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Einzelkinder waren lange die Norm im Land, wurden von Verwandten verhätschelt, künftig sind drei Kinder erlaubt.

© Reuters

Neue Familienpolitik in China: Ist es schon zu spät für drei Kinder?

Die Kommunistische Partei erlaubt Chinesen künftig drei Kinder. Das soll dem Geburtenrückgang und der Überalterung entgegenwirken – doch es könnte zu spät sein.

Viele Jahre lang hatte sich Familie Wang aus Peking sehnlichst ein zweites Kind gewünscht. „Doch dann würden wir unsere Jobs verlieren“, sagte Frau Wang, denn sie arbeitet für eine staatlich kontrollierten Zeitung und ihr Mann für ein staatsnahes Institut. Als dann am 1. Januar 2016 Chinas Ein-Kind-Politik offiziell in eine Zwei-Kind-Politik geändert wurde, fand sich Frau Wang als eine der ersten Zweitgebärenden in der Geburtsstation eines Pekinger Krankenhauses ein. Doch sie ist eine Ausnahme geblieben mit ihrem Wunsch nach einem zweiten Kind, nach einem kurzen Anstieg ist die Geburtenzahl in China in den vergangenen Jahren weiter gefallen. Die offizielle Geburtenrate liegt aktuell bei nur 1,3 Kindern pro Frau. Das soll sich ändern.

China lockert seine einst so rigide Familienpolitik weiter und erlaubt Paaren in Zukunft drei Kinder zu haben. Das hat das Politbüro der Kommunistischen Partei am Montag beschlossen. Das wichtigste Gremium der alleinherrschenden Partei reagiert damit auf die Überalterung im Land. Im bevölkerungsreichsten Land der Welt droht ein Mangel an Arbeitskräften und eine Überlastung des chinesischen Rentensystems.

Auch weil Chinesen schon mit 55 Jahren bei Frauen beziehungsweise 60 Jahren bei den Männern in Rente gehen können. Immer weniger Arbeiter müssen immer mehr Rentner und Rentnerinnen versorgen, das könnte die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt in der Zukunft vor enorme wirtschaftliche Probleme stellen.

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Daher will das Politbüro Familien mit unterstützenden Maßnahmen zum Kinderkriegen ermuntern. „Es ist notwendig, den Erziehungsurlaub, den Mutterschutz, die Vorteile bei Steuer, Wohnraum und durch andere Unterstützung zu verbessern und die legitimen Rechte und Interessen der berufstätigen Frauen zu schützen“, heißt es in seinem Beschluss. Was das genau bedeutet, ist noch unklar. Ohnehin zweifeln Experten daran, dass die Politikänderung noch etwas an der niedrigen Geburtenzahl bewirken kann. Denn wenn ein Paar keine zwei Kinder bekommen will, warum sollte es drei Kinder bekommen wollen?

Die gestiegenen Lebenshaltungskosten sind ein Grund für die Zurückhaltung bei der Familienplanung

„Die Lockerung könnte nicht so wirksam sein, wie sich das die Behörden erhoffen“, sagte auch der Demografie-Experte He Yafu dem „Guardian“. „Es ist zu teuer in diesen Tagen ein Kind groß zu ziehen, und das Wohnen ist in China auch nicht billig.“ Ähnlich äußerten sich Internetnutzer auf der chinesischen Mikrobloggingseite Weibo. „Ich bin selber ein Produkt der Ein-Kind-Politik. Ich muss mich bereits um meine Eltern kümmern. Wo soll ich die Energie hernehmen, um mehr als zwei Kinder aufzuziehen?“, schreibt ein Nutzer. Ein anderer wird vom „Guardian“ mit den Worten zitiert: „Ich bin bereit drei Kinder zu haben, wenn man mir fünf Millionen Yuan gibt“. Das sind umgerechnet etwa 650 000 Euro.

Die stark gestiegenen Lebenshaltungskosten und die sozialen Veränderungen in China sind ein wichtiger Grund für die Zurückhaltung der Chinesen bei der Familienplanung. Das Land gleicht sich damit seinen ostasiatischen Nachbarn Japan, Südkorea und Taiwan an, die schon länger unter einer stark alternden Bevölkerung leiden. Hinzu kommt jedoch die jahrzehntelange Gewöhnung der chinesischen Gesellschaft an das Familienideal von nur einem Kind.

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Der Paradigmenwechsel, der gerade stattfindet, ist auch zu krass: Um das Bevölkerungswachstum einzudämmen und die Armut zu beenden, hatten die chinesischen Behörden über Jahrzehnte die Ein-Kind- Politik mit zum Teil wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Sanktionen umgesetzt, zum Teil aber auch mit brutalen Maßnahmen wie Zwangsabtreibungen und Zwangssterilisation. Die sozialen Folgen waren drastisch, die Einzelkinder wurden von Eltern und Großeltern verhätschelt (Kleiner-Kaiser-Syndrom), die Mädchen wurden oftmals abgetrieben, weil Jungen sozial erwünschter waren. Die Folge ist aktuell ein deutlicher Männerüberschuss im Land. Nun aber sind viele Kinder von der Partei erwünscht, also genau das Gegenteil wie zuvor.

Zwar weist die jüngste Volkszählung eine Gesamtbevölkerung von 1,41 Milliarden Menschen und einem jährlichen Wachstum seit 2010 von immerhin 0,53 Prozent aus. Doch es gibt Zweifel daran. Im Vorfeld der Veröffentlichung der Volkszählung hatten Experten erstmals einen Bevölkerungsrückgang für möglich gehalten. Auch weil das Ministerium für öffentliche Sicherheit für 2020 eine Geburtenzahl von 10,04 Millionen gemeldet hatte. Doch dann lag das Statistikbüro mit zwölf Millionen Geburten deutlich darüber. Die Politbüro-Entscheidung könnte daher auf eine in Wirklichkeit noch dramatischere demografische Lage hinweisen. Der Demograf Yi Fuxian sagte der „South China Morning Post“: „Vielleicht sind die wirklichen Bevölkerungsdaten einfach zu angsteinflößend.“

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