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Der Bürstenmacher Otto Weidt verschaffte verfolgten Juden in seiner Werkstadt in der Rosenthaler Straße 39 in Mitte einen Arbeitsplatz. Ihm verdankt etwa die Schriftstellerin Inge Deutschkron ihr Überleben. An Otto Weidt erinnert im Eingangsbereich des Hauses erinnert eine Gedenktafel an Otto Weidt.

© Doris Spiekermann-Klaas

Stille Helden gegen die Nazis: Unbesungen und vergessen

Ex-Stadtrat Dirk Jordan fordert eine angemessene Erinnerung an jene Berliner, die in der NS-Zeit verfolgten Menschen halfen

"Unbesungene Helden“ zu würdigen, damit war der Senat von Berlin Ende der 50er Jahre durchaus der Zeit und der politischen Stimmungslage in der jungen Bundesrepublik voraus. In den bleiernen Jahren der Adenauer-Jahre, wo am liebsten über die Verbrechen der NS-Diktatur und die Schuld der Millionen Mitläufer und Schreibtischtäter geschwiegen wurde, ehrte West-Berlin die Helfer*innen, die zwischen 1933 und 1945 den Verfolgten selbstlos geholfen hatten. Zwischen 1957 und 1966 wurden insgesamt 703 Menschen als „Unbesungene Helden“ ausgezeichnet, die „sich während der Nazizeit tatkräftig, uneigennützig und häufig unter eigener Gefährdung für die vom Nationalsozialismus bedrängten Verfolgten eingesetzt“ haben.
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Den Anstoß gab das 1957 in den USA erschienene Buch „Unbesungene Helden“, des jüdischen Publizisten Kurt Grossmann, das das Bundesentschädigungsgesetz von 1956 und die mangelnde Aufarbeitung der NS-Geschichte anprangerte. Der damalige Berliner Innensenator Joachim Lipschitz (SPD), der selber einen jüdischen Vater hatte, griff das Thema auf. Er wollte einerseits die Menschen finanziell unterstützen, die trotz der damit verbundenen Gefahren geholfen hatten und auch in Nachkriegsdeutschland in ärmlichen Verhältnissen lebten. Zugleich wollte Lipschitz durch die öffentliche Würdigung dieser Helfer*innen die „Ehre seines Landes wiederherstellen“.
Heute ist die damalige Ehrung weitgehend vergessen, bedauert Dirk Jordan. Der ehemalige Kreuzberger Stadtrat der Grünen, der seit vielen Jahren in seinem Heimatbezirk Steglitz-Zehlendorf ehrenamtlich engagiert ist, möchte dies gerne ändern. Im Land Berlin gibt es nicht einmal eine Erinnerungsseite oder Gedenkbuch mit den Namen der Helfer*innen, schon gar keine Biografien dieser „Stillen Helden“. Es gibt zwar eine gleichnamige Abteilung innerhalb der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in der Stauffenbergstraße in Berlin-Mitte. In dieser Bundesstiftung im Bendlerblock finden sich aber nur einige Berliner Held*innen wieder, die anderen Helden stammen aus anderen Teilen der Bundesrepublik.
Die damalige Ehrung endete bald nach dem frühen Tod von Lipschitz. Kein anderes Bundesland hatte übrigens die Initiative übernommen. Und in Berlin gab es in der Verwaltung durchaus hinhaltenden Widerstand. Mit rigorosen Verwaltungsvorschriften wurden die Antragsteller schikaniert und abgelehnt. Pfarrer, Pastoren oder Gemeindemitarbeiter*innen wurden etwa abgelehnt, weil Helfen zu ihrem Beruf gehöre, wurde argumentiert. Gleiches galt für nicht verfolgte Ehepartner*innen, die ihre jüdischen Ehefrauen oder Gatten versteckten. Im aufkommenden Kalten Krieg wurden auch kommunistisch engagierte Menschen aussortiert. Die West-Berliner Verwaltung schreckte auch nicht davor zurück, als Ablehnungsgrund selbst von NS-Richtern gefällte Urteile als Begründung eines „ehrenrührigen Verhaltens“ heranzuziehen. Abgelehnt wurden auch alle Antragsteller, die in Ost-Berlin wohnten.
Dirk Jordan hat mit seinen Recherchen eine vollständige Liste der insgesamt 703 Geehrten zusammengestellt. Er findet es ein Versäumnis, dass es keine Erinnerung an diese Menschen gibt und hofft auf Unterstützung aus den Fraktionen des Abgeordnetenhauses. Zu einigen dieser Menschen hat er selber den biographischen Hintergrund ermittelt.  Zu diesen bekannteren Held*innen gehörten etwa Max und Malwine Schindler. Die aktiven Sozialdemokrat*innen lebten in einer Wohnung in Charlottenburg in der Pariser Straße 54. Max war Betriebsratsvorsitzender in einem Siemenswerk, bis er 1933 auf Druck der Nazi seine Beschäftigung verlor.
Beide halfen dann Menschen, die Deutschland verlassen mussten bei der Emigration oder versteckten auch „Untergetauchte“ wie die Brüder Albrecht und Ernst Borchardt in ihrer Wohnung. Lucie Strewe wohnte zuerst in der Württembergischen Straße und später in Nikolassee in einem Haus in der Spanischen Allee 84. Sie half u.a. Josef Scherek, der 1943 „untertauchen“ musste und sich zeitweise auf seinem Paddelboot im Schilfgürtel in der Havel versteckte und auch bei Lucie Strewe wohnte. Gertrud und Margarete Kaulitz lebten in ihrem Haus in Schlachtensee im Eiderstedterweg 33 und haben dort Verfolgte, wie das Ehepaar Nachmann zeitweise versteckt. Sie haben auch Annie Kraus geholfen „unterzutauchen“, indem sie eine Bescheinigung über ihren Selbstmord besorgten.

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