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Im Irak kommt es seit Anfang Oktober in mehreren Teilen des Landes, wie hier in Kerbala, zu Unruhen.

© Mohammed SAWAF / AFP

Unruhen im Irak: Regierungschef tritt ab – Proteste gehen weiter

Iraks Ministerpräsident Mahdi tritt zurück, aber ein Regierungswechsel wird nicht zur schnellen Lösung der Probleme führen. Was steckt hinter den Unruhen?

Der Ministerpräsident tritt ab – doch die Proteste gehen weiter. Am Sonntag hat das irakische Parlament das Rücktrittsgesuch von Adel Abdul Mahdi angenommen. Das Parlament werde Präsident Barham Salih bitten, einen Nachfolger zu bestimmen, hieß es.

Der schiitische Politiker hatte am Freitag nach wochenlangen Massenprotesten seinen Rücktritt angekündigt und damit eine zentrale Forderung der Demonstranten erfüllt. Mahdi hatte sein Amt erst im Oktober 2018 angetreten. Nach seiner Aussage soll das Kabinett die Amtsgeschäfte weiterführen, bis ein Nachfolger bestimmt ist. Ein Regierungswechsel bringt allerdings nicht unbedingt eine Lösung der Probleme im Land.

Kurz vor Beginn der Parlamentssitzung wurde in Bagdad erneut ein Demonstrant erschossen. Im ganzen Land fanden aus Solidarität mit den jüngsten Opfern große Trauer- und Protestmärsche statt.

Seit Anfang Oktober kommt in mehreren Teilen des Landes zu Massenprotesten gegen die politische Führung. Mehr als 400 Menschen sollen dabei bereits ums Leben gekommen sein. Auch am Samstag versammelten erneut Tausende Menschen in Nassirijah, Kerbala, Nadschaf und Al Diwanija.

Mahdi hatte sein Amt zur Verfügung gestellt, nachdem der oberste Geistliche der Schiiten im Irak, Groß-Ajatollah Ali Sistani das Parlament aufgerufen hatte, dem Kabinett die Unterstützung zu entziehen. Sistani begründete seinen Appell mit dem brutalen Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen die Demonstranten. Der schiitische Populist Moktada al-Sadr hatte gewarnt, ein Verbleib von Mahdi auf seinem Posten wäre „der Anfang vom Ende des Irak“.

Am Sonntag hat das irakische Parlament das Rücktrittsgesuch von Adel Abdul Mahdi angenommen.
Am Sonntag hat das irakische Parlament das Rücktrittsgesuch von Adel Abdul Mahdi angenommen.

© AHMAD AL-RUBAYE / AFP

Die oberste Justizbehörde des Landes, der Hohe Justizrat, verkündete am Sonntag einen Haftbefehl gegen einen Militärchef. General Dschamil al-Schammari hatte dem Justizrat zufolge das tödliche Durchgreifen gegen Demonstranten in der südirakischen Provinz Thi Kar angeordnet. Dort waren bei Zusammenstößen mit Sicherheitskräften in der vergangenen Woche mindestens 32 Menschen ums Leben gekommen. Al-Schammari, der dort nach einem Bericht der staatlichen Nachrichtenagentur INA für die Sicherheit verantwortlich war, wurde am Donnerstag von seinem Posten entfernt. Zudem wurde ein Reiseverbot gegen ihn verhängt. Was genau sind die Gründe für die anhaltenden Unruhen im Irak?

Reiches Land – arme Bevölkerung

Die Menschen gehen auf die Straße, um gegen Korruption und Misswirtschaft in einem Land zu protestieren, das wegen seines Ölreichtums zu den reichsten Ländern der Welt gehören könnte, in dem aber viele Menschen in Armut leben müssen. Nicht einmal grundlegende Dienstleistungen wie eine sichere Stromversorgung kann der irakische Staat seinen Bürgern bieten. Jeder Vierte im Land muss nach UN-Angaben mit zwei Euro oder weniger am Tag auskommen.

Zu den wirtschaftlichen Gründen für die Protestwelle kommen politische. Viele Menschen misstrauen einem politischen System, in dem Schiiten, Sunniten, Kurden und andere Gruppen um Posten, Geld und Macht ringen, das Wohl des Landes aber ignorieren. Der Einfluss des großen Nachbarn Iran ist für viele Iraker ein weiteres Ärgernis. Das Teheraner Regime bemüht sich insbesondere seit der Entmachtung von Saddam Hussein nach der amerikanischen Invasion im Jahr 2003 um Einfluss auf die Regierungen im Irak – auch, um einen neuen Angriffskrieg der Iraker gegen den Iran wie in den 1980er Jahren auszuschließen.

Die Rolle des Iran

Teheraner Geheimdienstunterlagen, die der US-Onlineplattform The Intercept zugespielt wurden, machen das Ausmaß der Rolle Irans im Irak deutlich. Sie zeigen Irak als ein Land, in dem der iranische Generalmajor Qassem Soleimani, Chef der Auslandseinheit der Teheraner Revolutionsgarden, die Fäden zieht. Soleimani und andere iranische Regierungsvertreter haben demnach irakische Politiker auf ihre Seite gebracht, irakische Institutionen nach iranischen Interessen ausgerichtet und sogar amerikanische Spione im Irak „umgedreht“ und in den Dienst Teherans gestellt.

Einige Dutzend Schiiten-Milizen sichern Teherans Einfluss zusätzlich. Wenn es darauf ankommt, gibt es für diese hochgerüsteten Schattenarmeen keinen Zweifel: Sie sind dem iranischen Regime treu ergeben, schalten und walten ganz im Sinne des Revolutionsführers Ajatollah Ali Chamenei. Das gilt auch für die sogenannten Volksmobilisierungseinheiten. Die Haschd-al-Schaabi-Verbände sind das wohl schlagkräftigste schiitische Bündnis im Irak. Es verfügt schätzungsweise über 140000 kampferprobte Männer. Gegründet wurde die paramilitärische Truppe Mitte 2014. Der „Islamische Staat“ (IS) war damals auf dem Vormarsch, reguläre Soldaten der irakischen Armee flohen lieber, als sich den gefürchteten Dschihadisten entgegenzustellen. Daraufhin rief mit Groß-Ajatollah Sistani eine anerkannte schiitische Instanz zur Abwehrschlacht gegen die sunnitischen Terroristen auf, die bereits vor Bagdads Toren standen.

Milizen an der Seite Teherans

Ausgestattet und ausgebildet vom Regime in Teheran eroberten die Volksmobilisierungseinheiten nach und nach die IS-Gebiete im Irak zurück. Allerdings sollen sie sich dabei schlimmster Kriegsverbrechen an Sunniten schuldig gemacht haben. Offiziell wurden die Milizen inzwischen in die reguläre irakische Armee eingegliedert. Beobachter haben allerdings keinen Zweifel daran, dass die Einheiten nach wie vor ein Eigenleben führen und loyal an Irans Seite stehen. Wie andere schiitische Milizen im Irak sollen die Haschd-al-Schaabi-Verbände Befehle von Generalmajor Soleimani erhalten.

Bereits Anfang der achtziger Jahre, also kurz nach der islamischen Revolution im Iran, wurde die Badr-Organisation gegründet. Ihre Aufgabe war es, als bewaffneter islamistischer Flügel der Schiitenpartei im Irak gegen die sunnitische Saddam-Regierung vorzugehen. Auch im irakischen Krieg gegen den Iran folgten die Badr-Kämpfer den Anweisungen der Revolutionsgarden. Bis heute gehört die Badr-Organisation zu den einflussreichsten Teheran-treuen Gruppen im Irak – und sichert so die Macht der Mullahs im Nachbarland.

Keine schnellen Lösungen

Mahdis Rücktritt ist ein Etappensieg für die Protestbewegung und bringt die Politik in Zugzwang. Eine neue Regierung zu bilden, dürfte jedoch schwierig werden; nach den Wahlen im vergangenen Jahr dauerte es fast ein halbes Jahr, bis Mahdi den Amtseid ablegen konnte. Selbst wenn es diesmal schneller geht, lautet die Frage, wie eine neue Regierung die Lage in den Griff bekommen kann.

Der Reformstau und die Wut der Demonstranten stellen die irakische Politik vor eine unlösbare Aufgabe.
Der Reformstau und die Wut der Demonstranten stellen die irakische Politik vor eine unlösbare Aufgabe.

© Haidar HAMDANI / AFP

Der Reformstau und die Wut der Demonstranten stellen die irakische Politik vor eine unlösbare Aufgabe, wie die Irak-Expertin Maria Fantappie von der Denkfabrik International Crisis Group kürzlich schrieb: Von den Politikern werden sofortige Lösungen für Probleme verlangt, die langfristige Strategien erfordern. Zu solchen vorausschauenden Lösungen ist das politische System bisher jedoch nicht fähig gewesen.

Ein weiteres Problem ist, dass die Protestbewegung weder eine einheitliche Führung noch ein politisches Programm hat. Fantappie zufolge könnten Organisationen der Zivilgesellschaft im Irak versuchen, einen Dialog zwischen Politik und Protestbewegung in Gang zu bekommen. Ein Wandel über Nacht ist aber nicht zu erwarten – zumindest auf kurze Sicht wahrscheinlicher ist noch mehr Instabilität.

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