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Volkmarsen am Tag danach.

© REUTERS/Thilo Schmuelgen

Sicherheitsexperte über Amokfahrt von Volkmarsen: „Womöglich einer aus der Kategorie sozial isolierter weißer Männer“

Hinweise auf ein extremistisches Motiv für die Tat in Volkmarsen gibt es bislang nicht. Ermittler sehen Parallelen zur Amokfahrt von Münster.

Von Frank Jansen

Der Schrecken ist groß, außerdem gibt es immer noch keine Klarheit über das mögliche Motiv des Täters: Nach der Amokfahrt des 29-jährigen Deutschen Maurice P. beim Rosenmontagsumzug im nordhessischen Volkmarsen rätseln die Sicherheitsbehörden weiterhin, was den Mann getrieben haben könnte. „Womöglich ist er einer aus der Kategorie sozial isolierter weißer Männer mit psychischen Krankheiten“, sagte ein hochrangiger Sicherheitsexperte am Dienstag dem Tagesspiegel. Ein Mensch „mit einer Wut auf die Gesellschaft, mit einem Frust über alles“.

Befürchtet wird zudem, Maurice P. könnte durch den rechtsextremen Anschlag in Hanau animiert worden sein, eine spektakuläre Tat zu begehen, auch wenn er vermutlich kein Extremist sei. Vergangenen Mittwoch hatte der Rassist Tobias Rathjen in zwei Shisha-Bars neun Menschen mit Migrationshintergrund erschossen. Danach tötete er seine Mutter und sich selbst.

Maurice P. war am Montag gegen 14.45 Uhr in Volkmarsen mit seinem silbernen Mercedes-Kombi in den Karnevalsumzug gerast. Augenzeugen berichteten Medien, der Mann sei 30 Meter durch die Feiernden gefahren und habe noch Gas gegeben. Die Zahl der Verletzten gab der Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt, Oberstaatsanwalt Georg Ungefuk, am Dienstag mit 52. Das jüngste Opfer sei zwei Jahre alt, das älteste 85. Unter den Opfern befänden sich 18 Kinder. Viele Menschen hätten schwere Verletzungen erlitten, sagte Ungefuk. 35 Opfer würden stationär im Krankenhaus behandelt.

Die Polizei sprach am Dienstagnachmittag von fast 60 Verletzten, sie hatte auch diejenigen gebeten, sich zu melden, die nicht in ärztlicher Behandlung waren.

Einsatzfahrzeuge am Tatort in Volkmarsen.
Einsatzfahrzeuge am Tatort in Volkmarsen.

© INA FASSBENDER / AFP

Maurice P. wurde noch am Tatort festgenommen. Er ist selbst so schwer verletzt, dass er – Stand Dienstagnachmittag – nicht vernommen werden konnte. Die Generalstaatsanwaltschaft ermittelt gegen ihn wegen versuchter Tötung. Sie will einen Haftbefehl beantragen.

Erste Tests auf eine mögliche Alkoholisierung von P. verliefen negativ. Ob der Mann Drogen genommen hatte, ist offen. Da er starke Medikamente bekam, ist es schwierig, exakt zwischen der Wirkung von Rauschmitteln und Arzneien zu unterscheiden.

Kein Hinweis auf extremistischen Hintergrund in der Wohnung

Ein Spezialeinsatzkommando der Polizei durchsuchte am Montagabend die Wohnung des in Volkmarsen lebenden Mannes. Nach bisherigen Erkenntnissen sei dort nichts gefunden worden, was auf einen rassistischen oder anderen extremistischen Hintergrund schließen lasse, sagten Sicherheitskreise.

Die Opfer der Amokfahrt, vor allem die Kinder, passten nicht in die gängigen Feindbilder von Rechtsextremisten, hieß es. Ein weiterer Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft betonte allerdings, ein politisches Motiv werde nicht ausgeschlossen, „wir blicken weiter in alle Richtungen, wir sind auf keinem Auge blind“.

Vergleich mit Amokfahrt von Münster

Der Vermieter der Wohnung von P. sagte der Zeitung „Hessische Niedersächsische Allgemeine“, der Mann habe mit seiner Großmutter zusammengelebt. Den beiden sei die Wohnung gekündigt worden, sie hätten Ende Februar ausziehen wollen. Maurice P. sei ein „unauffälliger Mann“ gewesen. In Polizeikreisen wurde allerdings angedeutet, P. sei mit Hausfriedensbruch, Beleidigung und Nötigung aufgefallen.

Sicherheitsexperten vergleichen die Tat in Volkmarsen mit der Amokfahrt eines Deutschen in Münster. Am 7. April 2018 hatte der 48-jährige Jens Alexander R. seinen Campingtransporter im Zentrum der westfälischen Stadt in Gäste eines Lokals gesteuert, die bei dem schönen Wetter draußen saßen. Vier Menschen starben, mehr als 20 wurden verletzt. Nach der Tat erschoss sich R.

Die Sicherheitsbehörden gehen davon aus, dass der psychisch gestörte und polizeibekannte Mann mehrere Menschen in einen „erweiterten Suizid“ mitnahm. Das könnte auch Maurice P. in Volkmarsen versucht haben, sagte ein Experte. Die schweren Verletzungen bei einer Fahrt von nur 30 Metern könnten ein Indiz sein, P. habe sich umbringen und weitere Menschen mit in den Tod reißen wollen.

Zweite Festnahme wegen „Gaffer-Video“

Die Polizei nahm in der nordhessischen Stadt kurz nach der Tat auch einen zweiten Mann vorläufig fest. Er sei verdächtig, mit seinem Handy die Opfer gefilmt zu haben, anstatt ihnen zu helfen, sagte Ungefuk. Der Oberstaatsanwalt verwies auf Paragraf 201a des Strafgesetzbuches. Darin wird für die „Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen“ eine Strafe von bis zu zwei Jahren Haft angedroht. Der Paragraf sei 2004 auch eingeführt worden, „um zu verhindern, dass Gafferaufnahmen hergestellt werden“, sagte Ungefuk.

Es gebe allerdings keine Hinweise, der festgenommene Mann sei an der Tat beteiligt gewesen. Bislang seien die Bilder der Opfer offenbar auch nicht im Internet aufgetaucht. Ermittelt wird allerdings, ob der Mann mit Maurice P. in Kontakt stand und die Aufnahmen für den Täter verbreiten sollte.

Nach der Amokfahrt in Volkmarsen waren alle Karnevalsumzüge in Hessen abgebrochen worden. Am Dienstag sei der geplante Kinderumzug in Wiesbaden abgesagt worden, teilte das Polizeipräsidium Westhessen mit. Betont wurde allerdings, es gebe keine konkreten Hinweise, „dass sich die Gefährdungslage für die noch geplanten Umzüge erhöht hat“.

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