozent. Von den 18- bis 29-jährigen Arbeitnehmern betreiben lediglich 2,5 Prozent mindestens einmal im Jahr Medikamentenmissbrauch für den Job.

Bei alledem geht es den Nutzern um Verbesserung ihrer Gedächtnisleistung, erhöhte Wachheit, bessere Stimmung, Überwindung von Unsicherheit und Schüchternheit, Abbau von Stress, Nervosität oder Lampenfieber. Allerdings dämpfen Experten die Erwartung der Nutzer: Oft zeigten sich „nur kurzfristige und minimale Effekte auf die kognitive Leistungsfähigkeit“, sagt  Klaus Lieb, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universitätsmedizin Mainz und Wissenschaftlicher Leiter des Leibniz-Instituts für Resilienzforschung. Stattdessen drohten gesundheitliche Schäden. Schwindel, Kopfschmerzen, Nervosität und Schlafstörungen seien nicht selten. Und mögliche Langzeitfolgen seien noch gar nicht erforscht.

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