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Queen Elizabeth II. wird 90: Herrschen durch Selbstbeherrschung

Es leben nur noch wenige, die England ohne sie kennen. Queen Elizabeth II. bestieg 1952 den Thron. Nun wird sie 90. Ein Leben voller Superlative.

Spötter sagen, die zähen Windsors werden deshalb so alt, weil ihre Leber quasi schon zu Lebzeiten in hochwertigem Gin haltbar gemacht wird. Queen Mum hat noch ihren 101. Geburtstag gefeiert. Und wenn die Tochter, Queen Elizabeth II., heute 90 Jahre alt wird und sich aus diesem Anlass im Hyde Park 41 Salutschüsse aus den Rohren historischer Weltkriegskanonen lösen und über London den langen Nachhall der Monarchie inszenieren, dann ist Queen Elizabeth II. die älteste amtierende Königin der Welt.

„Die Queen“, das ist sie allein. Es braucht ja bloß einen grammatischen Artikel, der so bestimmt ist wie die Frau selbst, schon ist klar, wer gemeint ist. England ist eine Klassengesellschaft und die Queen ist noch einmal eine Klasse für sich. Ihre 90 Jahre stehen inzwischen da wie ein Block aus Superlativen. Die Jubiläen sind längst diamanten, sie ist 68 Jahre verheiratet mit Prinz Philip und 64 Jahre mit dem Thron.

Es leben nur noch wenige im Land, die es ohne sie erlebt haben. Sie kennen sie als Frauchen von zahlreichen Corgis, Herrin über sagenhaft schlecht bezahlte Angestellte, Mutter des Thronfolgers Charles, Oberhaupt von 16 Staaten des Commonwealth, unermüdliche Absolventin von Auslandsreisen in 117 Länder, sie kennen sie als Hutträgerin und Dame, die mit ihren Handtaschen Signale sendet. Jede klebrige Briefmarke mit ihrem Bild, die ein Untertan rückwärts anleckt, hält die Monarchie zusammen. Zum 90. erscheinen Sondermarken. Es gibt unzählige Queen’s Pubs und Colleges und Roads, jede Münze, jeder Geldschein trägt ihr Bild ins Land.

Nie sank die Queen auf das Niveau ihrer Gedenktassen

Keine britische Comedy kommt ohne Witze über die Queen aus, doch sie ist die Queen. Inmitten der Masse des Memorabilien-Porzellans zu privaten Anlässen, inmitten der Kalender, Geschirrhandtücher und Winkepuppen ist sie nie auf das Niveau ihrer in China produzierten Gedenktassen herabgesunken. Möge die Monarchie zwischen Witz und Würde pendeln, ihr persönlicher Ernst im Amt ist heilig, nie vermittelt sie das Gefühl, dass sie eine Rolle spielt und womöglich etwas ganz anderes vom Leben wollte.

Sie stammt schließlich aus dem prä-ironischen Zeitalter, mit Ernst gerüstet für dieses merkwürdige, kuriose Leben mit einer einzigen, einzigartigen Aufgabe, für die es in der modernen Gegenwart eigentlich kein Beispiel und genau genommen auch keine Verwendung gibt. Im letzten Jahr hat sie – jüngster Superlativ – Queen Victoria überrundet: In der 1000-jährigen Geschichte des Königreichs hat sie die längste Herrschaftszeit.

Nur: Worüber kann sie eigentlich herrschen? Was genau ist ihr Herrschaftsgebiet? Ist sie nicht machtlos qua Verfassung? Als Elizabeth am 21. April 1926 morgens gegen drei per Kaiserschnitt in ihr zukünftiges Königreich geholt wird, da ist sie vom Thron noch weit entfernt. Zum vierten Geburtstag bekommt sie eine Sammlung Bauklötze, gemacht aus Hölzern sämtlicher Empire-Staaten. Doch dann verzichtet König Eduard VIII. wegen der Liebe zu der ausschweifenden Amerikanerin Wallis Simpson auf den Thron. Die Monarchie schwankt, ihr Vater George VI. springt ein. Mit elf Jahren weiß „Lilibeth“ Elizabeth, dass ihr der Thron blüht.

Prinzessin Elizabeth besuchte nie eine Schule

Die Eltern bleiben maximal gelassen. Sie soll eine „schöne“ Kindheit haben, später würde es noch hart genug. Sie wollen keine intellektuelle, sondern eine praktische Prinzessin. Das ist eine Popularitäts-Strategie der Eltern. Intellektuelle schrecken das Volk nur ab. So hat Elizabeth neun Stunden Unterricht von einem Hauslehrer – in der Woche. Sie besucht nie eine Schule, weshalb sich ihre Schwester Margaret später bitter über die fehlende Bildung beschwert. Als Elizabeth 13 ist, erklärt ihr ein Verfassungsrechtler regelmäßig das Verhältnis von Staat und Krone und ihre Rolle in der Welt.

Dass sie ihre Nachmittage mit Pferden und Hunden in der Natur verbringt, hat später auch sein Gutes. Denn im Zweiten Weltkrieg ist das Fleisch auch auf Schloss Windsor knapp, da beteiligt sich Elizabeth an der Jagd. Die Frau, die es mag, sich auf ein Ziel zu fokussieren, heißt es, schießt lieber mit Kugeln als mit Schrot. Sie lernt später auch, wie man den Motor eines Lasters repariert. Vermutlich würde sie noch heute in ihrem Bentley den Keilriemen finden.

Von einem einzigen Abend in ihrem ganzen Leben weiß man, dass sich die Prinzessin mit ihrer Schwester Margaret ohne Aufsicht unter normalen Menschen bewegt: Am 8. Mai 1945 mischt sie sich unter die Menge, um das Ende des Krieges zu feiern.

An ihrem 21. Geburtstag, nun volljährig ihrer Zukunft ins Auge blickend, leistet sie per Rundfunk aus Kapstadt einen Schwur, der in das gesamte Empire übertragen wird: „Ich erkläre vor euch allen, dass mein ganzes Leben, ob es lang währt oder kurz, dem Dienst an euch und der großen Familie des Empires, der wir alle angehören, gewidmet sein soll. Möge Gott mir helfen, dieses mein Gelöbnis zu erfüllen.“ Und wie ernst sie diesen quasi-religiösen Eid, diese Selbstverpflichtung nehmen würde, konnte man ahnen, nachdem sie, 25 Jahre alt, 1952 den Thron bestiegen hatte.

Wenn jemand in so etwas Starres, Reglementiertes wie den englischen Hof hineingeboren wird – was kann da überhaupt die eigene Lebensleistung sein? Geht es darum, die Rolle auf die eigene Person zuzuschneidern? Oder im Gegenteil darum, seine Person der Rolle unterzuordnen? Elizabeth II. hat sich für Pflichterfüllung entschieden. Die Königin, so ist ihre Sicht, herrscht nicht, sie dient. Dem Land.

Monate nach ihrem Amtsantritt verabschieden sich mehrere Staaten des Empire in die Unabhängigkeit. Die Queen bewahrt Haltung und bereist jahrzehntelang die Länder ihres Restreichs, des Commonwealth.

Sie fuchst sich ein in die mehrfache Haushaltsführung ihrer Familie. Buckingham Palace, Windsor, Sandringham, Balmoral – und das bisschen Haushalt wird von einer Schar Angestellter bewältigt: die die Teppiche rückwärts gehend saugen, damit ihre Fußabdrücke nicht sichtbar sind. Wenn die Familienmitglieder Möbel verrücken wollen, melden sie das der Polizei, damit die ihre Pläne aktualisieren kann. Und bizarren Informationen wie diesen wird offiziell nie widersprochen.

Möglich, dass alle diese Dinge an der Grenze zur Lächerlichkeit stattfinden. Was würden Sie sagen, wenn jeden Morgen um 9 Uhr vor ihrem Schlafzimmerfenster ein Dudelsackpfeifer exakt 15 Minuten lang schottische Lieder spielt? Bloß, weil das schon seit 1843 so gewesen ist? „Das haben wir immer so gemacht“ hat in Lisbeths Haushalt einen viel tieferen Klang.

Winston Churchill erklärt ihr die Welt

Sie stürzt sich in die Arbeit. Bald strahlt das Leben in all diesem sagenhaften Reichtum zugleich etwas Klösterliches, Strenges, Asketisches aus. Elizabeth reist viel und studiert die wöchentlichen Mitteilungen der Regierung wie keine andere jemals vor ihr. Sie trifft jede Woche den von ihr begeisterten Premier Winston Churchill zum Besprechen der Staatsgeschäfte, und vermutlich sind diese Treffen eine gründlichere, nützlichere Ausbildung für die 25-Jährige, als es eine formale Schulbildung jemals hätte sein können.

Doch in Wahrheit hat sie in der konstitutionellen Monarchie kaum etwas zu entscheiden, keine formale Macht. Sogar ihre Reden werden vorher mit den jeweiligen, über die Jahre wechselnden Regierungen abgesprochen. In dieser Rolle mit frustrierend wenig politischem Einfluss findet Elizabeth den Spielraum in sich selbst.

Mit ihrer Art, es auszufüllen, legitimiert sie zugleich das Amt. Sie kann über kaum jemanden herrschen, also beherrscht sie sich selbst. Sie reißt sich selbst am Riemen, das ist ihre Demonstration von Macht. Allen Einfluss leitet sie aus der Art ab, wie sie mit sich selber umgeht. Es ist Führen durch Lebensführung. Herrschen durch Selbstbeherrschung. Auf diesem Terrain bringt sie es zur Meisterschaft. Nach mehr als 60 Jahren auf dem Thron scheint es die einzig mögliche Art, einen nicht vorhandenen Spielraum zu nutzen.

Charles muss sie mit "Ihre Majestät" anreden

Sie verachtet Schwäche und erlaubt sich selbst auch keine. Sie mag dieses Riesenreich ererbt haben, aus einer Laune des Schicksals heraus, ihre Rolle darin aber hat sie sich erarbeitet. Wenn die Größe der Leistung an der Größe der Opfer gemessen wird, hat Elizabeth viel geleistet.

Das sichtbarste öffentliche Opfer sind ihre Kinder. Vor allem Charles, der eine Kindheit lang nicht nur auf den Thron, sondern auch immer auf seine Mutter wartet und dann ins Protokoll zurückgepresst wird. Er muss formell um einen Termin bei ihr bitten und sie mit „Ihre Majestät“ anreden.

Er beklagt sich später bitter über seine Mutter, die von einer sechsmonatigen Reise zurückkehrt, aber erst noch Tage zum Pferderennen geht, bevor sie ihren fünfjährigen Sohn besucht. In Sachen Pferdezucht kann man ihr so schnell nichts vormachen, den Kindern hätten einige gewünscht, lieber ein Pferd zu sein. Es heißt, der Hof produziere mit seinem veralteten Erziehungsideal von Strenge und Abhärtung seelische Krüppel.

Als sich die Ehepartner mehrerer Kinder wieder unabhängig von dieser Familie machen, die inzwischen nur noch „die Firma“ heißt, ist Queen Elizabeth II. plötzlich Oberhaupt einer Familie, die hauptsächlich für ihre Tierliebe und ihren mäandernden Sexualtrieb bekannt ist. Was soll sie machen? Die Queen bewahrt Haltung. Sie selbst fällt nie aus der Rolle – dafür hat sie Prinz Philip. Den einzig möglichen Ehemann mit seinen unmöglichen Witzen.

Es hat sie erwischt, als sie ihn mit 13 Jahren zum ersten Mal sah. Sie wollte fortan den oder keinen. Prinz Philip ist heute der Entlastungswitz der Monarchie. Ein Shakespeare’scher „Comic Relief“, der für einen Moment die Spannung löst. Im Internet kursieren Listen mit seinen unmöglichsten Kommentaren. Als Freund der gepflegten Entgleisung bringt er ihren Stoizismus nur umso besser zur Geltung.

Die Coolness der Queen sieht wie Kälte aus

Aber der wird nicht mehr nur positiv gesehen. Die Queen gibt sich auch dann noch unbewegt, als Diana, das Palastopfer, in einem Pariser Tunnel stirbt. Plötzlich sieht die Coolness der Queen wie Kälte aus. Königin der Herzen? Herz? War da was? Ist diese Frau womöglich schon zu Lebzeiten von innen heraus zu einem Denkmal versteinert? 1992 sieht die Königin so hilflos aus wie nie. Am Ende dieses Jahres, in dem sich auch Prinz Andrew und seine „Fergie“ trennen, brennt es auch noch auf Schloss Windsor.

Die britische Krone muss tatsächlich schwerer wiegen als alle anderen. Der legendäre, etwas stampfige Gang der Queen, den Helen Mirren in „The Queen“ so gekonnt imitiert, erklärt sich durch das Gewicht der Verantwortung fast von selbst. In keinem anderen europäischen Land mit Restmonarchie fürchtet sich die Generation der Enkel so öffentlich vor dem Amtsantritt und dem „Ende“ ihres persönlichen Lebens.

Die "Firma" ist Teil der Unterhaltungsindustrie

Schon in den 50er Jahren hat jemand die Geschehnisse am Hofe eine „Soap“ genannt. Es ist die am längsten laufende Staffel überhaupt. Ihr Stoff kommt aus dem Privaten. Die Queen hat immerhin die Macht, das Land stillstehen zu lassen, wenn sie Feiertage anordnet: 1981 für die Hochzeit von Charles und Diana, 2002 für ihr 50. Thronjubiläum, 2011 für die Hochzeit von Kate und William, 2012 für ihr 60. Thronjubiläum. Zwischendurch jede Menge Salutschüsse und Kanonendonner für Geburten, Taufen und Geburtstage. Wenn man ehrlich ist, handelt es sich auch um ein riesiges Unternehmen der Unterhaltungsindustrie.

Und das Volk? Freut sich an den skurrilen Ritualen, beklagt die hohen Kosten und macht im Zweifel doch einen Knicks. Die Queen schlägt selbst widerspenstige Rockmusiker zu Rittern. Mick Jagger nimmt die Ehrung an, worauf Keith Richards so sauer ist, dass er fast eine Tournee mit ihm absagt. Aber selbst Engländer, die die Monarchie ablehnen, den gesamten Hofstaat für überflüssig halten, respektieren die Queen.

Die besteht offenbar auch nicht mehr auf formale Anreden. Jetzt freut sie sich darüber, dass ihr zweijähriger Urenkel George sie „Gan-Gan“ nennt. Super, so eine Uroma, vor der alle strammstehen. So konform und regellastig der Hof nach innen hin ist, ist seine Existenz in einer Welt, die sich auf andere, globale Regeln geeinigt hat, ein Akt der Nonkonformität. Denn ein Hofstaat ist weder effizient noch innovativ. Den muss man sich leisten wollen. Wer ihn will, kann schon einmal kein homo oeconomicus sein. Und beherrscht der nicht eigentlich die Welt?

Winston Churchill ist längst gestorben, mit Margaret Thatcher ist die Queen nie warm geworden, die Verehrung Tony Blairs hat sie genossen. Elf Premierminister später ist Elizabeth – 90 Jahre die gleiche Haarlänge, das ist Stabilität – immer noch im Amt. Es spielt keine so große Rolle, dass ihr die Verfassung des Landes wenig formalen Spielraum einräumt. Ihr Herrschaftsbereich erstreckt sich längst auf die innere Verfassung der Engländer. Sie beherrscht das Bild, das sich die Engländer von ihrem Land machen. Und die ganze Welt von England.

So ist diese Queen eine der eleganteren Arten, nicht im Globalisierungs-Einerlei aufzugehen. Mit ihr im Rücken lässt es sich viel natürlicher eine Insel bleiben, auf Eigenheiten beharren, links fahren und die EU kritisieren.

Es ist ja zum Beispiel selbstverständlich, dass in der verschreckten Gegenwart Sicherheit über alles geht. Doch wenn Queen Elizabeth II. mit ihren 90 Jahren ausreitet, würde sie sich niemals einen Helm aufsetzen. Sie sitzt wie angenäht im Sattel und trägt in Würde Kopftuch. Hat sie halt immer schon gemacht.

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