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Kurioser Sport. Beim Jugger geht's zu wie beim Rugby - nur mit Waffen. Und am Spielfeldrand begleiten Trommler den Kampf.

© Promo

Neuer Trendsport: Kampf um den Hundeschädel

Die endzeitliche Sportart Jugger ist nichts für Zartbesaitete – wird aber immer beliebter. Am Wochenende steigt die Meisterschaft.

Dumpfe Trommelschläge hallen über den Rasen. Zwei Teams laufen mit einem Affenzahn aufeinander zu. Sie tragen Trikots, manche Tücher um den Kopf, dazu Kampfgeräte – lanzenähnliche Stangen in verschiedenen Längen. Einer hat sogar einen Morgenstern an einer Kette, den er im Kreis über seinem Kopf schwingt.

Was aussieht wie eine dystopische Mischung aus Gladiatorenkampf und Rugby mit Waffen, ist ein Mannschaftssport: Beim Jugger dreht sich alles um Taktik, Ausdauer und Teamgeist. Zwei Teams versuchen, den sogenannten „Jugg“, einen hundeschädelähnlichen Spielball in ihren Besitz und durch das gegnerische Feld ins Ziel zu bringen. Dabei wird der Schädel in einer Vorrichtung, dem „Mal“ platziert, erst dann bekommt die Mannschaft einen Punkt. Außer den vier bewaffneten Juggern gehört auch ein Läufer zum Team, nur er darf den Jugg von der Mitte des Spielfeldes aufnehmen und ins Ziel bringen. Währenddessen versuchen die übrigen Teammitglieder, sich gegenseitig mit ihren Waffen zu treffen, um ihrem Läufer freie Bahn zu verschaffen.

„Es gibt verschiedene Waffen“, erklärt Philipp, langjähriger Mitspieler von Berlins erstem Team am Platz „Rigor Mortis“, „erstens spielen wir mit Pompfen, länglichen Spielgeräten von unterschiedlicher Größe. Ich beispielsweise verwende meist den Q-Tip, eine Waffe, die an beiden Enden gepolstert ist. Damit kann ich Gegner durch Berühren oder Stechen außer Gefecht setzen. Außerdem gibt es noch Kurzpompfen, Langpompfen, Stäbe und Ketten.“

Begleitet wird das gesamte Spiel von Trommelschlägen, die verschiedene Funktionen erfüllen. Einerseits zeigen sie die Spiellänge an: hundert Schläge dauert eine Halbzeit. Wird ein Spieler von einer Pompfe getroffen, kniet er sich hin und muss fünf Trommelschläge abwarten, bis er weiterspielen darf – bei einem Treffer durch die Kette sind es sogar acht.

Jugger gibt es seit Anfang der 90er. „Im Laufe der Zeit wurde das Spiel natürlich professionalisiert“, sagt Andreas, einer der Gründer des deutschen Jugger e.V., „und seit 2006 ist Jugger nun auch ein anerkannter Sport und wird gefördert.“ Es heißt, das martialisch anmutende Spiel sei dem Film „Die Jugger - Kampf der Besten“ entlehnt. Nomadische Mannschaften kämpfen gegeneinander, blutig, brutal und zuweilen tödlich. „So läuft das bei uns natürlich nicht ab“, sagt Philipp. Zum Beweis hält er eine Pompfe hoch und zeigt die Polsterung des in Heimarbeit hergestellten Spielgeräts. „Verletzungen kommen vor, aber auch nicht häufiger als in anderen Teamsportarten. Prellungen, Verstauchungen oder blaue Flecken gibt es ja überall.“

Trotzdem sieht es gefährlich und vor allem schmerzhaft aus, wenn ein Spieler mit Wucht am Rücken getroffen wird oder sich die Kette des Morgensterns um Hals und Oberkörper wickelt. Bisher gibt es in Deutschland nur eine Bezugsquelle für die benötigten Spielgeräte. Viele Spieler stellen ihre Utensilien daher mühsam in Heimarbeit her, Materialien wie Schaumstoff, Latex und Tape kommen zum Einsatz. So kann jeder seine Pompfe den eigenen Bedürfnissen anpassen.Ein Zeichen dafür, dass sich Jugger immer noch im Prozess des Werdens befindet und stark vom Engagement seiner Mitspieler auch außerhalb des Spielfeldes abhängt.

„Wir wollen weg von diesem Mittelalter-Image, mit dem man uns teilweise verbindet“, sagt Andreas, „wir sind immerhin ein ernst zu nehmender Sport! Wir trainieren hart, sind ambitioniert und wollen Sportlichkeit und Erfolge erreichen.“ Damit ist das Berliner Team Rigor Mortis – zu Deutsch: anhaltende Leichenstarre – teilweise noch allein in der Deutschen Jugger-Liga, die seit 2003 jährlich gespielt wird. In der Mentalität vieler Teams dominiere immer noch der reine Spaß, so Andreas. „Deswegen spaltet sich die Szene gerade in Hobbyspieler und ambitionierte Sportler, die Jugger etablieren und voranbringen wollen.“

Rigor Mortis hat sich in der Jugger-Szene bereits einen großen Namen gemacht – und damit nicht nur Freunde. Seit 2005 führt das Team um Andreas und Philipp die Tabelle der Deutschen Jugger Liga an, wird Deutscher Meister und Berliner Meister. In der Szene ist die Mannschaft für ihr Durchsetzungsvermögen und engagiertes Spiel bekannt, sie fährt Sieg um Sieg ein und spielt fair, aber auch ohne Rücksicht auf Schwächen des Gegners. „Das schmeckt den vielen Spaß-Mannschaften gar nicht“, sagt Philipp und dreht den Hundeschädel aus Kunststoff in seinen Händen, „die finden es eben besser, wenn das Spiel vorbei ist und endlich gegrillt werden kann.“

Für ihre spielerische Stärke trainieren Rigor Mortis hart und oft. Mittwoch und Sonntag trifft sich das Team im TiB-Sportzentrum am Columbiadamm – draußen und bei jedem Wetter. Im Takt der Trommelschläge geht es dort mit Kraft- und Ausdauertraining zur Sache, Sit-ups, Strecksprünge, Liegestütz bis die Muskeln brennen. Danach noch einige Testspiele und spielbezogene Übungen. Um den Nachwuchs für ihre Mannschaft kümmern sich Rigor Mortis auch. „Es gibt inzwischen Spielangebote für Kinder und Jugendliche und seit kurzem auch Jugger als Hochschulsport an der Humboldt-Universität“, erzählt Philipp. Eingeladen ist jeder, der Spaß an Sport, Taktik und Teamgeist hat, aber wichtig ist den Rigors vor allem auch, dass neue Mitspieler charakterlich gut ins Team passen.

„Die Jungs aus meinem Team sind wie meine zweite Familie“, sagt Philipp stolz, „wir machen oft Spieleabende, können über alles reden und halten immer zusammen.“ Jugger als sozialer Freizeitsport mit Ambition also. Aber auch zum Aggressionsabbau könnte er dienen. Der angehende Lehrer Philipp erzählt von seiner Vision, den Sport um Pompfe und Q-Tip auch an Problemschulen anzubieten und so den sozialen Umgang der Kinder miteinander zu stärken, Fehlverhalten vorzubeugen und die Schüler besser auszulasten. „Jugger ist einfach so viel mehr als nur ein weiterer Freizeitsport“, sagt Philipp. Er wünscht sich, dass das Potenzial besser von mehr Stellen erkannt und gefördert wird.

Weit gefasste Zukunftspläne sind das, doch zuerst steht die 15. Deutsche Meisterschaft im Jugger auf dem Programm, auf die sich alle verfügbaren Kräfte konzentrieren. An diesem Wochenende finden sich Jugger-Teams aus der gesamten Bundesrepublik sowie einige ausländische Teams auf dem Tempelhofer Feld zusammen, um sich miteinander zu messen. Beginn ist Samstag 10 Uhr, enden wird das Turnier voraussichtlich am Sonntag gegen 16 Uhr, Verlängerungen sind möglich.

Rigor Mortis sind mit drei Unterteams dabei. Die Spieler erwarten zahlreiche Anhänger, die mit selbst gemachten Fahnen, T-Shirts und Fangesängen ihre Mannschaft anfeuern. „Wir haben so viele Fans, die seit der ersten Stunde unseres Teams dabei sind. Sie fahren zu fast allen Auswärtsturnieren, organisieren Treffen und Merchandising“, sagt Philipp und zeigt einen Pullover mit dem Logo der Mannschaft. Eine rote Kralle auf schwarzem Grund, der Mannschaftsname als Schriftzug auf dem Ärmel.

Die Stufe zur Trendsportart scheint Jugger übersprungen zu haben, denn dafür sind Thematik und Spielaufbau zu speziell. Allerdings setzt die Szene alles daran, ihren Sport bekannt und beliebt zu machen und trifft dabei auf offene Ohren und Interesse. Schon allein während des Trainings im TiB-Sportzentrum am Columbiadamm bleiben Menschen stehen, sehen zu und stellen Fragen zum Sport und zu Aufnahmemöglichkeiten ins Team.

Philipp steht auf, die Pause ist vorbei und das Training geht weiter. „Zur Deutschen Meisterschaft wird sich mal wieder zeigen, wessen Training sich ausgezahlt hat“, sagt er und grinst. Rigor Mortis seien vorbereitet, versichert er.

Constanze Bilogan

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