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Prinz Andrew ist der zweite Sohn von Queen Elisabeth.

©  Leon Neal/AFP

Prinz Andrew und der Epstein-Skandal: Die Queen „hat Autorität und ist gleichzeitig machtlos“

Die britische Königin Elizabeth II. verbannt ihren Lieblingssohn Prinz Andrew aus der Öffentlichkeit. Und tritt danach so professionell wie immer auf.

Kritik an Königin Elizabeth II. hat es immer wieder gegeben. Biographen und Zeitungskolumnisten, die Produzenten unzähliger Filme und zuletzt die glamouröse Fernsehserie „The Crown“ haben sich über die langen Jahrzehnte ihrer Verweildauer auf dem Thron abgearbeitet an Elizabeth Alexandra Mary Windsor, Monarchin des Vereinigten Königreiches von Großbritannien und Nordirland sowie weiterer 15 Mitgliedsstaaten des Commonwealth, von Australien bis Tuvalu. Zu langweilig, zu schweigsam, zu konservativ, sei die mittlerweile 93-Jährige. Nur unprofessionell, das hat die ältere Dame noch niemand genannt.

Wie absurd dieser Vorwurf wäre, ließ sich am Mittwochabend besichtigen. Eine knappe halbe Stunde nach der sensationellen Erklärung, ihr Lieblingssohn Prinz Andrew ziehe sich aus der Öffentlichkeit zurück, traf die Monarchin beim Londoner Thinktank Chatham House ein. Mit freundlichem Lächeln überreichte sie dem berühmten Naturfilmer David Attenborough – eine lebende Legende wie sie selbst – einen Preis, scherzte mit dem Leiter des Instituts und ließ mit keiner Sorgenfalte erkennen, wie schwer die letzten Tage für sie gewesen sein müssen.

Unwillkürlich fühlten sich viele Beobachter erinnert an die vermeintlichen Einblicke, die wir der aufwändig gestalteten Netflix-Serie verdanken: Wie ihre Darstellerin der Lebensmitte, Oscarpreisträgerin Olivia Coleman, geht die Königin unbeirrt von den Skandalen um sie herum durchs Leben. Waren es in den 1960er Jahren die Eskapaden ihrer jüngeren Schwester Margaret, brillant verkörpert von Helena Bonham Carter, in den 1990er Jahren der Scheidungskrieg zwischen Thronfolger Charles und seiner Frau Diana, so kam in den vergangenen Tagen ihr zweiter Sohn Andrew wegen seiner Verbindungen zu dem Sexualstraftäter Jeffrey Epstein nicht mehr aus den Schlagzeilen.

Es habe in der Familie Windsor seit Queen Victoria (1837-1901) immer wieder solche Paradiesvögel und Skandalnudeln gegeben, erläutert Prinzgemahl Philip, gespielt von Tobias Menzies, in der neuen „Crown“-Staffel. Seine Gattin hingegen, fügt der Abkömmling des Hauses Schleswig-Holstein-Sonderburg-Glücksburg in charakteristischer Direktheit hinzu, gehöre eben zu der anderen Kategorie: den Vorsichtigen, Pflichtbewussten, ein wenig Langweiligen.

Mag sein, dass der Begleiter aus mehr als 72 Ehejahren der Königin als Ratgeber fehlt – den mittlerweile 98-Jährigen behellige sie mit schwierigen Problemen nicht mehr gern, heißt es im Umfeld des Buckingham-Palastes. An seine Stelle treten zunehmend Thronfolger Charles, 71, und dessen älterer Sohn William, 37. Besonders der Prinz von Wales soll sich in den vergangenen Tagen immer wieder von seinem Staatsbesuch in Neuseeland aus gemeldet und auf Konsequenzen für Prinz Andrew gedrängt haben. Immerhin drohte der Monarchie selbst Missgeschick, und an dieser Stelle kennen die Windsors kein Pardon.

Queen Elizabeth ist der Inkarnierte Anachronismus

Elizabeth II. ist geprägt vom Trauma der Abdankung Edward VIII. vor nunmehr 83 Jahren. Aus unmittelbarer Nähe erlebte die Zehnjährige mit, wie ihr stotternder Vater als Georg VI. die Nachfolge antreten und die Institution aus schwerem Fahrwasser führen musste. An ihrem 21. Geburtstag, der damals die Volljährigkeit markierte, hat die damalige Prinzessin 1947 ein öffentliches Gelöbnis abgelegt: Sie werde „mein ganzes Leben, ob es lang währt oder kurz, dem Dienst an Ihnen und an der großen imperialen Familie widmen.“ Mag die imperiale Familie stark zusammengeschrumpft sein, mögen die Premierminister an ihr vorbeidefilieren – Boris Johnson ist der 14. ihrer Amtszeit –, mögen wichtige Berater in den Ruhestand treten, „Elizabeth, die Pflichtbewusste“, wie Biograph Andrew Roberts sie nennt, bleibt im Dienst.

Nur einmal, in einem lang zurückliegenden TV-Porträt, hatte die Queen ein wenig Einblick in ihre Gedankenwelt gegeben. Da redete die Pferdeliebhaberin und Rennstallbesitzerin über sich selbst beinahe wie über eines ihrer Pferde: „Man kann viel erreichen, wenn man ordentlich geschult worden ist – und ich hoffe, ich bin ordentlich geschult.“ Auf jeder britischen Münze wird sie bis heute „Königin von Gottes Gnaden“ genannt, aber die Devotheit der 1950er Jahre ist säkularer Skepsis gewichen. Die Popularität der Monarchie muss immer wieder aufs Neue erarbeitet werden, und Elizabeth lässt sich nicht lang bitten. Bei Hunderten von Terminen jährlich zeigt sich das Staatsoberhaupt seinem Souverän, dem Volk.

Sie ist der inkarnierte Anachronismus, mit ihrem täglichen Privatgebet aus der Zeit ihres weitgehend säkularisierten Landes gefallen, eine unmoderne Frau, deren innere Welt sich so radikal von den meisten ihrer Untertanen unterscheidet wie ihre äußerliche privilegierte Stellung. Und vielleicht bleibt Elizabeth, mittlerweile bei vielen öffentlichen Anlässen vertreten von Charles oder William, gerade deshalb das hochrespektierte Symbol der ungeschriebenen britischen Verfassung, die zuletzt – Stichwort Brexit – unter massiven Druck geraten ist.

Bereits im Januar bat sie die Vertreter der verhärteten Fronten im Kampf um Großbritanniens EU-Austritt um Mäßigung: „Gut übereinander reden und unterschiedliche Standpunkte respektieren; gemeinsam nach Übereinstimmung suchen; und niemals das große Ganze aus den Augen verlieren.“ Der Appell verhallte ungehört. Auch daran hat sich die Monarchin gewöhnt. Ihr Leben sei nun einmal ein Paradox, lautet die prägnante Zusammenfassung des Londoner Autors Andrew Gimson: „Sie hat Autorität und ist gleichzeitig machtlos.“

Die Autorität hat nun Prinz Andrew zu spüren bekommen. Freilich bleibt die Chefin der mittelständischen Firma Windsor machtlos gegenüber äußeren Faktoren wie der Frage, wann das hässliche Thema der Verwicklung des 59-Jährigen in das Sexualleben seines einstigen Freundes Epstein endlich aus den Schlagzeilen verschwindet. Das bleibt im wirklichen Leben genauso wahr wie in der fiktiven Darstellung bei „Crown“.

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