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Streitfall. Der Staudamm soll Äthiopien Strom liefern und Wohlstand bringen. Ägypten fürchtet die Trockenheit. Foto: Tiksa Negeri/Reuters

© REUTERS

Streit am Nil: Wie ein afrikanischer Staudamm den Frieden in der Region gefährdet

Durch eine Talsperre am Nil fürchtet Ägypten um seine Wasserversorgung. Nun schafft Äthiopien Fakten und flutet einen Teil der Talsperre.

Wie es um das Konfliktpotenzial steht, ließ sich immer an der Größe des Projekts bemessen. Nun, da der größte Staudamm Afrikas, eine Talsperre über den Blauen Nil im Norden Äthiopiens, mit Wasser gefüllt werden könnte, droht dieser Konflikt zu eskalieren. Denn nach langem Streit mit Ägypten und dem Sudan hat Äthiopien Fakten geschaffen: Der Stausee sei mit 4,9 Milliarden Kubikmeter Wasser gefüllt worden, ohne den Wasserfluss stromabwärts zu unterbrechen, schrieb Wasserminister Seleshi Bekele auf Twitter.

„Wir haben das erste Auffüllen des Damms erfolgreich abgeschlossen, ohne andere zu stören oder zu verletzen“, sagte Regierungschef Abiy Ahmed am Mittwoch. Der Friedensnobelpreisträger sprach von einem „historischen“ Moment.

Seit 2011 wird an der 1,8 Kilometer langen und 145 Meter hohen Talsperre gearbeitet. Die Grand-Ethiopian-Renaissance-Talsperre, in Äthiopien kurz „Gerd“ genannt, soll den für die Wirtschaft benötigten Strom erzeugen. 6000 Megawatt, um die Entwicklung des 105-Millionen-Einwohner-Landes anzutreiben, im Großen noch immer ein Stabilitätsanker in der Region. Doch das bald abgeschlossene Bauwerk sorgt für Ärger. Während Äthiopien den Staudamm für unerlässlich hält, fürchten der Sudan und Ägypten um ihre Wasserversorgung, dass also zu wenig Wasser flussabwärts fließt – der Nil ist ihre Lebensader. Ägypten zieht immerhin mehr als 90 Prozent seines Wasserbedarfs aus dem Fluss.

Das Bauwerk ist längst zu einer Frage der Sicherheitspolitik geworden

Seit Beginn der Bauarbeiten am größten Elektrizitätsprojekt des Kontinents vor fast zehn Jahren ringen vor allem die Regierungen in Kairo und Addis Abeba um eine Vereinbarung über die Wassermenge, die Äthiopien nach Norden weiterfließen lassen muss. Während Addis Abeba nie einen Zweifel daran ließ, mit dem Aufstauen des Flusses auch ohne Einigung zu beginnen, hielt sich Kairo sogar die Option eines militärischen Eingreifens offen. Das Bauwerk und der Streit um das Wasser sind in Zeiten des Klimawandels längst zu Fragen der Sicherheitspolitik geworden. Droht am Horn von Afrika jetzt ein Krieg?

Zumindest Fachleute wissen, dass Äthiopien gegen das Aufstauen des Wassers gar nichts ausrichten kann – bis zu einem gewissen Grad. Jetzt, zu Beginn der Regenzeit, fließt ohnehin mehr Wasser aus dem Hochland an, als durch die beiden neben dem Staudamm offen gelassenen Kanäle abfließen kann. Satellitenbilder deuteten Ende Juni auf ansteigende Pegelstände hin.

Addis Abeba betonte zuletzt noch, dass aktiv kein Wasser aufgestaut werde. Allerdings hatte Äthiopien auch vor, die Schleusen noch in diesem Monat ein wenig zu schließen, um das Auffüllen des schließlich 74 Milliarden Kubikmeter Wasser fassenden Damms zu beschleunigen. Spätestens nach sieben Jahren soll die Talsperre gefüllt sein.

Ägypten will eine rechtliche Vereinbarung über die Flutung

Unverantwortlich will Addis Abeba dabei allerdings nicht vorgehen. Das Auffüllen soll nur in der Regenzeit stattfinden: Die Entnahme von 18 Billionen Kubikmetern Wasser im Verlauf der ersten zwei Jahre wirke sich bei einem Durchfluss von insgesamt fast 100 Billionen für die flussabwärts gelegenen Staaten keineswegs lebensbedrohlich aus. Sie könnten auch ihre prall gefüllten eigenen Staudämme zur Regulierung etwaiger Engpässe nutzen. inzu käme, dass Meteorologen für die kommenden zwei Jahre überdurchschnittlich starke Niederschläge am Horn von Afrika voraussagen. Für das Auffüllen des Damms gebe es gar keine bessere Zeit, heißt es in Addis Abeba.

Bis zuletzt scheiterten Versuche, eine Einigung zu erzielen, auf die auch die Vereinten Nationen (UN) drängten. „Noch offene technische und rechtliche Meinungsverschiedenheiten können mit politischem Willen überwunden werden“, sagte die UN-Untersekretärin Rosemary DiCarlo Ende Juni.

Noch am Dienstag hatte unter Vermittlung der Afrikanischen Union (AU) ein Gipfeltreffen zur Beilegung des Streits stattgefunden, daran beteiligt waren auch Vertreter aus Kenia, Mali, Südafrika und der Demokratischen Republik Kongo. Nach der Konferenz kündigten Ägypten, Äthiopien und Sudan an, die Gespräche fortzuführen, immerhin. Am Mittwoch teilte das ägyptische Außenministerium mit, dass es eine verbindliche rechtliche Vereinbarung für die Flutung und den Betrieb des Staudamms für notwendig halte. Doch Ägypten wollte diese vor Beginn der Flutung, die Abyi nun verkündete.

„Wir brauchen hier dringend eine friedliche Lösung“

Dabei ist man in den Verhandlungen recht weit. Strittig sei zuletzt noch gewesen, was im Fall einer jahrelangen Dürre passieren wird, und ob Ägypten eine Mindestmenge an Nilwasser garantiert werden soll. Äthiopien fürchtet, dass in Dürrejahren die Stromgewinnung eingestellt werden muss. Dann würde rund der Hälfte der Bevölkerung Strom fehlen – und der Staat müsste auf geplante Einnahmen aus dem Stromexport verzichten. Auch die Frage, wie Streitfälle beigelegt werden, war lange offen.

Im Bundestag betrachtet man die Entwicklungen zum Teil mit Sorge. „Der Staudamm darf nicht zu einem weiteren, gar bewaffneten Konflikt in einer eh schon gebeutelten Region führen“, sagte FDP-Abgeordneter Ulrich Lechte, Mitglied im Auswärtigen Ausschuss, dem Tagesspiegel. Lechte bringt die Bundesregierung und die EU ins Spiel, falls die AU mit der Vermittlung nicht vorankomme. „Wir brauchen hier dringend eine friedliche Lösung, sodass sich Ostafrika weiter stabilisieren kann“, sagte Lechte.

Flussaufwärts will sich Äthiopien wohl nicht länger die Nilwassernutzung diktieren lassen. Dazu will der Friedensnobelpreisträger mit dem prestigeträchtigen Bau einen politischen Trumpf präsentieren. Für einen Erfolg des Premiers bei den Wahlen in kommenden Jahren könnte dieser noch eine entscheidende Rolle spielen. Umgekehrt meint sich auch Ägyptens Militärpräsident Abdel Fattah al Sisi keine Schwäche leisten zu können: Die Hürden für eine Einigung sind also hoch.

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