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Panorama: Profilneurose und Sensationslust

Wäre die Katastrophe von Eschede vermeidbar gewesen? Was stimmt an den Behauptungen eines Bahn-Technikers, ein System, das während der Fahrt Fehler an den Rädern ortet und dem Lokführer meldet, sei längst entwickelt, aber aus Kostengründen von der Bahn nicht eingesetzt worden?

Wäre die Katastrophe von Eschede vermeidbar gewesen? Was stimmt an den Behauptungen eines Bahn-Technikers, ein System, das während der Fahrt Fehler an den Rädern ortet und dem Lokführer meldet, sei längst entwickelt, aber aus Kostengründen von der Bahn nicht eingesetzt worden? In der Zentrale der Deutschen Bahn, wo dieser Vorwurf noch am Mittwoch empört zurückgewiesen wurde, will man sich zu solchen Fragen nun gar nicht mehr äußern: Auf Wunsch der Staatsanwaltschaft habe man sich verpflichtet, über mögliche Ursachen des Unfalls keine Spekulationen anzustellen, um die Ermittlungen nicht zu behindern.Anders Werner Mößinger, der Vorsitzende des Bahn-Gesamtbetriebsrates: In einem geharnischten Brief an die Mitarbeiter kritisierte er "einzelne Zeitgenossen, die - aus welchen Motiven auch immer - großspurig in der Öffentlichkeit verkünden, dies alles wäre nicht passiert, wenn man nur auf sie gehört hätte".Mößinger weiter: "Glaubt denn jemand im Ernst, daß bei der Bahn bewußt Menschenleben aufs Spiel gesetzt werden, um da oder dort Geld zu sparen?" Wer meine, mit Hilfe sensationslüsterner Reporter seiner Profilsucht frönen zu sollen, "hat in unserer Gemeinschaft nichts zu suchen!", so der Betriebsrat.

Für weiteren Ärger sorgte ein Bericht der "Bild"-Zeitung, wonach es in diesem Jahr bereits 40 Anschläge auf Bahnstrecken gegeben habe.Das Bundesinnenministerium bestätigte zwar die Angaben, empörte sich aber über "die bewußte Entstellung von Sachverhalten, um Angst zu erzeugen".

Noch ist offen, ob die Frage der Schuld in Eschede überhaupt eindeutig geklärt werden kann.Unabhängig von der seelischen Belastung der möglicherweise "Schuldigen" wird sich damit aber auch entscheiden, wer in welchem Ausmaß für die finanzielle Entschädigung der Opfer und ihrer Angehörigen aufkommen muß.Die Bahn hat bislang zugesichert, daß Geld gegenwärtig die kleinste Sorge sei.Neben dem Bund, den Ländern Niedersachsen und Bayern sowie dem Energiekonzern RWE hat sie eine Million Mark für Soforthilfe bereitgestellt, um "möglichst schnell und unbürokratisch helfen zu können", sagte ein Sprecher.100 000 Mark seien schon ausgezahlt worden.Für Versicherungsfälle wurde auch eine Hotline eingerichtet (Telefon 0511/ 286 17 51).Nach Angaben der Bahn sind bislang 40 Haftpflichtansprüche angemeldet worden.

Laut Gesetz haftet die Bahn - unabhängig von der Schuldfrage - für Arztkosten, Bestattungen, Sachbeschädigungen, aber auch für Unterhaltszahlungen an die Hinterbliebenen sowie Berufsunfähigkeitsrenten.Schmerzensgeld dagegen muß sie nur bei Verschulden zahlen.

Wie bei der Bahn weiter zu erfahren war, hätten von den insgesamt 59 ICE der ersten Generation, die zur Kontrolle in die Werkstätten zurückbeordert wurden, bereits zwölf den Test passiert.Mängel habe man dabei nicht entdeckt, diese Züge seien wieder im Einsatz.Neben den 44 ICE der zweiten Generation, die teilweise umdirigiert wurden, seien noch 50 Ersatzzüge eingesetzt, um den Ausfall auszugleichen.Man bemühe sich, "Verspätungen und andere Unannehmlichkeiten für die Reisenden so gering wie möglich zu halten", hieß es.Reisende müssen sich allerdings auf Fahrplanänderungen einstellen, bis die Überprüfung abgeschlossen ist.Die Zahl der Mitarbeiter an den Bahnhöfen wurde deshalb deutlich aufgestockt.Die ICE-Kontrollen könnten in eineinhalb Wochen abgeschlossen sein.

MARGARITA CHIARI

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