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French Quarter

© Imago

New Orleans: Die geteilte Stadt

Zwei Jahre nach dem Hurrikan sind die Touristen zurück, doch sonst ist in New Orleans wenig, wie es war.

Im French Quarter ist schon lange alles wieder beim Alten. Aus den Jazz-Kneipen dringen die vertrauten Klänge von Saxofon, Bass und Klavier. Durch die Bourbon Street schlendern Touristen mit Bierbechern in den Händen, ein seltener Anblick in den USA. Fast überall ist der Genuss von Alkohol auf öffentlichen Freiflächen verboten. Das Touristenviertel von New Orleans bildet eine Ausnahme. Hier gibt es auch Stripteasebars, die mit Bildern nackter Mädchen im Schaufenster werben. Aus den Restaurants dringt der Duft kreolischer Spezialitäten: Gumbo, ein dicker Eintopf mit Sellerie, Paprika, Zwiebeln, Krabben und Fleisch; Jambalaya, ein exotisch gewürztes, tomatenrotes Reisgericht mit Hühnchen, Wurst, Gemüse. Bevor Hurrikan Katrina am 29. August 2005 über Amerikas Golfküste fegte, galt New Orleans als die Stadt der USA, in der „immer Party“ ist, wo man über ein paar freie Tage hinfliegt, um „a good time“ zu haben. Dem Ruf wird sie auch heute gerecht.

Das French Quarter war kaum verwüstet, es liegt auf altem Siedlungsgebiet, um wenige rettende Meter höher als andere Viertel auf einem Prallhang der Mississippimäander. Schon an Mardi Gras 2006, dem ersten Karneval ein halbes Jahr nach der Katastrophe, konnte man sich dort in der Illusion wiegen, das Schlimmste sei überstanden. Ebenso im Garden Distrikt, einem Oberschichtviertel weiter westlich, das ebenfalls dank seiner erhöhten Lage glimpflich davongekommen war.

Als städtischer Organismus jedoch ist New Orleans zwei Jahre nach Katrina noch immer ein Wrack. 455.000 Einwohner hatte es vor dem Hurrikan, 262.000 leben dort heute. 3000 Ärzte fehlen. Nur ein Teil der Schulen hat wieder geöffnet.

Die Katastrophe kam, als die ersten schon aufatmeten

Die schlimmsten Zerstörungen richteten nicht die Sturmwirbel an – obwohl sie mit bis zu 200 Stundenkilometern über die Stadt fegten. Die Katastrophe nahm ihren Lauf, als viele schon aufatmen wollten. Das System aus Pumpen und Deichen, das große Teile der Stadt zwischen dem Lake Pontchartrain im Norden und dem Mississippi im Süden trocken hält, hatte versagt. Mehrere Dämme brachen, und nun liefen die Viertel voll, die auf Meeresniveau oder sogar darunter liegen: 80 Prozent des Stadtgebiets.

Nahe den Bruchstellen hatte die Wucht des Wassers ganze Häuser weggerissen. Große Barken waren in Vorgärten gestrandet. Sportboote „parkten“ auf Garagendächern und in Bäumen. Tagelang stand eine stinkende, giftige Brühe aus Industrieabfällen, Öl und Fäkalien in den Häusern. Am schlimmsten erwischte es die Lower Ninth Ward, ein schwarzes Armenviertel östlich des Industriekanals. Dort gibt es heute kaum Leben. Am Haus der Blueslegende Fats Domino werben Plakate für Wiederaufbauhilfe. Rundum wurde vor allem abgerissen, wurden Ruinen weggeräumt. Ranken und Sträucher überwuchern die Trümmerreste. Reiher spazieren durch die Straßen. Die Natur erobert sich Gebiet zurück, das vielleicht nie hätte bebaut werden dürfen. In den Innenstadthotels werben Prospekte mit einer „Adventure Tour“ per Bus dorthin, für 40 Dollar pro Kopf.

In Lakeview, einem Bezirk der unteren Mittelklasse weiter nordwestlich, stehen die Häuser noch. Die Bauverwaltung hat sie als reparabel eingestuft. Das heißt: Einrichtung, Zwischenwände und Installationen müssen herausgerissen und erneuert werden. Nur etwa 15 Prozent sehen bereits wieder bewohnt aus. In einigen weiteren wird hörbar gewerkelt. Davor stehen „Fema-Trailer“, kleine provisorische Wohncontainer, die die Katastrophenschutzbehörde Fema bereitstellte. Aber in weiten Teilen wirkt Lakeview wie eine Geisterstadt. Nicht besser sieht es in St. Bernard aus, dem Handwerkerviertel gleich westlich der offiziellen Stadtgrenze.

Bilanz der Schande

Die enttäuschende Bilanz am zweiten Jahrestag gilt in den USA als Schande – wie schon 2005 erst die unzureichende Vorbeugung, als Katrina, der angekündigte „Jahrhundertsturm“, sich der Küste näherte, und danach die schleppende Katastrophenhilfe. Aber sie ist auch Folge von zwei strukturellen Defiziten. Vom Ausland aus gesehen mögen die USA ein starker Staat sein, vor allem wegen ihrer Militärmacht. Doch im Vergleich zu Europa haben sie eine Verwaltung, die weniger stark in das Leben der Bürger eingreift. Generell sehen Amerikaner darin einen Vorteil, der Staat trägt weniger, der Bürger mehr Verantwortung. In New Orleans zeigt sich die Kehrseite. Zweitens sind der Staat Louisiana und die Stadt New Orleans chronisch desorganisiert und korrupt. Bürgermeister Ray Nagin, ein Afroamerikaner und Demokrat, galt nur wenige Tage als „Held“, der Präsident Bush die Stirn bot und die Nation anflehte: „Schaut auf diese Stadt!“ Heute weiß man: Viel zu spät gab er den Evakuierungbefehl. Seine Wiederwahl 2006 verdankt er seiner Hautfarbe. Bürger, die nicht mehr in der Stadt leben, durften mitstimmen. Nagin ließ sie in Bussen herankarren und warb, New Orleans müsse eine „Chocolate city“ bleiben, man dürfe sie nicht einem Weißen überlassen. 58 Prozent der Bürger sind heute schwarz, 2000 waren es 67 Prozent.

Oliver Thomas, der Stadtratsvorsitzende, ist kürzlich wegen Bestechlichkeit zurückgetreten. Gegen den Kongressabgeordneten der Stadt, William Jefferson, läuft ein Verfahren: Das FBI hat 90.000 Dollar in seinem Kühlschrank gefunden. Nur kurz hielt auch die Hoffnung, dass Katrina die Mörder und Drogenhändler aus der Stadt vertrieben habe. In der Kriminalitätsstatistik hat New Orleans wieder einen Spitzenplatz. Mit 96 Morden pro 100.000 Einwohner liegt die Rate sogar höher als vor dem Hurrikan.

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