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OP-Besteck in einer HNO-Klinik.

© Uwe Anspach/dpa

Tödliche Medizin: Jede Minute sterben weltweit fünf Menschen nach falscher Behandlung

Fehler passieren überall. Doch im Operationssaal können sie dramatische Folgen haben. Zu wenig Personal und zu hoher Zeitdruck sind die Gründe.

Millionen Menschen weltweit kommen nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) jährlich bei medizinischen Behandlungen zu Schaden. „Jede Minute sterben fünf Menschen wegen fehlerhafter Behandlung“, sagte WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus in Genf anlässlich des „Tages der Patientengesundheit“, der am 17. September erstmals begangen wird – etwa indem Wahrzeichen wie die Pyramiden in Ägypten orange angestrahlt werden. Weltweit erlitten 40 Prozent der Patienten bei ambulanten Behandlungen Schäden, im Krankenhaus seien es zehn Prozent, so die WHO. In den rund 150 Ländern mit niedrigen und mittleren Einkommen kämen nach Schätzungen 2,6 Millionen Menschen im Jahr durch fehlerhafte medizinische Behandlung ums Leben. Die Bandbreite der Fehler ist groß: manche Patienten bekämen eine falsche Diagnose oder falsche Medikamente, sie würden falsch bestrahlt oder infizierten sich während der Behandlung. Auch Amputationen falscher Gliedmaßen oder Hirnoperationen auf der falschen Seite des Kopfes kämen vor. „Es ist ein globales Problem“, sagte die für das Thema verantwortliche WHO-Mitarbeiterin Neelam Dhingra-Kumar.

Jüngere trauen sich oft nicht, etwas zu kritisieren

Zu den Gründen zähle etwa eine strenge Hierarchie in vielen Einrichtungen, in denen jüngeres Personal sich bei Fehlern nicht traue, etwas zu sagen. Oder Angestellte verschwiegen Fehler aus Angst vor Repressalien. Fehler müssten aber erkannt und benannt werden, so Dhingra-Kumar. „Fehler machen ist menschlich. Aber aus Fehlern nicht zu lernen ist inakzeptabel.“ Mehr zu investieren in sichere und möglichst fehlerfreie Abläufe in Praxen und Kliniken könne sich bezahlt machen, meint Dhingra-Kumar. Denn geschädigte Patienten verursachen Mehrkosten, da sie länger in Behandlung bleiben müssten. In den USA seien in Medicare-Krankenhäusern in den Jahren von 2010 bis 2015 durch bessere Sicherheitsmaßnahmen rund 28 Milliarden Dollar (gut 25 Milliarden Euro) eingespart worden. Dennoch beklagen dort Ärzte und Pflegekräfte, nicht ausreichend ausgestattet zu sein, um das Ziel, keinem Patienten unnötigen Schaden zuzufügen („zero harm“), erreichen zu können – so das Ergebnis einer Umfrage des Joint Commission Center for Transforming Healthcare unter 1050 Ärzten in den USA. Demnach sagen elf Prozent, dass ihnen die Mittel und die Trainingsmöglichkeiten fehlen, um ihre Arbeitsplatzsituation sicherer zu gestalten. Während sich fast alle Befragten (96 Prozent) diesem Ziel „absolut verpflichtet“ fühlen, sind weniger als die Hälfte (47 Prozent) davon überzeugt, immer das Richtige im Interesse der Sicherheit der Patienten tun zu können.

Kritik an fehlender Führung und geringen Investitionen

Als Ursache führen 88 Prozent der Befragten eine schlechte personelle Ausstattung in den Einrichtungen an und sprechen sich für mehr Pflegepersonal pro Patient aus. Außerdem seien „fehlende Führung“ und „fehlende Investitionen“ Gründe für zu viele Behandlungsfehler. Deutschland gehe, wie einige andere Länder mit gutem Beispiel voran, um Behandlungsfehler so weit wie möglich zu vermeiden, lobte die WHO. Allerdings könnten durch mehr Patientensicherheit auch in Deutschland jedes Jahr viele Tausend Leben gerettet werden, sagt die Vizevorsitzende des Aktionsbündnisses Patientensicherheit, Ruth Hecker. Für eine „echte Sicherheitskultur“ sei ein gemeinsames Engagement aller Verantwortlichen im Gesundheitssystem nötig, erklärte das Bündnis. Das kann etwa über Initiativen wie „Medikationsplan schafft Überblick“ erreicht werden, an der unter anderem die Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe beteiligt ist. Da Schlaganfall-Patienten oft drei oder mehr Medikamente über Wochen und Monate nehmen müssen, hätten sie eigentlich Anspruch auf einen Medikationsplan, der sie bei der korrekten Einnahme unterstützt. Diesen erhalte bislang aber nur ein kleiner Teil der Patienten, so die Organisation. Betroffene sollten ihn daher anfordern.

Ärzte arbeiten am Limit

„Qualität und Sicherheit müssen die Treiber im Gesundheitswesen sein – nicht Wettbewerb und Kostendruck“, sagt der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt. Er fordert „oberste Priorität“ für die Sicherheit von Patienten. Zeit für Gespräche, Austausch mit Kollegen und die Reflexion des eigenen Handelns trügen entscheidend dazu bei, Fehler zu vermeiden. Diese Zeit fehle jedoch häufig. „Stattdessen arbeiten Ärzte und andere Gesundheitsberufe am Limit, um die Folgen des Wettbewerbsdrucks und der Arbeitsverdichtung für die Patienten zu mildern“, so Reinhardt.
Der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe erklärte, die Sicherheit von Menschen mit Pflegebedarf hänge vor allem von der Qualifikation und der Kapazität des Pflegefachpersonals ab. „Hier darf es deshalb keine Abstriche geben, schon gar nicht aus ökonomischen Gründen“, sagte Verbandspräsidentin Christel Bienstein. Es brauche vielmehr eine Orientierung hin zu Patienten und Mitarbeitern. (mit dpa/KNA)

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