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Die beheizten, atmenden Versuchsmodelle wurden der Körperform echter Menschen nachempfunden und können auch Aerosole in die Umgebungsluft abgeben.

© Promo/DLR

Raumfahrtunternehmen entwickelt Konzept für Klassenzimmer: Lüften wie im Raumschiff

Das Raumfahrtunternehmen OHB hat ein Lüftungssystem für Kinos und Klassenzimmer konzipiert. Tests zeigen: Es funktioniert effektiver als offene Fenster.

Lüften, Lüften, Lüften: In Büro- und Klassenräumen werden, wenn es denn geht, die Fenster auf den gegenüberliegenden Seiten geöffnet, denn Durchzug gilt als effektivste Methode für den Luftaustausch. Von Lüftungsexperten wird das durchaus kritisch gesehen, sagt Axel Müller von der Bremer OHB System AG: Die Aerosole würden im Raum umverteilt und durch die zeitlich begrenzte Frischluftzufuhr nur verdünnt.

Das Raumfahrtindustrieunternehmen hat in einem Konsortium mit Partnern ein Luftführungs- und Filtersystem konzipiert und beim Institut für Aerodynamik und Strömungstechnik des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Göttingen untersuchen lassen, das auf Erfahrungen in der Raumfahrt beruht: „Statt horizontal durchmischt, wird die Luft vertikal ausgetauscht. Vom Prinzip her wird gefilterte Luft unten in den Raum eingebracht und oben abgesaugt und wieder gefiltert“, erklärt Müller, der bei OHB in Oberpfaffenhofen für den Bereich Cleanliness verantwortlich ist. In der Raumfahrt gelten hohe Reinheitsanforderungen für zirkulierende Luft, um störende Einflüsse von Wärme und Verunreinigungen durch Partikel, chemische Stoffe oder Mikroorganismen auf sensible Satellitenbauteile zu vermeiden.

Körperwärme und Atemluft steigen an die Decke und werden dort abgesaugt

Das Konzept arbeitet mit einem Niedrigimpuls-Luftstrom. Mit geringer Geschwindigkeit wird gefilterte Luft sanft von unten in den Raum eingebracht und die potenziell mit Viren belastete Luft nach oben geschoben. Parallel dazu strömt auch durch den Körper erwärmte und warme, ausgeatmete Luft nach oben. „Diese drei Effekte verstärken sich und sind Grundlage der effektiven, schnellen Reduktion der Virendichte im Raum“, erklärt Müller: „Dadurch erfolgt zwischen dem Kopf als Aerosolquelle und der Absaugeinrichtung an der Decke eine turbulenzarme Luftströmung.“ Es entstehe eine Art Trennwand aus Reinstluft zum Nachbarn. An der Decke müsse die Luft möglichst flächig abgesaugt werden.

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Die ersten Tests zum Vergleich mit Fensterlüftung und Raumlüftern sind erfolgreich verlaufen. Mit beheizten Menschen-Modellen – bis zu 15 schwarzen Dummys, die mit einem Heizdraht umwickelt die Wärmeabgabe eines sitzenden Menschen simulieren – wurden für Szenarien in einem Klassenzimmer, einem Arzt-Warteraum, in der Gastronomie und in einer Kinobestuhlung die Luftströmung und Aerosolverbreitung durch Rauch und CO2 sichtbar und messbar gemacht. Zusätzlich wurde ein Dummy mit einem Atemsimulator ausgestattet.

Erste Tests zeigen: Das Konzept funktioniert

„Als Strömungsforscher bescheinigen wir dem Konzept ein großes Potenzial und halten es für besser als das Lüften per Fenster“, sagt Andreas Westhoff vom DLR: Mithilfe des getesteten Prototyps könne „eine stabile Strömung vom Menschen direkt zur Absaugung realisiert“ und so eine unkontrollierte Ausbreitung von Aerosolen aus der Atemluft reduziert und anschließend gefiltert werden.

OHB plant jetzt erste Praxistests und anschließend eine zeitnahe Markteinführung des Systems für Schulen, Büros, Restaurants, Praxen und Kinos. Große bauliche Umbauten sollen dafür nicht notwendig sein.

Peter Hanuschke

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