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Mit den Lehren aus dem Corona-Jahr 2020 könnten Politiker künftig effektiver gegen Einsamkeit vorgehen.

© Sebastian Gabsch

Politik fürs Glücklichsein: Braucht Deutschland ein Einsamkeitsministerium?

Seit 2018 haben die Briten ein Einsamkeitsministerium. In diesen Zeiten ist es gefragter denn je. Braucht auch Deutschland eine solche Institution?

Vor knapp zwei Jahren mag die Gründung des weltweit ersten Ministeriums für Einsamkeit in Großbritannien noch dem ein oder anderen ein Schmunzeln abgerungen haben. Heute, mitten in der Coronakrise, wirkt es, als hätte die Briten ein Blick in die Kristallkugel zu diesem Schritt veranlasst.

Denn die Einsamkeit ist zweifellos einer der schlimmsten Nebeneffekte der Pandemie. Entwickelt hat sie sich nicht durch Corona, jedoch tritt sie in dieser Zeit deutlicher hervor. Bei Menschen, die sich ohnehin allein fühlten, wurde das Gefühl verstärkt. Besonders betroffen sind kranke und alte Menschen, die Einsamkeit in Krankenbetten, Alters- und Pflegeheimen und in der Quarantäne ertragen müssen. Und eiskalt erwischte das Gefühl des Alleinseins diejenigen, die es vorher nicht kannten.

Kampf gegen die Einsamkeit

Theresa May begründete den Schritt zum politischen Kampf gegen die Einsamkeit im Januar 2018 mit der „traurigen Realität des modernen Lebens“, die Millionen Menschen betreffe. Eine Umfrage des Roten Kreuzes hatte damals ergeben, dass mehr als neun Millionen der knapp 66 Millionen Briten sich immer oder häufig einsam fühlten.

Mit dem neuen Ministerium wollte May vor allem Senioren und deren pflegenden Angehörigen sowie solchen Menschen helfen, die um den Verlust eines ihnen nahestehenden Menschen trauern. Es gehe um „Menschen, die niemanden haben, mit dem sie reden oder ihre Gedanken und Erfahrungen teilen können“, sagte die Regierungschefin damals.

Mit dem Einsamkeitsministerium wollte May außerdem die Erinnerung an die ermordete Labour-Politikerin Jo Cox wachhalten. Die 41 Jahre alte Unterhausabgeordnete, die durch ihre politischen Handlungen einsamen Menschen helfen wollte, war Mitte Juni 2016 im nordenglischen Birstall auf offener Straße getötet worden. Cox hatte sich für den Verbleib Großbritanniens in der EU eingesetzt. Der rechtsextreme Angreifer wurde zu lebenslanger Haft verurteilt.

Vor allem jüngere Menschen fühlten sich einsam

Zur ersten Einsamkeitsministerin wurde 2018 die Tory-Politikerin Tracey Crouch ernannt, seitdem hat sich das Personalkarussell dreimal gedreht. Derzeit ist Baronesse Diana Barran zuständig, die auch Ministerin für Zivilgesellschaft ist. In schwierigen Zeiten wie jetzt hat ihr Ministerium Hochkonjunktur.

Barran sagt, dass sie der Coronakrise auch Positives abgewinnen kann: „Der Optimist in mir würde sagen, dass Covid die Einsamkeit an die Öffentlichkeit gebracht hat. Früher hat man vielleicht gedacht, na ja, einsam sind andere. Aber während der Pandemie haben sich viele Menschen verletzlich und einsam gefühlt. Wir haben es selbst erlebt in den letzten Monaten“, sagte sie dem Deutschlandfunk.

Barran hat vor Kurzem die Bereitstellung von fünf Millionen Pfund bekannt gegeben, mit denen bestimmte Gruppen unterstützt werden sollen, wie etwa blinde Menschen und junge Mütter. Tatsächlich ergab eine Studie des Meinungsforschungsinstituts Populist, dass sich während des ersten Lockdowns im Frühjahr eher jüngere Leute bis Mitte 40 einsam gefühlt haben als ältere.

Lehren aus dem Corona-Jahr

Für die nähere Zukunft sind Barran drei Punkte wichtig: Sie möchte das Stigma beseitigen, das mit Einsamkeit einhergeht. Das Ministerium hat bereits Kampagnen in den sozialen Medien gestaltet, um zu vermitteln, dass es in Ordnung ist, alleine zu sein. Die Regierung versucht außerdem, Menschen durch die Gründung von Interessengemeinschaften auf lokaler Ebene zusammenzubringen.

Als Reaktion auf die Pandemie hat Barran außerdem ein Netzwerk gegründet, zu dem Unternehmen, Vereine und Wohltätigkeitsorganisationen gehören. Ziel ist es, Lehren aus dem Corona-Jahr 2020 zu ziehen, um künftig noch effektiver gegen Einsamkeit vorgehen zu können.

Auch vonseiten des Familienministeriums in Deutschland heißt es, dass die intensive Erprobung von Maßnahmen, Strategien und Konzepten im Kampf gegen die Einsamkeit in der Zukunft eine zentralere Rolle einnehmen wird als vor der Pandemie. Ob hier eine Stelle in Form eines Einsamkeitsbeauftragten zusätzlich hilfreich sei, könne noch nicht abgeschätzt werden, insbesondere habe sich gezeigt, dass Maßnahmen gegen Einsamkeit vor allem in die Zuständigkeit der Länder und Kommunen fallen.

Einsamkeit als Regierungsthema

„Es müssen außerdem zunächst die vielfältigen Ursachen von Einsamkeit angegangen werden, wie etwa das Schaffen von Teilhabemöglichkeiten und die Etablierung neuer Zugangswege zu besonders gefährdeten Gruppen“, sagt eine Sprecherin des Familienministeriums. „Wir brauchen in Deutschland kein neues Einsamkeitsministerium wie in England, wohl aber müssen wir Einsamkeit zum Regierungsthema machen“, schreibt der Zukunftswissenschaftler Horst Opaschowski in seinem Buch „Die semiglückliche Gesellschaft“.

Er kann sich einen Einsamkeitsbeauftragten vorstellen, der Strategien und Konzepte entwickelt, die „Einsamkeit in allen Altersgruppen vorbeugen und Vereinsamung bekämpfen“. Die Politik, insbesondere die Kommunalpolitik, sollte freiwillige Hotlines, Helferbörsen und soziale Netze fördern und Krisendienste unterstützen. Die Grenzen von Einsamkeit und psychischen Erkrankungen sind fließend. Einsamkeit und Depressionen treten auch im Jugendalter auf. Suizide sind im Jugendalter nach den Verkehrsunfällen die zweithäufigste Todesursache.

Lea Schulze

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