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Understatement ist anders: Die Deko im East Room.

© REUTERS/Kevin Lamarque

Viel Pomp und ein wenig Corona: Last Christmas für die Trumps im Weißen Haus

Der Inbegriff einer heilen Familienwelt: Melania Trump hat das Weiße Haus zu Weihnachten betont klassisch und patriotisch dekorieren lassen.

Es dauert ein bisschen, bis man in der Gegenwart ankommt. Besucher des Weißen Hauses, die in den kommenden Woche die Chance kriegen, die festlich geschmückte Weltmachts-Regierungszentrale zu besuchen, sollen erst einmal in der Vergangenheit schwelgen. Im East Wing begrüßt der Gold Star Family Tree die Besucher. Der Baum erinnert schon seit 2017 an amerikanische Helden. Durch den Säulengang, in dem die unterschiedlichen Landschaften der 50 Bundesstaaten mit großen Bouquets gewürdigt werden, erreicht man den China Room, der die historische Porzellansammlung des Weißen Hauses zeigt. Der Raum ist zu einem heimeligen Zuhause mit Kaminfeuer und antiker Küche umgemodelt. Im East Garden Room hängen die Weihnachtskarten, die die vergangenen zwölf First Families versandt haben, im East Room schmücken Autos, Züge und Flugzeuge ein paar der insgesamt 62 pompösen Weihnachtsbäume – sie stehen für das Amerika, das schon immer in Bewegung war, natürlich alles „made in America“.

Über allem schwebt das Motto des Trumpschen Weißen Hauses: America the Beautiful, Amerika, die Wunderschöne, nach der patriotischen inoffiziellen Nationalhymne, deren Text die Dichterin Katharine Lee Bates 1895 verfasste. Es ist alles prächtig anzuschauen, überall glitzert und strahlt es, angeblich hat First Lady Melania jedes einzelne Detail bestimmt. Im Hintergrund laufen Weihnachtslieder, der Duft von Kerzen weht durch die imposanten Hallen und Flure. Das Weiße Haus ist in diesen Tagen so, wie viele Amerikaner sich das wünschen: der stolze Inbegriff einer heilen (Familien-)Welt.

Doch dann öffnen sich die Türen des Red Room, und da scheint sie durch, die harte Gegenwart. Der Raum ehrt und erinnert an die First Responder, die Ärzte, Krankenschwestern, Rettungskräfte, Verkäufer, Zusteller – an all diejenigen, die in der Pandemie ihr Leben riskieren, um anderen zu helfen und das Land am Laufen zu halten. Es sind fast rührende kleine Cranberry-Weihnachtsbäume, von Freiwilligen geschaffen, auf denen Krankenhäuser, Geschäfte, Zustellfahrzeuge abgebildet sind. Das Wort „Corona“ taucht allerdings nirgendwo auf, auch nicht in dem liebevoll gezeichneten Büchlein, das die Gäste zur Erklärung überreicht bekommen. Und verlässt man den Red Room, um in den State Dining Room zu flanieren, war’s das auch schon mit dem Eingeständnis, dass die Pandemie dieses Land immer noch eisern im Griff hat.

Stattdessen mehr Kränze – insgesamt 106, natürlich von Melania Trump entworfen – ,mehr als 365 Meter Girlanden, über 3200 Lichterketten und mehr als 17 000 Schleifen. Auch zum Lebkuchen- Weißen-Haus gibt es eindrucksvolle Zahlen: 125 Kilogramm Lebkuchenteig wurden da von der Küchen-Mannschaft des Weißen Hauses verbacken, plus kiloweise Zuckerguss, Schokolade, Kaugummi, sogar Pastateig wurde verwendet, um den Eingangsbereich zu modellieren. Und selbstverständlich ist auch die von der First Lady in diesem Jahr vorgenommene Neugestaltung des Rosengarten detailgetreu abgebildet.

Skandalträchtig ist die Weihnachtsdekoration in diesem Jahr eher nicht. Anders als im zweiten Jahr von Trumps Amtszeit, als die First Lady auf die gruselige Idee kam, blutrote Weihnachtsbäume aufzustellen. Oder wie 2017, als die ohnehin distanziert und kühl wirkende Präsidenten-Gattin als „Eiskönigin“ verspottet wurde, weil weiße Wände und eisige Zweige das Weiße Haus regelrecht erstarren ließen.

Hohn und Spott sind offenbar zu Melania Trump durchgedrungen. Auch darum überraschten Enthüllungen in dem vor kurzem veröffentlichten Buch „Melania and Me“ von Stephanie Winston Wolkoff, der ehemaligen Freundin der First Lady, nur wenige. Wie auf heimlich mitgeschnittenen Audioaufnahmen zu hören ist, erklärte sie einmal: „Ich reiße mir den Hintern für dieses Weihnachtszeug auf. Wer zum Teufel interessiert sich für Weihnachten und Dekorationen?“ Aber selbst das schadete ihr bei Trump-Anhängern nicht.

Das unter ihrer Regie so ausufernd geschmückte Weiße Haus soll in diesem Jahr vor allem Patriotismus vermitteln, Stolz auf die Großartigkeit und die Errungenschaften des eigenen Landes, das war unter früheren Präsidenten nicht viel anders. Und doch mutet es seltsam an, durch die festlichen Räume zu wandern, wie es ausgewählte Besucher jedes Jahr tun, und sich vorzustellen, dass der Hausherr und seine Familie in 49 Tagen ausziehen werden – der abgewählte Präsident die Realität seiner Wahlniederlage aber immer noch nicht öffentlich anerkennt. Genauso wenig wie die Tatsache, dass Amerika wie viele andere Länder noch länger unter der Pandemie leiden wird. In Donald Trumps Welt kommt Corona nicht mehr vor. Er hat keine Worte für den Schmerz seiner Landsleute. Immerhin: Es ist vorerst das letzte Weihnachten der Familie Trump im Weißen Haus.

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