zum Hauptinhalt

Tschüss, Schule!: Wie Abiturienten in die Zukunft blicken

Zu idealistisch? "Ich bin jung: Ich darf das", sagt Ole Schmitt. Er ist einer von zehn Berliner Abiturienten, die wir nach ihren Plänen gefragt haben.

Es ist für viele junge Menschen der erste ganz große Einschnitt im Leben: Die Schule ist geschafft, der Abschluss in der Tasche. Aber wie geht es dann weiter? Erstmal reisen? Oder die Welt retten? Oder möglichst schnell an die Uni? Wir haben zehn Berliner Abiturienten nach ihren Zukunftsplänen gefragt.

[Die Protokolle wurden aufgezeichnet von: Fanny Kempter, Markus Lücker, Susanna Nieder, Claudia Seiring, Sylvia Vogt]

Constance Dumke, 17 Jahre,Heinrich-Schliemann-Gymnasium, Prenzlauer Berg

Die Abizeit fand ich sehr anstrengend. Dadurch, dass das Semester sehr kurz war, hat sich alles gestaut. Ich habe einen Schnitt von 1,9 geschafft. Die Zeit jetzt erlebe ich wie eine Befreiung. Einerseits. Andererseits fehlt nun die Struktur – die Schule hat meinen Alltag geprägt. Ich muss jetzt selber herausbekommen, was ich wirklich will. Und mich darum kümmern. Dieses Wissen, dass man selbst für sich verantwortlich ist, macht mir auch Angst. Ich habe nicht das Gefühl, dass ich in der Schule auf das Leben vorbereitet wurde.

Im Sommer möchte ich reisen, vor allem auch alleine, ins Ausland. Mein Plan ist es, im August in Großbritannien zu woofen: man arbeitet auf Farmen mit und kann dafür kostenlos dort wohnen und bekommt Essen. Besonders meine Sprachfertigkeiten will ich verbessern.

Weil ich eine Ausbildung in Berlin plane, möchte ich vorher nochmal weg. Ich habe mich für eine Ausbildung zur Gesundheits- und Krankenpflegerin beworben. Früher hieß das Krankenschwester. Die Ausbildung würde im Oktober beginnen, vorher müsste ich noch ein Praktikum im medizinischen Bereich machen. Auch wenn die Ausbildung in Berlin ist,  würde ich gerne ausziehen, in eine WG. 

Es ist ein großer Traum von mir, unabhängig zu sein. Eigentlich wollte ich nach der Schule ein Auslandsjahr machen. Aber da ich noch mehr als ein halbes Jahr 17 bin wäre das schwierig gewesen. Viele Projekte sind erst ab 18, außerdem ist dann immer jemand für mich zuständig.

Mehr zum Thema: Orientierungslosigkeit nach dem Abitur – raus aus dem Chillmodus

Wenn es klappt mit der Ausbildung würde ich später auf jeden Fall gerne im Ausland arbeiten, zum Beispiel in der Entwicklungshilfe. Auch ein Studium könnte ich mir perspektivisch gesehen vorstellen.

Über eine Familie denke ich schon nach, natürlich nicht im Detail.  Ich habe das schon im Hinterkopf, schließlich gibt es Berufe, die für eine Familie anstrengender sind, als andere. Aber aktuell ist das nicht mein Thema. Ich will jetzt  herausfinden, was ich will. Mich jetzt frei entscheiden zu können ist mir sehr wichtig.

Angst macht mir der Rechtsruck in Europa, denn Werte wie Humanität und Toleranz sind für mich persönlich die Grundlage friedlichen Miteinanders. Diese Entwicklung sehe ich aktuell und auch in Zukunft als Bedrohung unseres Friedens und der Demokratie. Auch finde ich, dass die Politik endlich mal mehr für den Klimaschutz tun sollte. Die Folgen des anthropogenen Treibhauseffektes verschwinden mit der Zeit ja nicht einfach. Und es ist im Sinne aller Menschen, besonders der jungen, wie uns, und zukünftiger Generationen. Wir tragen Verantwortung.

 Hugo Kempter
Hugo Kempter

© privat

Hugo Kempter, 17 Jahre,Beethoven-Gymnasium, Lankwitz

Ich muss sagen: Jetzt, nach dem Abi, ist eine echt sehr, sehr entspannte Zeit. So habe ich mir es immer vorgestellt. Das war meine Rettungsinsel, mit der ich mich während der Lernzeit motiviert habe: Bald hat das alles ein Ende. Mit meinem 2,4er-Schnitt bin ich zufrieden, vor allem weil ich mir nicht zu viel Stress gemacht habe. Ich überlege, Sport und Geografie auf Lehramt zu studieren. Wenn mein NC nicht reicht, gibt es die Möglichkeit, über Wartesemester einen Studienplatz zu bekommen, oder ich lasse einfach etwas Neues, auf mich zukommen, und das gefällt mir dann vielleicht sogar viel besser. Ich kann nur nicht verstehen, wieso es einen hohen NC gibt, wo wir doch Lehrermangel haben.

Obwohl ich den Klimawandel als ein sehr großes Problem ansehe, hielt ich die Fridays-for-Future-Demos lange für nicht besonders sinnvoll. Ich dachte, dass Schüler nur eine Möglichkeit zum Schwänzen und Feiern suchten. Doch meine Freunde haben mich überzeugt, dass es der einzige Weg ist, um Aufmerksamkeit auf das Thema zu lenken: das System blockieren, bis sich etwas ändert. Doch meiner Meinung nach wird Greta Thunberg als Symbol der Bewegung ein bisschen viel Aufmerksamkeit geschenkt.

Das Beste an der Zeit nach dem ABI ist das Ausschlafen. Man muss nur aufpassen, dass man nicht in ein Loch des Nichtstuns fällt. Ich habe das gut hinbekommen, indem ich vorgeplant habe: Gerade arbeite ich als Fußballtrainer und mache den Führerschein. Seit ich sechs Jahre alt war, möchte ich nach Australien. Jetzt wird das plötzlich immer konkreter. Anfang Oktober fliege ich mit meinem Kumpel dorthin.

Lilly Wiegand
Lilly Wiegand

© privat

Lilly Wiegand, 18 Jahre,John-Lennon-Gymnasium, Prenzlauer Berg

Zum Schluss war die Schule ziemlich anstrengend, weil das Semester super kurz war, was alle ziemlich gestresst hat. Und plötzlich hatte man gar keinen Unterricht mehr und sollte sich auf die Prüfungen vorbereiten, was bei mir dann doch ziemlich gut geklappt hat. Ich konnte mir am Anfang gar nicht vorstellen, dass die Schule vorbeigeht, aber jetzt bin ich ganz froh, dass es vorbei ist. Am 2. August gehe ich für ein Jahr nach Ecuador, mit „Weltwärts“. Ich leiste dort einen entwicklungspolitischen Freiwilligendienst und unterrichte als Englischlehrerin in einer Schule in Mindo, einem 2000-Einwohner-Ort im tropischen Regenwald. Zwei Tage in der Woche werde ich außerdem in einem Community-Projekt arbeiten. Ich kann Englisch und Französisch, aber noch überhaupt kein Spanisch und hoffe, dass ich das vor Ort und in meiner Gastfamilie schnell lerne. Ich bin in der Großstadt Berlin aufgewachsen und sehr gespannt, wie das in einem so kleinen Ort für mich wird.

Ich habe mir schon Mühe mit meinem NC gegeben, um alle Möglichkeiten nutzen zu können. Als ich kleiner war, wollte ich immer Künstlerin werden. Ich habe schon damals gerne gezeichnet und gemalt, das hat sich auch heute nicht geändert. Jetzt interessiert mich unter anderem Psychologie – aber ich überlege auch, Neurowissenschaften oder etwas zu studieren, durch das ich an nachhaltigen Lösungen für die Zukunft forschen kann. Ich möchte gerne etwas machen, was die Menschheit voranbringt und Probleme löst.

Und ich möchte in meiner Arbeit unbedingt einen Sinn sehen. Lange dachte ich, dass ich in Berlin studieren will, deshalb auch mein Ehrgeiz, dieses 1,0er-Abi zu schaffen. Hat geklappt. Mittlerweile kann ich mir auch vorstellen, in einem anderen Land zu studieren.

Mehr zum Thema: Berliner Abitur 2019 – am Ziel und unterwegs

Irgendwann will ich bestimmt eine eigene Familie haben. Ich bin mit drei Geschwistern aufgewachsen, die ich alle superlieb habe und finde das total toll. Aber jetzt ist das nicht mein Thema. Ich möchte erst einmal viele Erfahrungen machen und unabhängig sein.

Worüber ich mir in letzter Zeit viele Gedanken mache: Dass ich mein komplettes Leben für ein Jahr verlasse. Es ist vor allem schwer, meine Freunde so lange nicht zu sehen. Ich bin gespannt, wie ich nach meiner Rückkehr über die Sachen denke, die ich jetzt sage. Wie ich wiederkommen werde. Es wird mich verändern. 

Kery Ahmad
Kery Ahmad

© privat

Kery Ahmad, 18 Jahre,Martin-Buber-Oberschule, Spandau

Ich glaube, ich habe in meiner Schulzeit einen Weltrekord aufgestellt: Seit der dritten Klasse habe ich keinen einzigen Tag und keine Stunde gefehlt. Mein Direktor sagt, dass er so etwas noch nie erlebt hat. Das Abi habe ich mit 1,7 geschafft.

Ich will jetzt gleich im Wintersemester mit dem Studium anfangen. Jetzt bin ich so gut im Lernen drin, den Schwung und das Wissen will ich nicht verlieren. Ich habe lange überlegt, was ich studieren soll, und entscheide ich mich wahrscheinlich für ein Lehramtsstudium. Geschichte und Philosophie würden mir Spaß machen, aber ich muss mich noch mal informieren, wie für diese Fächer die Berufschancen sind.

Ich habe mich schon  an der Freien Universität und an der Humboldt-Universität umgesehen. Ich will auf jeden Fall in Berlin bleiben. Hier fühle ich mich einfach wohl. Viele meiner Freunde wollen für eine Weile ins Ausland oder woanders hin. Aber mich reizt das nicht so. Warum soll ich mir den Stress antun, wenn es hier so schön ist? Ich bleibe wahrscheinlich auch noch eine Weile bei meinen Eltern wohnen, das ist ja auch eine Kostenfrage. Wenn ich dann Lehrer bin, würde ich aber vielleicht nach Potsdam oder in ein anderes Bundesland, weil Lehrer in Berlin derzeit ja nicht verbeamtet werden.

In meinem Jahrgang sind viele Mitschüler zu den Klimaschutz-Demos gegangen, und wir haben auch viel diskutiert, zum Beispiel über die Urheberrechtsreform und Artikel 13. Ich selbst finde das Thema Umwelt auch wichtig, bin aber nicht zu den Demonstrationen gegangen. Eigentlich schaue ich persönlich ganz optimistisch in die Zukunft.

Diskriminierung oder Rassismus habe ich an der Martin-Buber-Oberschule nie erlebt. Ganz im Gegenteil, das Schulleben wurde von vielen nichtdeutschen Mitschülern und Mitschülerinnen sowie auch jungen Lehrkräften positiv bereichert. Ich erhielt stets Unterstützung in meinem persönlichen Lernprozess von Seiten der Schule und besonders von den Lehrkräften.

Was ich mir wünsche: irgendwann mal eine Frau und Kinder, ein Haus mit Garten, und dann als Lehrer arbeiten. Wenn ich mir von Politikern was wünschen könnte, wäre das ein besseres Bildungssystem: Da müsste noch mehr kostenlos sein, zum Beispiel Schulbücher oder auch der Eintritt in Museen. Die Politiker könnten sich ein Vorbild an Schweden nehmen. Ich habe dort Verwandte, und als ich  zu Besuch war, habe ich gestaunt, dass das Bildungssystem dort noch besser ist als bei uns.

 Emily Radke
Emily Radke

© privat

Emily Radke, 18 Jahre,Rosa-Luxemburg-Gymnasium, Prenzlauer Berg

Ich würde gerne Musikerin werden. Also Singer-Song-Writerin. Momentan spiele ich in einer Band namens Eddi + Elma, mit der wir schon bei kleineren Festivals und in Clubs aufgetreten sind. Wir haben einen Instagram-Kanal, sind auf Youtube mit unseren Videos und kündigen auf Facebook unsere nächsten Konzerte an. Ehrlich gesagt, habe ich eine ziemliche Angst vor dem Tod. Da steckte in der Musik auch lange diese halb-unbewusste Hoffnung, etwa zu schaffen, das bleibt. Mittlerweile sind die Auftritte für mich aber vor allem ein Weg, eine Verbindung zu anderen Menschen aufzubauen.

Mir ist klar, dass es schwierig ist, mit so einem Berufswunsch Geld zu verdienen, aber ich sehe das wie viele meiner Mitschüler: Wir gestehen uns zu, Sachen auszuprobieren und Fehler zu machen. Bei meinem Abschluss habe ich 894 von 900 möglichen Punkten erreicht. Das ist das Abitur, das jemals an meiner Schule gemacht wurde. Also falls es als Sängerin nicht klappt, kann ich immer noch Medizin oder Psychologie studieren.

Aktuell stehen aber noch die Freiheiten im Vordergrund. Bei Sachen wie der Rente sieht es ja für unsere Generation eh schlecht aus, wie man so hört. Und auch bei der Digitalisierung sehe ich Probleme für das Alter. Menschen wie meine Oma werden schon gar nicht mehr in technische Fortschritte einbezogen.

Vor ein paar Monaten wurde in den Nachrichten über genetisch veränderte Embryonen aus China berichtet. Die Technisierung wird uns vor komplett neue Fragen stellen – auch philosophische. Auf so eine Zukunft kann man sich schlecht vorbereiten.    

Im Sommer werde ich jetzt erstmal ein paar Festivals besuchen und eine Woche nach Polen mit Freunden reisen. Im September mache ich eine Tour mit dem Interrail. Da durften sich die 2000er Jahrgänge für ein kostenloses Monatsticket bewerben und ich habe eines gewonnen. Ab November gehe ich nach Marokko, um einmal unsere so selbstverständliche europäische Perspektive zu verlassen. Für den Intensivkurs in Arabisch bin ich bereits angemeldet.

Janin Jaafar
Janin Jaafar

© privat

Janin Jaafar, 18 Jahre,Carl-von-Ossietzky-Gemeinschaftsschule, Kreuzberg

Ich hatte mir schon immer vorgenommen, Abitur zu machen. Und jetzt habe ich es geschafft! In Mathe, das ich früher nicht so mochte, habe ich sogar meine beste Prüfungsnote erzielt. Ich habe einen Durchschnitt von 2,6 und bin sehr zufrieden.

Jetzt mache ich erstmal ein Jahr etwas anderes, danach will ich BWL studieren. Früher hatte ich eher an Architektur gedacht. Aber ich habe in der Schule gemerkt, dass es mir liegt und Spaß macht, Projekte zu organisieren, Sachen zu managen und mit Leuten zu arbeiten. Ich habe mich in der Schülervertretung engagiert, war Schul- und Jahrgangssprecherin. Wir haben zum Beispiel das Projekt der Valentinstagsrosen organisiert: Schüler konnten bei uns Rosen kaufen, die wir dann anonym an diejenigen verteilt haben, die sie beschenken wollten. Später will ich am liebsten Managerin werden oder selbstständig sein. Ich möchte auch gern mal eine Familie haben, aber zuerst will ich einen guten Beruf. Ich würde auch gern eine Zeitlang im Ausland arbeiten, will aber immer wieder nach Berlin zurück kommen.

Vor dem Studium will ich ein halbes Jahr ins Ausland, am liebsten in ein englischsprachiges Land, um mein Englisch zu verbessern. Vielleicht mache ich ein ökologisches oder soziales halbes Jahr in Großbritannien. Und wenn ich wieder in Berlin bin, will ich ein Praktikum machen, jobben und ein bisschen Geld verdienen.

Mehr zum Thema: Lehrermangel in der Hauptstadt – sogar Lehrer ohne Abitur unterrichten jetzt Berlins Schüler

Ich wohne noch bei meinen Eltern in Kreuzberg. Meine Eltern kommen aus dem Libanon und fühlen sich hier zu Hause. Diskriminierung erfahre ich zumindest in Kreuzberg nicht, hier ist alles multikulti und offen. Die Wahlerfolge der AfD fand ich zwar schon beängstigend, aber ich bin mir sicher dass die AfD mit ihrem inhaltlosen Programm nicht lange durchhalten wird. Eine Partei, die ihr Programm auf rassistische Aussagen aufbaut und nur polarisiert, pauschalisiert und zusätzlich den Klimawandel leugnet, ist weder eine gute zukunftsorientierte noch eine passende Alternative, die uns voran bringt. Vielmehr wird die Arbeit im Parlament durch ihre teilweise verfassungswidrigen Anträge aufgehalten.

Ich mache mir auch manchmal Sorgen um die Zukunft, zum Beispiel über die Umwelt. Es ist schwer sich vorzustellen, dass vieles für meine Kinder vielleicht nicht mehr da sein wird. Ich glaube aber, dass wir noch viel bewegen können, wenn viele Leute zusammen arbeiten. Was ich von Politikern halten soll, weiß ich nicht so recht. Bei der Europawahl habe ich mir alle Programme durchgelesen. Da klang vieles gut, aber am Ende kommt eben nicht immer das heraus, was die Politiker versprochen haben.

Jean Dumler
Jean Dumler

© privat

Jean Dumler, 17 Jahre,Beethoven-Gymnasium, Lankwitz

Die Erwartungen an ein gutes Leben haben sich für die heutigen Abiturienten, glaube ich, geändert. Unter Glücklichsein verstehe ich nicht die große Karriere, das dicke Auto und den schönen Vorgarten, sondern dass ich leben kann, ohne an Klimawandel oder Burn-out kaputtzugehen. Ich wohne in Lankwitz, wo es zwischen den Hochhäusern eng ist – aber von der Stadt hat man trotzdem nichts. Ich möchte später wählen können, ob ich aufs Land ziehen will, um die Natur zu genießen, und nicht gezwungen sein, in der Stadt in irgendeinem Loch zu wohnen, weil es nur da Arbeit gibt. Zurzeit habe ich keine Möglichkeit, von zu Hause auszuziehen.

Im Herbst werde ich wahrscheinlich anfangen zu studieren, und wenn ich an die FU gehe, ist das vom Weg her okay. Nach dem Bachelor will ich aber auf jeden Fall wegziehen, ich will das Privileg, überall in der EU leben zu dürfen, auch nutzen. Spanien, Frankreich, die Niederlande oder Belgien könnte ich mir vorstellen. Ich will mein Geld mit Schreiben verdienen, am liebsten als Journalist.

Ich will aber auch Lyrik schreiben und habe Sorge, dass ich das vernachlässigen muss, weil ich sonst nicht über die Runden komme. Die Frage, ob die Gesellschaft sich noch weiter polarisiert, sehe ich aber positiver als die meisten meiner Freunde. Ich glaube, da tut sich viel. Vor zwei Jahren hätte ich auch noch gesagt, dass junge Menschen kein Mitspracherecht haben, aber das ändert sich gerade.

Was ich mir wünsche ist, nicht einsam zu sein. Ich habe viele enge Freundschaften und liebe meine kurdisch-russische Familie. Ich hoffe, dass kein Leistungsdruck das zerstört.

Levent Miguel Yildiz
Levent Miguel Yildiz

© privat

Levent Miguel Yildiz, 17 Jahre,Carl-von-Ossietzky-Gemeinschaftsschule, Kreuzberg

Die letzten Monate waren echt anstrengend mit dem Lernen, aber es hat sich gelohnt: Ich habe einen Durchschnitt von 1,6 erreicht. Was meine Zukunftsplanung angeht, bin ich noch etwas in einem Zwiespalt, ob ich mich für die Vernunft oder für meine Leidenschaft entscheiden soll. Die Vernunftentscheidung wäre, Politikwissenschaft zu studieren. Ich bin politisch engagiert, gehe oft zu Demonstrationen und Veranstaltungen, ich habe beispielsweise gegen das Freihandelsabkommen Ceta demonstriert und diskutiere manchmal auf Versammlungen über die Situation von Minderheiten in der Türkei.

Sechs Schüler und Schülerinnen der 9. und 10. Klasse erzählen von ihren Wünschen, Hoffnungen und Ängsten.

Samanta Harzmann
Samanta Harzmann

© privat

Aber meine eigentliche Leidenschaft ist das Schauspielen. Ich habe schon drei Jahre bei einer Schauspielgruppe gespielt und außerdem eine Sprechrolle in einer Zeichentrick-Fernsehserie übernommen.

Ich denke, ich werde mich jetzt erstmal  bei Schauspielschulen bewerben. Ab Herbst 2020 werde ich dann auf jeden Fall studieren. Wenn es mit dem Schauspiel nicht klappt, dann eben Politik.  Später will ich gern mal eine Familie haben. Aber im Moment geht es mir erstmal darum, eine gute Balance  zu finden zwischen Spaß haben und sinnvoll die nächsten Schritte für meine Zukunft zu planen. Vielleicht reise ich vor dem Studium noch für ein paar Monate ins Ausland, um mein Englisch zu verbessern. Vielleicht fange ich auch an ein Buch zu schreiben, ich habe eine sehr künstlerische Ader und mein Geschmack geht von Psychothrillern bis zu Gedichten von Schiller.

Im Moment wohne ich noch bei meinen Eltern, und das wird wahrscheinlich auch noch eine Weile so bleiben, schon aus wirtschaftlichen Gründen. Aber ich helfe auch im Haushalt mit. Eigentlich würde ich gern in Berlin bleiben. Wenn allerdings von irgendwo ein gutes Angebot zum Schauspielen kommen würde, würde ich sofort dorthin gehen.

Samanta Harzmann, 18 Jahre,Barnim-Gymnasium, Lichtenberg

Ich möchte mein Leben im Griff haben. Es kommt für mich nicht in Frage, ein – in Anführungszeichen – Problemmensch zu werden. Leute wollen mir erzählen, dass mir die ganze Welt offensteht. Denen muss ich dann erklären: „Nicht ohne das Geld dafür“. Als Kind habe ich nie eine Urlaubsreise ins Ausland machen können. Erst im letzten Jahr habe ich es tatsächlich mal mit meinem Freund für einen Tagestrip per Bus nach Prag geschafft. Selbst da dachte ich schon: Wow. Das war einfach irre für mich, über diese Grenze zu fahren. Aktuell hoffe ich, dass ich für ein Architekturstudium angenommen werde. Das ist mein Ziel: Stabilität. Eine gute Uni, einen guten Job, eine gute Familie.

Ich habe nicht die Erwartung an mein Leben, dass ich etwas Krasses werde. Falls ich irgendwann einen Wolkenkratzer in New York bauen darf, freue ich mich natürlich und auch eine Weltreise wäre nice. Aber ich fange nicht an zu weinen, wenn es nicht soweit kommt. Ich habe meine Freunde, meinen Partner, irgendwann vielleicht Kinder, was will man denn mehr. Man braucht doch keine Zeitungen, die über einen schreiben. Wichtig ist mir der Zusammenhalt.

Als ich kleiner war, hatte ich immer die Vorstellung von Ländern ohne Grenzen. Dass in Deutschland, Frankreich oder Spanien alle zusammenleben und glücklich werden – egal wo sie herkommen. Es beunruhigt mich, wie gespalten unsere Gesellschaft durch die Flüchtlingspolitik ist. Ich sehe die Abstimmungsergebnisse bei der Europawahl und unterhalte mich mit Leuten, die diesmal für die AfD gestimmt haben. Die erzählen mir dann, dass sie eigentlich für die Linke sind, aber aus Protest Rechte wählen. Das ist doch schräg. Ich fände es gut, wenn wir wieder mehr zu einer gemäßigten Mitte finden und in der Zukunft als Gesellschaft nicht immer noch radikaler werden.

Ole Schmitt
Ole Schmitt

© privat

Ole Schmitt, 17 Jahre,Rosa-Luxemburg-Gymnasium, Prenzlauer Berg

Welchen Sinn hat es, Tag für Tag an irgendeinem Schreibtisch zu arbeiten, wenn man damit nicht auch nachhaltig anderen Menschen helfen kann? Ich schaue auf die Zahlen beim Klima, auf den Zerfall solidarischer Strukturen in der EU, unsichere Finanzmärkte, die Situation in Polen, Ungarn, Italien. Wenn die nächste Krise droht, will ich dazu beitragen, unsere Situation zu verbessern. Ich kann kein Blut sehen, also kann ich kein Arzt werden. Ich finde Juristerei interessant, aber zu kleinteilig. Also werde ich jetzt nach meinem Abschluss in den Technik-Bereich gehen. Das hört sich alles sehr idealistisch an, aber ich bin jung: Ich darf das.

Seit der fünfte Klasse habe ich einen Plan, was ich wann und wie machen möchte. Jetzt gehe ich erstmal ins Ausland, dann mache ich ein freiwilliges ökologisches oder soziales Jahr, Praktika, anschließend geht es direkt ins Studium. Danach überlege ich, einen Master außerhalb von Deutschland zu machen – damit ich ein bisschen rumkomme.

Und dann? Wahrscheinlich arbeiten. Vielleicht bei einer Bude, die Apps programmiert. Das Internet gibt uns die Möglichkeit, Dinge zu schaffen, die Millionen von Menschen begeistern. Man muss das aber auch kritisch sehen. Startups probieren zwar alles Mögliche aus, erfinden aber viele Produkte, die uns nicht weiterbringen. Die weder den allgemeinen Meinungsaustausch verbessern, noch das Klima. Erfindungen, die einfach nur Geld machen sollen. Ich sehe zum Beispiel nicht ein, warum wir elektrische Tretroller brauchen. Erstmal sollte die Politik Radwege ausbauen und die Innenstädte möglichst autofrei machen.

Ich verstehe ja den bisherigen Klimakurs der Parteien: Die wollen möglichst viele potentielle Wähler überzeugen und es gibt nun mal mehr ältere als junge Menschen. Deshalb wurden wir lange nicht beachtet. Aber das schöne ist ja, dass wir unsere Ideen nicht mehr wie die Jugendlichen früher gegen unsere Elterngeneration durchsetzen müssen. Wir binden die jetzt bei uns mit ein. Die Politik muss erkennen, dass sie nicht nur eine Politik gegen Jugendliche macht, sondern auch gegen Eltern, die das Beste für ihre Kinder wollen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false