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Perfekte PR-Strategie. Amanda Knox, der „Engel mit den Eisaugen“. Die Verurteilung wurde aufgehoben, der Freispruch auch.

© AFP

Perfekte PR-Strategie: Die Geschichten der Amanda Knox

Am Dienstag kommt ihr Buch weltweit auf den Markt – vier Millionen Dollar erhielt die Mordangeklagte vorab. Sie wurde verurteilt, dann freigesprochen und dann wurde der Freispruch kassiert. Zu ihrem neuen Prozess wird die Amerikanerin nicht nach Italien reisen.

Die Mordverdächtige sitzt auf einem Sofa neben der Fernsehmoderatorin Diane Sawyer. Die 25-Jährige ist zurechtgemacht wie eine Filmschauspielerin beim Promotion-Termin, sie trägt ein ärmelloses, hellblaues Kleid, das brünette Haar fällt offen auf die Schultern. Amanda Knox gibt ihr erstes Fernsehinterview, sie will ihre Geschichte erzählen. Wie es kam, dass sie in einen der spektakulärsten Kriminalfälle der Welt verwickelt wurde, den Mord an ihrer Mitbewohnerin Meredith Kercher in Perugia 2007. Knox wurde 2009 verurteilt, 2011 jedoch freigesprochen. Im März wurde der Freispruch aufgehoben, Knox steht in Italien abermals unter Mordanklage.

Die Studentin, die aus einer bescheidenen Gegend von Seattle stammt und in Perugia Italienisch lernen wollte, ist jetzt eine Prominente, eine Kriminalitäts-Celebrity gewissermaßen. Um das Interview, das am 30. April auf ABC ausgestrahlt werden soll, haben sich laut „New York Times“ alle großen Sender gerissen.

An diesem Tag bringt Knox ihre Memoiren weltweit auf den Markt. „Zeit, gehört zu werden“ heißt das Buch, es kommt beim amerikanischen Verlag HarperCollins heraus, in Deutschland bei Droemer Knaur. Auf dem Cover ist eine kindlich unschuldig wirkende Knox abgebildet, die dem Leser mit blauen Augen flehentlich entgegensieht. Knox beschreibt sich als ausgeflippte Studentin, die in Seattle mit seltsamen Freunden „abhing“ und zum Studieren nach Europa gehen wollte, „um eine bessere Schwester, Tochter und Freundin“ zu werden. Ihr freakiges Verhalten sei der Grund gewesen, warum sie ins Visier der italienischen Polizei geriet – in jenem November 2007, als ihre Mitbewohnerin Meredith Kercher mit durchschnittener Kehle in einem Zimmer der gemeinsamen WG gefunden worden war.

Knox widmet sich den vier Jahren, die sie in Italien im Gefängnis verbrachte. Sie schreibt, sie sei einer erniedrigenden Leibesvisitation unterzogen worden, ein Arzt habe ihr gesagt, sie sei HIV positiv, was sich als falsch herausstellte. Sie sei mehrmals sexuell belästigt worden, von einer Mitgefangenen und einem Gefängniswärter. Der hat das dementiert.

Außerdem behauptet Knox, sie sei auf der Polizeiwache von einer Vernehmungsbeamtin geschlagen worden. Die britische Dependance von HarperCollins hat ihre Ausgabe des Knox-Buches zurückgezogen. „Auf Anraten unserer Justiziare“, wie es in einer Pressemitteilung heißt. Grund sind laut „Daily Telegraph“ die strengen britischen „Libel Laws“, die Verleumdungsklagen gegen Verlage sehr einfach machen. Knox porträtiere sich als All-American-Girl, das sich aus den Mühlen der Justiz befreit, in die es infolge von kulturellen Missverständnissen geraten sei, urteilt die „New York Times“. Und erklärt, was die Öffentlichkeit an Amanda Knox, die von Boulevardmedien stets „Engel mit den Eisaugen“ oder „Foxy Knoxy“ genannt wird, so fasziniere. „Sie ist eine komplette Leerstelle“, wird der Dramatiker John Guare zitiert, „man kann alles in sie hineinprojizieren.“

Der Glamour, der Knox in den USA umgibt, steht in Widerspruch zum Stand des juristischen Verfahrens in Italien. Rechtlich gesehen ist Knox wegen Mordes zu 26 Jahren Haft verurteilt, seit der Kassationsgerichtshof im März ihren Freispruch aufgehoben hat. Dagegen kann Knox in Berufung gehen, der neue Mordprozess soll in Florenz stattfinden. Ihren Anwälten zufolge wird die Studentin, die seit ihrer Freilassung im Herbst 2011 mit einem Musikerfreund in Seattle zusammenlebt, nicht vor Gericht erscheinen.

Ob der Fall je aufgeklärt werden wird, ist fraglich. Ein Musterbeispiel für Litigation PR, also die Beeinflussung der Öffentlichkeit in einem Rechtsstreit, dürfte er jetzt schon sein. Kurz nach ihrer Verhaftung haben Knox’ Eltern die PR-Agentur Gogerty Marriott eingeschaltet. Die verweist auf ihrer Homepage stolz darauf, dass sie „nationale und internationale Medien“ dazu brachte, sich des Themas anzunehmen. Die Rechte an Knox’ Memoiren wurden von einem Literaturagenten gehandelt, der Clinton und Obama unter Vertrag hat. Den Zuschlag bekam HarperCollins, für vier Millionen Dollar. Längst wird das Verbrechen an der britischen Studentin Meredith Kercher nicht mehr im Gerichtssaal verhandelt, sondern in der größtmöglichen Öffentlichkeit. Knox’ italienischer Mitangeklagter, der Arztsohn Raffaele Sollecito, hat ebenfalls seine Memoiren geschrieben. Er traf im US-Fernsehen auf Katie Couric, bekannt dafür, dass sie einst Sarah Palin auflaufen ließ. Sollecito, der zu 25 Jahren verurteilt und später freigesprochen wurde, befragte sie weniger streng. In gebrochenem Englisch beschrieb sich der blasse 28-Jährige als naiver junger Mann. Es sei Ehrensache gewesen, mit Amanda Knox auf der Anklagebank zu sitzen. Sollecito lebt heute in der Schweiz, hat aber Probleme mit seiner Aufenthaltsbewilligung. Er hat sein laufendes Strafverfahren in Italien verschwiegen. Sollecito muss wie Knox abermals wegen Mordes vor Gericht.

Der Vater des Opfers hat ebenfalls die Öffentlichkeit gesucht. In seinem Buch „Meredith“ schreibt John Kercher über den Tod seiner Tochter und die Zeit danach. Kercher erzählt eine typische Geschichte von engen Angehörigen von Verbrechensopfern: Das eigene Leben ist zerstört, das der anderen geht weiter. Kercher erlitt einen Schlaganfall, seine Frau ist schwer krank. Die Familie bekam nicht einmal Prozesskostenhilfe.

Kercher ist überzeugt, dass Knox, Sollecito und ihr Freund Guede die Tat gemeinsam begangen haben. In seinem Buch zitiert er ausführlich aus den Gerichtsakten. Die Spuren von Knox’ Blut am Tatort, vermischt mit dem Kerchers. Die verschiedenen Alibis von Knox und Sollecito, die sich mit den Daten ihrer Handys widersprechen. Die Dinge, die Knox über Todesart und Lage der Leiche wusste, bevor die Polizei ihre Untersuchung begonnen hatte. John Kercher beklagt den Prominentenstatus, den Knox seit ihrer Inhaftierung in den Medien habe. „Es sieht so aus, als könne man ihr nicht entkommen.“ Daran wird sich in nächster Zeit wohl nichts ändern.

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