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Ein Schild steht in Swinoujscie (Swinemünde) auf der polnischen Seite der Insel Usedom an der Grenze zwischen Polen und Deutschland.

© Stefan Sauer/picture alliance/dpa

Rettungskräfte in Deutschland und Polen wollen kooperieren: Patientenübergabe im Niemandsland soll künftig unnötig sein

Medizinische Nachbarschaftshilfe gilt mit polnischen Kollegen nur bis zur Grenze. Dort müssen Verletzte oder Erkrankte unter freiem Himmel umgeladen werden. Das soll sich ändern.

Von Oliver Bilger

Die Schlagbäume sind längst abgebaut. Ländergrenzen spielen im geeinten Europa schließlich kaum mehr eine Rolle, auch hier nicht, zwischen Ahlbeck und Swinemünde auf der Insel Usedom. Nur wenn einem Deutschen oder Polen im jeweils anderen Land etwas zustößt, wird die Grenze plötzlich wieder offenbar.

Zum Beispiel, wenn eine deutsche Besucherin im Hotel in Swinemünde in der Dusche ausrutscht. Oder wenn ein Urlauber auf dem Radweg an der Küste stürzt. Polnische Sanitäter leisten erste Hilfe, aber sofern es die Verletzungen zulassen, wollen viele Patienten zur weiteren Versorgung zurück auf die deutsche Seite.

Die Rettungskräfte fahren dann bis zum ehemaligen Übergang, halten hinter den Grenzpfeilern an der Swinemünder Chaussee, wo ihre deutschen Kollegen im Rettungswagen warten. 

Die Gegend, wo früher der Grenzzaun verlief, ist bis heute Niemandsland geblieben; Parkplätze, Buswendespur, Wellblechcontainer, Imbissbude. Und eine kleine Asphaltbucht an der Landstraße, auf der sich die Helfer treffen, während der Verkehr an ihnen vorbeirollt.

Vergangenes Jahr von Mai bis Oktober gab es solche Begegnungen an jedem Tag. „Unter freiem Himmel und bei Wind und Wetter“ findet das Umladen der Patienten statt, wie Notfallsanitäter Sven Hennings berichtet. Er selbst hat dies oft genug erlebt, 25 Jahre ist er fürs Rote Kreuz auf der Insel Einsätze gefahren.

Sprachbarrieren und interkulturelle Differenzen

Inzwischen leitet der 51-Jährige den Rettungsdienst im DRK-Kreisverband Ostvorpommern- Greifswald und weiß wie kein Zweiter, wo Hilfe an ihre Grenzen stößt. Dazu zählt eben auch, wie Hennings erklärt, dass „kein polnisches Rettungsmittel die Grenze überquert“ – nicht nur am alten Übergang Ahlbeck in der Gemeinde Heringsdorf.

Dienstleiter Sven Hennings leitet den Rettungsdienst im DRK-Kreisverband.
Dienstleiter Sven Hennings leitet den Rettungsdienst im DRK-Kreisverband.

© Oliver Bilger

Grund dafür sind offene Fragen, mit denen Retter entlang der deutsch-polnischen Grenze konfrontiert sind: von Usedom im Norden bis nach Görlitz im Süden. Könnten sie im anderen Land Blaulicht und Martinshorn einschalten? Welche Hilfsmaßnahmen dürften sie ergreifen? Kompetenzen und Ausbildungen unterscheiden sich: Polnische Retter dürfen mehr Medikamente verabreichen als deutsche. 

Ungeklärt sind auch Versicherungsangelegenheiten, hinzu kommen Sprachbarrieren und interkulturelle Differenzen.

Zwar gibt es bereits Beispiele guter Zusammenarbeit, Projekte zum Spracherwerb und gemeinsame Übungen. Noch aber überwiegen die Hindernisse.

Nicht nur für polnische Einsatzkräfte ist an der Grenze Schluss, auch für die Helfer in Heringsdorf galt dies bislang, bis auf vereinzelte Ausnahmen. „Der Vertrag zur Leistungserbringung für den öffentlichen Rettungsdienst“, sagt Hennings, „endet an der nicht mehr sichtbaren Grenze.“

60 Kilometer sind es bis in die Uniklinik Greifswald

Notfallpatienten, die ins nächstgelegene Krankenhaus gefahren werden sollen, könnten ins nahe Swinemünde gebracht werden, die einzige Klinik auf Usedom. 

Tatsächlich aber fahren die deutschen Sanitäter Krankenhäuser auf dem Festland an: 30 Kilometer sind es nach Wolgast, 60 bis in die Uniklinik in Greifswald. Der Rettungswagen fehlt in dieser Zeit.

Oder auch sie laden die Patienten am Straßenrand um. Oftmals hätte sich Hennings dabei wenigstens einen Sichtschutz gewünscht, der die Menschen in Not vor Gaffern und Smartphones schützt.

Noch mehr aber hofft er auf: Sanitäter und Notärzte ohne Grenzen. Auch für sie soll endlich gelten, was in Schengen-Europa längst Alltag ist. Einen Schritt in diese Richtung gibt es jetzt immerhin.

Vor wenigen Tagen haben Vertreter des Landkreises Vorpommern-Greifswald und des polnischen Verwaltungsbezirks, der Wojewodschaft Stettin, einen Kooperationsvertrag unterzeichnet, der Rechts-, Kosten- und Versicherungsfragen klären soll.

Ab Januar soll sich die Situation ändern

Ab Januar werden damit grenzüberschreitende Fahrten möglich. Künftig sollen zudem Leitstellen in Greifswald und Stettin vernetzt und Funkverbindungen ins Nachbarland erweitert werden. Doch einiges bleibt weiter offen: Für Rettungshelikopter gelten weiterhin die Grenzen zwischen beiden Ländern.

Seit fast zehn Jahren gibt es Versuche, die Lage an der Grenze zu verbessern. Ähnliche Abkommen wollen bald auch Landkreise in Brandenburg und Sachsen schließen. Ausgehandelt sind die bereits, nur die Unterzeichnung ist immer wieder verschoben worden, nicht nur wegen Corona: Die polnischen Bezirke müssen auf Entscheidungen aus Warschau warten – das dauert, heißt es in verschiedenen Verwaltungen.

Auch das Bundesgesundheitsministerium bemüht sich um einen baldigen Abschluss.

„Als Retter denkt man immer an die Menschen“, sagt Hennings – statt an Grenzen. Das neue Abkommen müsse „ein Türöffner sein“, sagt er. Denn: „Wir treten seit Jahren auf der Stelle.“ Sein Vorbild ist eine grenzenlose Rettung, wie sie etwa mit den Niederlanden funktioniert. Im Osten dagegen seien „die Gräben noch immer tief“.

Gut wären gemeinsame Teams

Bei den Begegnungen der Helfer an der Grenze gab es bisher kaum Austausch. „Die meisten Infos zum Zustand der Patienten bekommen wir von den Patienten selbst“, sagt Hennings.

Die Verständigung unter den Helfern, auf Deutsch, Polnisch, oder auf Englisch, sei oft schwierig. „Manchmal geht es nur mit Händen und Füßen.“ In Heringsdorf gibt es neuerdings ein zweisprachiges Einsatzprotokoll, auf dem die Retter ihre Diagnosen eintragen. Es hat einen Durchschlag auf Polnisch, den sie an die Kollegen geben können, damit diese ohne Worte verstehen können, was Sache ist.

Aber die Nachbarn sind sich oft noch fremd. Hennings hofft, dass es nicht nur grenzenlose Einsätze, sondern irgendwann auch gemeinsame Teams gibt.

Am Strand wachen Rettungsschwimmer wie Sebastian Antczak (links) und Konrad Dziedzic über die Badegäste.
Am Strand wachen Rettungsschwimmer wie Sebastian Antczak (links) und Konrad Dziedzic über die Badegäste.

© Oliver Bilger

Solche arbeiten bereits seit einigen Jahren in nächster Nähe: am Strand der Kaiserbäder. Dort wachen deutsche und polnische Rettungsschwimmer gemeinsam über die Badegäste. Grenzen gebe es in seiner Mannschaft nicht, erklärt Wachleiter Sebastian Antczak. Die Teams setzen sich zusammen aus Ehrenamtlichen, darunter viele Studenten.

Weil in Polen die Semesterferien früher beginnen und länger dauern, kommen viele polnische Helfer nach Deutschland. „Ohne die polnischen Kollegen hätten wir ein Riesenproblem, die Rettungstürme zu besetzen“, sagt Antczak.

Freiwillige aus Deutschland für den Job zu finden, werde immer schwieriger. Umso dankbarer ist er für die Unterstützung aus dem Nachbarland.

35 Rettungsschwimmer sind in der Hauptsaison im Einsatz, 15 bis 17 kommen aus Polen.

Es gibt Badegäste, die sich über einen Retter mit Akzent beschweren

Konrad Dziedzic aus Swinemünde ist einer von ihnen. Der 22-Jährige hilft schon im siebten Sommer am Strand, hat dabei fließend Deutsch gelernt. 

In Polen arbeiten Rettungsschwimmer nicht ehrenamtlich, sie müssen eine umfassendere Ausbildung absolvieren und volljährig sein. Deshalb sammeln manche schon als Jugendliche auf deutscher Seite Erfahrung, ehe sie am polnischen Strand aktiv werden.

Dass die Teams mit Besuchern in beiden Sprachen kommunizieren, nach Symptomen und Schmerzen fragen können, sieht er als großen Vorteil, genau wie Antczak, der selbst zweisprachig aufgewachsen ist.

„Bei der Wasserrettung gibt es keine Probleme in der Zusammenarbeit“, sagt er. Eher wünscht er sich mehr Offenheit von den Badegästen.

„Wenn ein Retter mit Akzent spricht, beschweren sich einige und wollen einen deutschen Retter.“ Dziedzic hat das auch schon erlebt, doch darauf achte er nicht, sagt er. „Ich mache einfach meinen Job.“ Die Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit unterstützte die Recherche.

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