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Braune Flecken. Auch in Sicherheitsbehörden gibt es Rechtsextremisten und Reichsbürger.

© Imago Images/Future Image

Update

Rassistische Chats und Munition für Verfassungsfeinde: Mehr als 300 Rechtsextreme und „Reichsbürger“ in Sicherheitsbehörden

Bundesinnenministerin Nancy Faeser legt einen alarmierenden Lagebericht vor. Er attestiert hunderten Mitarbeitern ein gestörtes Verhältnis zur Demokratie.

Von Frank Jansen

Das Phänomen irritiert und beschädigt das Vertrauen in den Staat. Beamte von Polizei und anderen Sicherheitsbehörden beteiligen sich an rechtsextremen Chatgruppen oder zweigen sogar Munition für Verfassungsfeinde ab. Mehrmals haben solche Skandale die Bundesrepublik erschüttert, nun hat das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) eine umfassende Analyse geschrieben.

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Viele Einzelfälle ergeben ein beunruhigendes Bild, auch wenn die große Mehrheit der ungefähr 355.000 Bediensteten in den Sicherheitsbehörden und der Bundeswehr offenkundig für Extremismus nicht anfällig ist. Das ergibt die Untersuchung für drei Jahre, die das BfV im neuen "Lagebericht Rechtsextremisten, Reichsbürger und Selbstverwalter in Sicherheitsbehörden" zusammengefasst hat. Bei "Selbstverwaltern" handelt es sich um Extremisten, die ihre Immobilie zum eigenen Staat erklären und häufig die Zahlung von Steuern und Bußgeldern verweigern.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) und BfV-Präsident Thomas Haldenwang stellten das mehr als 150 Seiten umfassende Papier am Freitag in Berlin vor.

Bei Polizei, Nachrichtendiensten und weiteren Behörden auf Bundes- und Landesebene existiert demnach ein Bodensatz von mehreren hundert Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen mit einem gestörten Verhältnis zur Demokratie. Für die Zeit von Juli 2018 bis Juni 2021 wertete der Verfassungsschutzverbund insgesamt 860 Fälle aus, in denen es Bezüge zu Rechtsextremismus und "Reichsbürgern" gab – oder zumindest den Verdacht.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser und der Chef des Verfassungsschutzes, Thomas Haldenwang.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser und der Chef des Verfassungsschutzes, Thomas Haldenwang.

© Britta Pedersen/dpa

Bei 327 Bediensteten von Sicherheitsbehörden und Bundeswehr waren die Hinweise so gravierend, dass sie "weiter nachrichtendienstlich bearbeitet" wurden. Bei den Behörden des Bundes wurden in 138 Fällen verfassungsfeindliche Bestrebungen festgestellt, darunter 101 Fälle in der Bundeswehr. Auf der Ebene der Länderbehörden waren es 189. In Berlin gab es fünf „Verdachts- und erwiesene Fälle“ sowie 88 „Prüffälle“. Innensenatorin Iris Spranger (SPD) betonte, „ich dulde keine Rechtsextremisten in Berliner Sicherheitsbehörden“. In Brandenburg gab es sieben Verdachts- und erwiesene Fälle sowie sieben Prüffälle.

Im ersten Bericht kamen "Reichsbürger" nicht vor

Als Konsequenz aus den Fällen wurden 500 arbeits- und disziplinarrechtliche Maßnahmen eingeleitet. "Wir lassen nicht zu, dass unser demokratischer Rechtsstaat von innen heraus von Rechtsextremisten sabotiert wird ", sagte Faeser. Sie kündigte an, sie werde noch in diesem Jahr einen Gesetzentwurf zur Änderung des Bundesdisziplinargesetzes vorlegen. Verfassungsfeinde sollen schneller als bisher aus dem öffentlichen Dienst entfernt werden. Haldenwang betonte, solche Vorfälle seien "ein Schlag ins Gesicht für diejenigen Beschäftigten, die fest mit beiden Füßen auf dem Boden der freiheitlichen demokratischen Grundordnung stehen".

Unter die Lupe genommen wurden die Bundespolizei, das Bundeskriminalamt, das Bundesamt für Verfassungsschutz, die Bundestagspolizei, der Bundesnachrichtendienst, die Bundeswehr und ihr Bundesamt für den Militärischen Abschirmdienst, die Zollverwaltung sowie die Verfassungsschutzbehörden und Polizeien der Länder.

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Das Papier ist die Fortschreibung eines ersten Lageberichts von 2020, der wenige hochgradig problematische Fälle bei Polizeien und Nachrichtendiensten nannte, insgesamt 34. Allerdings kamen Reichsbürger und Selbstverwalter nicht vor, es wurden auch generell weniger Daten erhoben. Die Innenministerkonferenz gab dann den neuen Lagebericht in Auftrag, der methodisch weiterentwickelt wurde. Alle Behörden erhielten die gleichen Fragebögen. Haldenwang betonte am Freitag, die Arbeit am Lagebericht habe schon in den Behörden "zu erhöhter Sensibilisierung" geführt. Allerdings gab es regional Unterschiede. Nordrhein-Westfalen lieferte reichlich Daten, in Ostdeutschland war die Beteiligung teilweise eher gering.

Bundesweite Empörung über "NSU 2.0"

Ein Anlass für die Untersuchung rechter Umtriebe in den Sicherheitsbehörden war die bundesweite Empörung über die vermutete Beihilfe von Beamten aus dem Polizeipräsidium von Frankfurt (Main) bei den anonymen Drohungen von "NSU 2.0" gegen die Frankfurter Anwältin Seda Basay-Yildiz sowie Politiker und weitere Prominente. Bei den Ermittlungen stellte sich heraus, dass hessische Polizisten einer rassistischen Chatgruppe angehörten. Weitere Fälle folgten in Berlin und anderen Bundesländern.

Im aktuellen Bericht wird denn auch in den meisten Fällen, insgesamt 152, Rechtsextremisten oder "Reichsbürgern" in Sicherheitsbehörden die Mitgliedschaft in verfassungsfeindlichen Chatgruppen bescheinigt. Bei 143 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Sicherheitsbehörden wurden Kontakte zu rechtsextremistischen Organisationen wie beispielweise der NPD und der AfD-internen Gruppierung "Der Flügel" festgestellt. Der Verfassungsschutz untersuchte gezielt auch Netzwerke von Bediensteten aus den Behörden und rechtsextremen Organisationen.

Außerdem seien in 141 Fällen politisch motivierte Beleidigungen festgestellt worden, heißt es im Bericht. Genannt werden "die Menschenwürde verletzende, ausgrenzende, verächtlichmachende, verspottende oder anderweitig herabwürdigende Äußerungen gegenüber Personen mit Migrationshintergrund oder Menschen islamischen und jüdischen Glaubens sowie der Versand von Nachrichten mit beleidigenden und bedrohlichen Inhalten an politisch Andersdenkende". Bei 74 Personen aus den Sicherheitsbehörden wurde die Teilnahme an rechtsextremistischen Veranstaltungen gemeldet.

Mihalic: Nur die Spitze des Eisbergs

Besorgt zeigte sich Irene Mihalic, Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Bundestagsfraktion. „Von Rechtsextremen in Sicherheitsbehörden, mit ihrem Zugang zu sensiblen Informationen und in Teilen zu Waffen, geht eine besonders große Bedrohung aus", sagte Mihalic dem Tagesspiegel. "Nicht nur rechtsextreme Netzwerke, sondern auch einzelne rechtsextreme Personen stellen eine Gefahr für den Rechtsstaat dar, insbesondere, wenn sie eng mit bekannten rechtsextremen Ideologen und Akteuren außerhalb der Behörden vernetzt sind. Mit dem Bericht des Bundesamtes für Verfassungsschutz erlangen wir einen Überblick über das Hellfeld, müssen aber davon ausgehen, dass es sich dabei nur um die Spitze des Eisbergs handelt. Das Dunkelfeld muss weiter aufgeklärt und jedem einzelnen Fall konsequent nachgegangen werden. Auch gilt es durch Studien einen besseren Überblick über das Ausmaß und die Ursachen rechtsextremer Radiaklisierung zu erlangen.“

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