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Dauerhaftes Tauwetter. Die Erderwärmung lässt verstärkt das Eis schmilzen.

© imago images/Nature Picture Libr

Temperaturanstieg in den Ozeanen: Ein schräger Atombombenvergleich und was dahinter steckt

Forscher warnen: Die Menge an Energie in Form von Wärme, die der Mensch in die Ozeane gesteckt habe, entspricht 3,6 Milliarden Atombombenexplosionen.

Der Klimaforschung Gehör zu verschaffen, ist nicht leicht. Das lässt sich daran ablesen, wie Politik und Gesellschaft seit Jahrzehnten auf die Resultate der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler reagieren – oder auch nicht. So wäre die aktuelle Untersuchung eines Forscherteams um Lijing Cheng von der Chinesischen Akademie der Wissenschaften wohl ebenso im Nachrichtenstrom versunken, wenn nicht einer der Beteiligten die Idee mit der Atombombe gehabt hätte.

3,6 Milliarden Hiroshima-Bomben. Das entspricht der Energiemenge, die in den vergangenen 25 Jahren den Ozeanen zugeführt wurde und zu ihrer Erwärmung beigetragen hat, hat Cheng ausgerechnet. Fünf Atombombenabwürfe in jeder Sekunde. Das ist zugleich die Einheit, die zahlreiche Medien aufmerken ließ und zu prominenter Berichterstattung führte.

Ob eine Kernwaffe ein geeignetes Mittel ist, um Energieumsatz zu illustrieren, und wie viele Menschen tatsächlich eine Ahnung von der Zerstörungskraft des „Little Boy“ haben, der vor 74 Jahren aus einem US- Bomber abgeworfen wurde, darüber ließe sich streiten. Doch es führte weg von einem bemerkenswerten Resultat.

Ausgangspunkt für Chengs Berechnung ist ein Plus von 0,075 Grad Celsius, um die sich die Ozeantemperatur vom Bezugszeitraum 1981 bis 2010 bis zum Jahr 2019 erhöht hat. Das hört sich wenig an, doch um diese Steigerung zu erzielen, muss eine Wärmemenge von 228 Zettajoule in die Weltmeere gepumpt werden, berichten die Forscher im Fachmagazin „Advances in Atmospheric Sciences“.

Zum Vergleich: 10,7 Zettajoule strahlt die Sonne täglich auf die Erde ab, ein Großteil davon wird ins All reflektiert. Die unvorstellbare Menge von 228 Zettajoule ist mit der Erderwärmung verknüpft. Treibhausgase wie Kohlendioxid und Methan führen dazu, dass weniger Wärme in den Weltraum abgestrahlt wird und mehr auf dem Planeten verbleibt. Auf der Oberfläche bekommt die Menschheit jedoch nur einen kleinen Anteil zu spüren. Mehr als 90 Prozent der zusätzlichen Wärme nehmen die Ozeane auf. Die Folge: Sie werden wärmer, zwar langsam, aber beständig.

Wie unter Wasser gemessen wird

Das zeigen die neuen Daten der 14-köpfigen Teams um Cheng, das die Temperaturentwicklung analysiert hat. Die Forscher nutzen dafür unter anderem autonome Unterwasserdrifter namens „Argo“. Rund 4000 dieser Apparate treiben derzeit in den Weltmeeren, tauchen bis zu 2000 Meter tief und messen Temperatur, Salzgehalt und Strömung.

Trotzdem bleiben große Lücken in der Beobachtung. Diese haben Cheng und Team durch eine neue Methode zu schließen versucht und erhielten ein genaueres Bild, als es bisher möglich war.

Demnach waren die durchschnittlichen Ozeantemperaturen bis in zwei Kilometer Tiefe im vergangenen Jahr so hoch wie nie zuvor in der jüngeren Geschichte, heißt es in einer Mitteilung des Instituts für Atmosphärenphysik, zu dem Cheng gehört. Auf den Plätzen zwei bis fünf folgen die Jahre ab 2015.

Die Insel Tokelau kämpft mit Betonmauern gegen steigende Meeresspiegel.
Die Insel Tokelau kämpft mit Betonmauern gegen steigende Meeresspiegel.

© AFP

Je nach Region fallen die Änderungen unterschiedlich aus. Der zentrale Pazifik etwa zeigte zuletzt eine geringere Wärmeaufnahme, während vor allem der Atlantik und der Südozean, der sich um die Antarktis erstreckt, enorme Mengen aufgenommen haben.

Der Südozean gilt als die Wärmefalle schlechthin. Rund ein Drittel der zusätzlich anfallenden Wärme in den Meeren sei in diesem Ozean gelandet, schreibt das Team.

Vor allem in jüngerer Vergangenheit sind die Unterschiede eklatant. Die Wärmeaufnahme der Meere im Zeitraum 1987 bis 2019 sei viereinhalbmal so groß gewesen wie im Zeitraum 1955 bis 1986, haben die Forscher ausgerechnet. „Es ist wichtig zu verstehen, wie schnell sich die Dinge verändern“, sagt John Abraham, einer der Co-Autoren von der Universität St. Thomas im US-Staat Minnesota.

Die Wärme drückt das Wasser an Land

Die Folgen sind bereits jetzt zu erkennen. Da wärmeres Wasser mehr Volumen hat, drücken die Ozeane weiter aufs Land. Diese thermische Ausdehnung sowie Schmelzwasser von Eisflächen lassen den Meeresspiegel derzeit um rund drei Millimeter pro Jahr steigen. Dies erhöht die Gefahr für Hochwasser, etwa im Zuge von Wirbelstürmen. Hier gehen Forscher von einer Rückkopplung aus: Je wärmer das Meer, umso mehr Wasser kann verdunsten und Wetterextreme verstärken. Ob es zu einer Häufung von Stürmen kommt, ist nicht klar belegt. Vielmehr wird erwartet, dass ihre Intensität zunimmt.

Steigende Wassertemperaturen beeinflussen auch die Meeresbewohner. Immer wieder kommt es zu „Hitzewellen im Meer“. Die Temperatur steigt um mehrere Grad, viele Tiere entlang der Nahrungskette – vom Plankton bis hin zu Walen – sterben. Solche Hitzewellen dürften künftig häufiger auftreten, vermuten Wissenschaftler. Auch ohne Hitzewellen, allein durch Temperatursteigerungen, wird die Lebewelt beeinträchtigt, weil die Sauerstoffaufnahme des Wassers abnimmt. Korallenbleichen werden so begünstigt.

Die Autoren betonen, dass es wichtig ist, etwas gegen die Erderwärmung zu tun und den Ausstoß an Treibhausgasen rasch zu verringern. Doch selbst wenn dies innerhalb der nächsten Jahrzehnte gelänge, ergänzt das Team, würden die Ozeane als träge Systeme noch eine ganze Weile länger brauchen, bis sich die gravierenden Veränderungen dort abschwächen und zur Ruhe kommen.

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