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Panorama: Rückkehr hinter den Deich Egon Krenz ist wieder daheim – nicht alle freut das in Dierhagen

Von Jan-Martin Wiarda, Dierhagen Der Schlüssel steckt außen. Egon Krenz hat keine Angst mehr, dass ihn jemand einsperren könnte.

Von Jan-Martin Wiarda,

Dierhagen

Der Schlüssel steckt außen. Egon Krenz hat keine Angst mehr, dass ihn jemand einsperren könnte. Es ist Sonntagmorgen, vor drei Tagen ist er aus der Haft entlassen worden. Der ehemalige DDR-Staatsratsvorsitzende sitzt in seiner zum Arbeitszimmer umgebauten Garage und bastelt am Computer. Wer zu ihm will, muss an dem Schlüssel drehen, damit die Tür aufspringt. Dann steht er da in einem grauen Wollpullover, füllig geworden, lächelt und sagt ein paar höfliche Sätze. Nein, dieses Jahr will er keine Interviews mehr geben, dafür bittet er um Verständnis. Neulich vorm Gefängnis habe er ohnehin alles gesagt. „Ich muss mich jetzt erst mal akklimatisieren, Sie sehen ja“, sagt er und macht eine ausladende Handbewegung. Auf dem Tisch hinter ihm liegen ein paar Kabel verstreut. Ansonsten sieht man nicht viel.

Egon Krenz ist wieder zu Hause. Kein Freigang, kein Hafturlaub mehr; nein, diesmal kann er so lange in Dierhagen an der Ostsee bleiben, wie er möchte, Weihnachten mit seiner Familie feiern, seine Biografie schreiben. Thema: lieber Betonkopf als Weichei. So hat der 66-Jährige es bei seiner Freilassung vor dem Gefängnis Plötzensee gesagt. Doch dazu muss er erst mal den Computer zum Laufen bringen. Der Wind peitscht den Eisregen gegen das Haus. Überraschend klein ist es, unscheinbar fast mit seiner weiß-grauen Fassade. Aber die Lage: direkt hinterm Deich, dahinter nur noch Weite. Und Dierhagen ist nicht irgendein Ostseebad. Dierhagen war das Ostseebad der DDR-Oberen. Viele haben hier Sommerhäuser gebaut, immer am weißen Sandstrand entlang, mit Düne und Küstenwald. Mittendrin stand das Gästehaus der DDR-Regierung, in dem nur die Politprominenz einchecken durfte, drumherum ein Zaun und jede Menge Sicherheitsleute. Sogar Fidel Castro war mal da. Heute heißt das Gästehaus Strandhotel Fischland, Zimmer gibt es für 125 Euro aufwärts.

1700 Menschen leben in Dierhagen, und alle, so scheint es, wissen schon, wer da zurückgekehrt ist. Eckbert Groth hatte Krenz Sonnabendmorgen bei sich an der Kasse stehen. Einen Moment noch, hat Krenz gesagt, er wolle sich rasch eine Zeitung holen. Weg war er, Groth hat gewartet, und Krenz kam nicht wieder. Groth hat dann im ganzen Supermarkt nach ihm gesucht und Krenz vorm Kühlregal gefunden. Belagert von anderen Kunden. „Jeder Zweite hat ihn angequatscht“, sagt Groth abends mit einem Kopfschütteln und legt den Arm um seine Frau Bärbel. Beide sind um die 50 und sitzen am Tresen des „Dorfkrugs“. Ein bisschen düster und eng ist es hier. Wenn jemand was sagt, hören alle zu. Besonders wenn es um Krenz geht und sich Groth, seine Frau und ein paar andere nicht einig werden, ob man ihn noch grüßen soll. „Klar grüße ich den“, sagt Groth, und seine Frau ergänzt: „Der Krenz musste bestraft werden. Doch sollen wir ihn deshalb nicht grüßen? Solange sich jemand anständig aufführt, sind wir hier tolerant.“

Das ist der Punkt, an dem Heidger Voss, Kapitän zur See, laut wird, „den grüße ich bestimmt nicht mehr“, ruft er über sein Bierglas hinweg. Vor der Wende habe man Krenz höchstens mal beim Joggen gesehen, im Schlepptau zwei Soldaten auf dem Fahrrad, mit umgehängten Kalaschnikows. Ansonsten habe der im Gästehaus gesessen und sein mitgebrachtes Bier getrunken, Radeberger und so. Fürs Rostocker sei er sich zu fein gewesen. Und mal abgesehen von der Biergeschichte, der Krenz sei doch auch eindeutig mitschuld daran, wie dreckig es der DDR am Ende gegangen sei. Ja ja, sagt Eckbert Groth beschwichtigend „hast ja Recht. Krenz war halt der Letzte, der sich den Hut aufgezogen hat.“ Voss nickt, zahlt und geht. Kaum ist er draußen, lehnt Groth sich vor. Ein bisschen was müsse er schon noch richtigstellen: „Wir haben hier doch auch alle von den Bonzen profitiert. Wir haben doch alle unseren Radeberger-Kasten abgekriegt.“ Und die Ausrüstung der Feuerwehr war auch vom Feinsten.

Vergangenen Sommer hatte Dierhagen zum ersten Mal wieder so viele Gäste wie zu DDR-Zeiten, 10000 pro Tag, doch diesmal stammte die Hälfte aus dem Westen. Nahe des Supermarkts bauen sie ein neues Sportzentrum. Es wäre leicht, einen wie Krenz zu vergessen, der die alte Zeit verkörpert. Der für die Schüsse an der Mauer verurteilt wurde. Doch so sind sie nicht, die Menschen in Dierhagen. Ob sie ihn mögen oder nicht, er gehört ja doch zu ihnen. „Er kehrt nicht zurück“, sagt Bärbel Groth, „er war nie weg.“

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