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Die Ärztin Kristina Hänel.

© Merve Celebi/dpa

Staatsanwaltschaft sieht verbotene Handlung: Ärztin soll für Schwangerschaftsabbrüche geworben haben

Eine Ärztin steht vor Gericht, weil sie auf ihrer Webseite für Schwangerschaftsabbrüche geworben haben soll. Sie will für das Recht der Frauen kämpfen, sich im Internet über das Thema zu informieren.

Kristina Hänel ist seit 36 Jahren Ärztin und leitet eine kleine Praxis für Allgemeinmedizin im mittelhessischen Gießen. Auf ihrer Internetseite listet sie ihr Leistungsspektrum auf: Zwischen „Lungenfunktionsuntersuchung“ und „Reittherapie“ taucht auch der Begriff „Schwangerschaftsabbruch“ auf. Wer seine E-Mail-Adresse einträgt, bekommt eine automatisierte Antwort. Im Anhang befindet sich ein doppelseitiger Informationsflyer. Darin klärt die Medizinerin über die gesetzlichen Regelungen für einen Schwangerschaftsabbruch auf, sie erläutert den Unterschied zwischen medikamentöser und chirurgischer Behandlung und verweist auf mögliche Nebenwirkungen. Klingt harmlos, könnte man meinen. Doch Kristina Hänel steht genau deshalb ab dem 24. November vor Gericht.

Die Staatsanwaltschaft Gießen sieht in der Bereitstellung dieser Informationen eine verbotene Handlung und hat Anklage gegen die Allgemeinmedizinerin erhoben. Hintergrund ist der Paragraf 219a des Strafgesetzbuches: „Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft“. Danach macht sich strafbar, wer öffentlich und „seines Vermögensvorteils wegen“ die Durchführung eines Schwangerschaftsabbruchs „anbietet, ankündigt, anpreist oder Erklärungen solchen Inhalts bekanntgibt“. Es drohen bis zu zwei Jahre Freiheitsstrafe.

Nicht die ersten Ermittlungen gegen die Ärztin

Eine „Werbehandlung“ sei bereits dann gegeben, „wenn man über allgemeine Informationen hinaus die Durchführung des Abbruchs in der Praxis anbietet“, sagt Thomas Hauburger, Pressesprecher der Staatsanwaltschaft Gießen. „Verknüpft man nun ein solches Angebot mit dem Hinweis auf eine Kostenübernahmeverpflichtung, handelt man bereits ,seines Vermögensvorteils wegen'.“ Die Vorschrift solle verhindern, „dass der Schwangerschaftsabbruch in der Öffentlichkeit als etwas Normales dargestellt und kommerzialisiert wird“, sagt der Sprecher.

Es ist nicht das erste Mal, dass gegen Kristina Hänel ermittelt wird. Der radikale Abtreibungsgegner Klaus Günter Annen hatte sie in der Vergangenheit mehrfach angezeigt, die Ermittlungen wurden aber eingestellt. Annen bezeichnet sich selbst als „Lebensrechtler“ und nennt Kristina Hänel eine „Tötungsspezialistin für ungeborene Kinder“.

Die Gießener Ärztin ist keineswegs die einzige, die von Annen behelligt wurde. Auf seiner Homepage dokumentiert er minuziös die Strafanzeigen, mit denen er Dutzende Ärztinnen und Ärzte überzogen hat. Normalerweise werden die Ermittlungsverfahren rasch von der zuständigen Staatsanwaltschaft eingestellt, was nicht selten eine Beschwerde von Annen zur Folge hat. „Grüß Gott, Frau Oberstaatsanwältin“, schreibt er dann beispielsweise, „Ihre Rechtsauffassung ist nicht haltbar.“ Der selbsternannte Lebensschützer verfasst seine Briefe stets in einem Duktus der moralischen Erhabenheit: „Wenn Sie nicht verstehen oder verstehen wollen, dass das Leben des Menschen das schutzwürdigste Rechtsgut ist, scheinen Sie mir fehl an Ihrem Platze zu sein.“

Erfolg für die Szene der Abtreibungsgegner

Dass nun Anklage erhoben wurde, wird die Szene der Abtreibungsgegner als Erfolg verbuchen. Die Staatsanwaltschaft Gießen begründet ihre Entscheidung damit, dass Kristina Hänel wegen des früheren Ermittlungsverfahrens über die „Auslegung des Tatbestands“ informiert gewesen sei. Weil Hänel sich damals mithilfe eines Rechtsgutachtens abgesichert hatte, war die Staatsanwaltschaft seinerzeit zu dem Ergebnis gelangt, dass die Ärztin ihr Handeln „für rechtlich unbedenklich halten durfte“, was zur Straflosigkeit führte. Solch ein „unvermeidbarer Verbotsirrtum“, wie es im Juristendeutsch heißt, komme nun aber nicht mehr in Betracht. Sollte Hänel vom Amtsgericht verurteilt werden, wäre das eine absolute Seltenheit. Die Ärztin hat bereits angekündigt, notfalls bis zur letzten Instanz zu kämpfen.

In einer Online-Petition, die Kristina Hänel gestartet hat, klärt sie über die Geschichte der Norm auf: „Beim §219a handelt es sich um einen Strafrechtsparagraphen aus dem Jahr 1933, der ursprünglich geschaffen wurde, um u.a. jüdische Ärzte zu kriminalisieren und ein Klima zu schaffen, in dem letztlich dann 1943 die Strafrechtsnorm nach eugenischen und bevölkerungspolitischen Gesichtspunkten umstrukturiert wurde.“ Die Petition lässt vermuten, dass Hänel vor Gericht eine offensive Verteidigungsstrategie wählen wird. „Ich bin für das Recht von Frauen, sich im Internet über angebotene Leistungen von Ärzten und Ärztinnen zum Schwangerschaftsabbruch zu informieren“, schreibt sie. „Informationsrecht ist ein Menschenrecht. Der §219a behindert dieses Recht.“ Rund 70 000 Menschen haben die Petition bereits unterschrieben.

Jonas Fedders

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