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Sprechstunde im Urwald: Ureinwohner der Sahu-Ape-Gemeinschaft kontaktieren einen Arzt per Smartphone.

©  Ricardo Oliveira/AFP

Ureinwohner im brasilianischen Regenwald: Nur die Zerstörung schreitet voran

Brasiliens Ureinwohner kämpfen gegen die Rodung des Regenwalds, Covid-19 – und die eigene Regierung.

Es brannte lichterloh im Amazonaswald, dichter schwarzer Rauch stieg auf. Aber es waren keine Bäume, die aufflammten, sondern Bagger, Wasserpumpen, Motorsägen und Benzinkanister. Sie gehörten den illegalen Goldsuchern und Holzfällern, die in das Indigenen-Reservat Apyterewa im Süden des brasilianischen Bundesstaats Pará eingedrungen waren. Sie hatten den Wald gerodet und den Boden auf der Suche nach Gold aufgewühlt und mit Quecksilber verseucht. Nun waren sie von Polizisten der brasilianischen Umweltbehörde Ibama ertappt worden, die mit Helikoptern patrouillierten.

Die Beamten taten, was das Gesetz verlangt. Sie nahmen die Goldsucher fest und zerstören ihr Arbeitsmaterial. Außerdem befreiten sie Dutzende exotische Tiere, die offenbar geschmuggelt werden sollten. Später fanden sie ein illegales Sägewerk, in dem bereits riesige Stämme geschützter Kastanienbäume lagen.

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Die dramatischen Szenen wurden im April von Beamten des Ibama gefilmt. Sie entstanden während einer Mega-Operation der Umweltbehörde Ibama in mehreren Indigenen-Reservaten. Das Ziel: Eindringlinge vertreiben, die das neue Coronavirus in die Gebiete der Indios einschleppen könnten. Die Ureinwohner gelten wegen ihres anfälligeren Immunsystems als besonders gefährdet. Der Zusammenschluss der Völker des Amazonasbeckens warnt bereits vor einem „neuen Genozid“.

Wie ernst die Situation ist, wurde deutlich, als die Ibama-Beamten bei ihrer Aktion auf Dutzende arme Kleinbauern in einem Indio-Reservat stießen. Sie waren von einem Geschäftsmann betrogen worden, der ihnen falsche Landtitel verkauft hatte. Der Betrüger, so wurde klar, hatte dabei Rückendeckung von einem Senator in Brasilia, der wiederum mit Präsident Jair Bolsonaro verbündet ist. Das hat eine gewisse Logik: Bolsonaro hat wiederholt deutlich gemacht, dass er Brasiliens Ureinwohner für minderwertig hält und den Umweltschutz für ein ärgerliches Entwicklungshindernis. Zu seinen treuesten Anhängern zählen daher die Zehntausenden Goldsucher, Holzfäller, Viehzüchter und Landtitelfälscher, die in Amazonien ihr Unwesen treiben.

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Die Ibama-Aktion hatte ein bitteres Nachspiel. Allerdings nicht für die Umweltverbrecher, sondern für das Ibama. Die Bilder des Dschungeleinsatzes wurden vom TV-Sender Globo für eine Reportage über die Situation der Indigenen im Amazonas verwandt. Zwei Tage nach der Ausstrahlung ordnete Umweltminister Ricardo Salles die Entlassung des verantwortlichen Ibama-Abteilungsleiters sowie zweier Umweltpolizisten an, die die Aktionen koordiniert hatten.

Die Umweltbehörde ist praktisch wirkungslos

Zwar verneinte das Ministerium einen Zusammenhang, aber für Kenner der Materie war klar: Das Ibama sollte im Schatten der Coronakrise für seinen öffentlichkeitswirksamen Einsatz bestraft werden. Es ist kein Geheimnis, dass Umweltminister Salles immer wieder großes Verständnis für Umweltverbrecher aufbringt. Er reiste schon zu illegalen Holzfällern, um sich für das Vorgehen seiner Beamten zu entschuldigen. Zuletzt unterzeichnete er eine Amnestie für illegale Landbesetzer im Atlantischen Urwald, der schon zu 75 Prozent zerstört ist.

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„Die Durchsetzung der Umweltgesetze ist nicht mehr Regierungslinie“, sagte ein gut vernetzter Ibama-Beamter unter Zusicherung von Anonymität dem Tagesspiegel. Er skizzierte eine dramatische Situation: Salles installiere regierungstreue Militärs in Schlüsselpositionen, die den lukrativen Raubbau an der Natur deckten. „Die Umweltmafia infiltriert uns“, sagte der Ibama-Mann. Die anständigen Leute befänden sich in den Schützengräben. Im vorerst letzten Akt hat Jair Bolsonaro diese Woche ein Dekret erlassen, das die Entscheidungen über Umwelteinsätze dem Militär überträgt. Damit ist das Ibama praktisch wirkungslos.

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Die Aushöhlung von Brasiliens Umweltbehörde findet ausgerechnet zu einem Zeitpunkt statt, in dem der Umweltschutz nötiger denn je wäre. Brasilien hat einerseits mit der Covid-19-Pandemie zu kämpfen, die vielerorts außer Kontrolle zu geraten droht. Am Montag wurden mehr als 163 000 Infizierte und 11 200 Tote registriert, wobei die Kurven nach oben zeigen und die Dunkelziffern wegen fehlender Tests weitaus höher liegen dürfte. Während nun einige Städte den Lockdown ausgerufen haben, ruft Präsident Bolsonaro die Brasilianer dazu auf, wieder zur Arbeit zu gehen. Das Land erlebt ein institutionelles und auch gesellschaftliches Chaos. Viele Anhänger des rechtsextremen Präsidenten wittern hinter Covid-19 ein „kommunistisches Komplott“ zur Schwächung ihres Idols und missachten die Regeln zur physischen Distanz demonstrativ.

Die Amazonasregion wird dabei doppelt hart getroffen. Während die Behörden in der Millionenstadt Manaus nicht mehr wissen, wie sie die Hunderten Covid-19-Toten begraben sollen und der Bürgermeister das Ausland um Hilfe anfleht, wird der Amazonaswald in neuem, atemberaubenden Tempo abgeholzt. „Die Pandemie lähmt alles, nur nicht die Zerstörung Amazoniens“, schriebt die konservative Wirtschaftszeitung „Valor Econômico“. Laut brasilianischer Raumfahrtbehörde (Inpe) hat die Regenwaldzerstörung in den ersten vier Monaten dieses Jahres um 55 Prozent im Vergleich zu 2019 zugenommen. Damit wurde 2020 bereits eine Fläche von 1200 Quadratkilometern entwaldet, das entspricht der anderthalbfachen Größe Berlins und ist ein neuer, trauriger Rekord.

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