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Auf riesigen Plakaten wird für das Projekt "Belgrad am Wasser" geworben - auch neben dem Hauptbahnhof, der keiner mehr ist.

© Robert Fichmann/Imago

Stadtumbau: Belgrad verlegt seine Bahnhöfe an den Stadtrand

In der serbischen Hauptstadt muss für ein umstrittenes Luxusviertel vieles weichen – mit gravierenden Folgen für Bewohner und Touristen.

Vor wunderlichen Überraschungen ist der Reisende auf dem Balkan nie gefeit. Seit dem 11.September wird beispielsweise in Serbiens Hauptstadt Belgrad die Festbeleuchtung für die Weihnachtsfeiertage installiert. Mit dem Ziel, mehr Touristen anzulocken, rechtfertigt die Kommune die in den vergangenen vier Jahren um ein Hundertfaches gestiegenen Ausgaben von umgerechnet drei Millionen Euro für die korruptionsträchtige Neujahrsbeleuchtung. Wer sich an den Belgrader Lichterfestspielen ergötzen will, sollte allerdings lieber nicht per Zug oder Bus anreisen: Denn der Haupt- und der Busbahnhof sind aus dem Zentrum verschwunden, die Innenstadt ist quasi abgeschnitten. Zumindest für alle, die die Stadt aus der Ferne anfahren wollen.

Für das umstrittene Luxusviertel soll alles weichen

Ob störende Häuserzeilen, Schienen, der Bahnhof oder gar eine Brücke: Es ist das umstrittene Luxusviertel „Belgrad am Wasser“, für das in Belgrad alles weichen muss. Ohne Ausschreibung und Wettbewerb, dafür aber mit einem eilig durch das Parlament gepeitschten Sondergesetz wurde das wenig transparente Prestigeprojekt im Frühjahr des Jahres 2015 auf den Weg gebracht.

Maskierte Bauarbeiter rissen eine Straßenzeile ab

Schon ein Jahr später sollte die Großbaustelle am Save-Ufer erstmals für weltweite Schlagzeilen sorgen. In einer Nacht- und Nebelaktion wurde im April 2016 eine komplette Straßenzeile von maskierten Bauarbeitern ohne jegliche Genehmigung geräumt – und abgerissen. Die von aufgeschreckten Anwohnern alarmierte Polizei ließ die Maskenmänner, die mit Baseballschlägern angerückt waren, gewähren. Wenig Ermittlungseifer zeigte hernach die Justiz: Bis heute ist die illegale Abrissaktion nicht aufgeklärt.

Zwar kündigt der allgewaltige Staatschef Aleksandar Vucic seit 2014 jährlich den baldigen Bau einer Schnellzugtrasse nach Budapest mit chinesischer Hilfe an. Doch seit der voreiligen Stilllegung des Belgrader Hauptbahnhofs im Juli ist schon die Expedition zu den schlecht erreichbaren Ausweichbahnhöfen im besten Fall ein Abenteuer geworden.

Bänke oder gar ein Kiosk? Fehlanzeige!

Nur alle 45 Minuten macht sich ein Bus vom als Verkehrsknotenpunkt in der quirligen Stadt nicht mehr existierenden Ex-Hauptbahnhof zum unvollendeten Neubahnhof „Prokop“ unweit der Autobahn auf. Weder Aufzüge noch Rolltreppen erleichtern nach der Ankunft den Reisenden im Bahnhof ohne Bahnhofsgebäude den Abstieg zu den unterirdischen Schienen: Für Wartende sind weder Bänke noch ein Kiosk zu finden.

Reisende, die dagegen die berühmte Bahnstrecke Belgrad-Bar nutzen wollen, um Montenegro oder Griechenland per „Tito-Express“ zu erreichen, haben derweil zunächst die Odyssee zum abgelegenen Vorortbahnhof Topcider zu meistern: Schlecht angebunden empfiehlt sich eigentlich nur die Anreise mit einem Taxi – vorausgesetzt, dessen Fahrer weiß, wo der Bahnhof liegt. In Topcider angekommen empfängt einen Leere. An der einsamen Station mit drei Bahnsteigen und sechs Gleisen gibt es weder einen Kiosk noch andere Geschäfte. Durch eine düstere Unterführung müssen die Passagiere dort ihr Gepäck zu den Bahnsteigen wuchten.

Die Fahrkarte kriegt man, den Zug nicht

Selbst die Bewohner der Stadt wissen nicht unbedingt, von welchen Punkten aus Belgrad gerade an das Schienennetz des Balkan angeschlossen wird. Der Bus vom Flughafen hält ausdrücklich an der Station „Hauptbahnhof“ – wo an dem einzigen geöffneten Schalter auch Fahrkarten verkauft werden. Allerdings gehört zum Service nicht, den Reisenden darüber zu informieren, dass der Bahnhof selbst seit Juli abgeschnitten ist. Wer Pech hat, wartet dort auf einen Zug, der nie kommen wird.

Jetzt soll auch noch der Busbahnhof abgerissen werden

Zu allem Übel will die Stadt nun auch noch den Busbahnhof vor dem Bau eines neuen abreißen – und an zwei provisorische Haltestellen verlagern lassen. „Abreißen – und dann überlegen, was man will“, umschreibt das Wochenblatt „NIN“ bitter die Logik der kommunalen Verkehrsplanung. Derweil ist auf der Baustelle von „Belgrad am Wasser“ außer dem Bahnhof nun auch noch die älteste Lokomotive des Landes verschwunden. Ungestört konnten Diebe im Depot des Eisenbahnmuseums tagelang eine Dampflokomotive aus dem Jahr 1864 zerlegen. Die Investoren von „Belgrad am Wasser“ hätten einen Monat zuvor den Abzug des Wachpersonals veranlasst, heißt es in einer hilflosen Entschuldigung des Museumsdirektors.

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