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Tödlicher Stoff. Heroin ist nach wie vor einer der schlimmsten Killer. In den USA starben 2015 fast 13.000 Amerikaner an einer Überdosis.

© Drew Angerer/AFP/ Getty Images

Neue Droge in den USA: 10.000 Mal stärker als Morphium

Das synthetische Opioid Carfentanyl verbreitet sich rasant in der amerikanischen Drogenszene. Als Heroin-Beimischung tötet das Rauschmittel immer mehr Menschen – die Behörden sind alarmiert.

Mit einer SMS besiegelte Kristina Lutz ihr Schicksal. „Ich brauche dringend Stoff“, schrieb die 21-Jährige im vergangenen Sommer an einen Drogendealer in Fairfax bei Washington. Wenige Stunden später spritzte sie sich unwissentlich einen Mix aus Heroin und dem Medikament Carfentanyl in den Arm – ihre Eltern fanden sie kurz darauf tot im Bad ihres Hauses.

Das synthetische Opioid Carfentanyl ist 10.000 Mal stärker als Morphium und wird in der Tiermedizin zur Betäubung von Elefanten eingesetzt. In der amerikanischen Drogenszene taucht Carfentanyl immer häufiger als Heroin-Beimischung auf – was wie bei Lutz zur tödlichen Überdosis führen kann. „Noch nie haben wir so viele Tote gesehen“, zitierte die „Washington Post“ einen Fahnder im Bundesstaat Ohio.

Ein paar Krümel sind tödlich

Carfentanyl konfrontiert die Behörden mit einer schwierigen und für Polizeibeamte und Ärzte gefährlichen Herausforderung. Schon ein paar Krümel können einen Menschen töten, doch der Stoff ist nur schwer nachweisbar. Außerdem kann schon eine kleine Menge von Carfentanyl in der Luft – die zum Beispiel einer Plastiktüte entweicht – einen Spürhund umbringen. Laut „Washington Post“ haben einige Dienststellen im Land wegen des Risikos, auf Carfentanyl zu stoßen, ihre Heroin-Tests an Ort und Stelle eingestellt. Sie überlassen die gefährliche Arbeit den Experten in den Labors.

Schon im vergangenen Herbst warnte die US-Rauschgiftbehörde DEA vor dem Stoff, der „wahnwitzig gefährlich“ sei und immer häufiger auf den Straßen des Landes verkauft werde. Die Dimension der Gefahr ist immens: Carfentanyl ist nach DEA-Angaben 100 Mal stärker als das Opioid Fentanyl, das voriges Jahr den Rockstar Prince tötete. Dabei ist Fentanyl schon 50 Mal stärker als Heroin.

Für die Dealer ist das oft aus China importierte Carfentanyl ein Mittel zur Gewinnmaximierung. Je mehr Carfentanyl verwendet wird, desto weniger Heroin braucht der Rauschgifthändler. Die Gefahr für die Süchtigen, die oft nicht wissen, was sie sich da spritzen, spielt bei dieser Überlegung keine Rolle.

Mehr Tote durch Drogen als durch Waffen

Auch ohne Carfentanyl bleibt Heroin einer der größten Killer. Von einer Heroinschwemme ist in den Medien die Rede. 2015 starben fast 13 000 Amerikaner an einer Überdosis – nach einem 20-prozentigen Anstieg der Todesfälle innerhalb eines Jahres tötete der Stoff damit erstmals mehr Menschen als Schusswaffen.

So deprimierend diese Zahlen sind: Sie erzählen nicht die ganze Geschichte der „Opioiden-Epidemie“ in Amerika, wie die Welle von Todesfällen genannt wird. Synthetische Opioide wie Fentanyl oder Carfentanyl töteten knapp 10.000 weitere Menschen in den USA. Hier hat sich die Zahl der Todesopfer innerhalb weniger Jahre verdreifacht. In manchen Gegenden sterben Drogenabhängige so schnell, dass die Behörden keinen Platz für die Leichen haben.

Die „Opioiden-Epidemie“ reicht noch weiter. Seit 1999 sind in den USA rund 165.000 Menschen durch semi-synthetische Opioide wie die Schmerzmittel Hydrocone und Oxycodone ums Leben gekommen. Allein 2015 waren es laut Behördenangaben mehr als 13 000 Tote. Die Dunkelziffer könnte noch wesentlich höher liegen, weil der Medikamentenmissbrauch laut einem Bericht des Fernsehsenders CBS nicht bei allen Fällen als Todesursache aufgeführt wird.

240 Millionen Rezepte für Opioide

Der Zugang zu den Medikamenten ist relativ unkompliziert. Laut dem US-Gesundheitsministerium schrieben Ärzte allein 2014 mehr als 240 Millionen Rezepte für Opioid-Präparate – genug, um jeden erwachsenen Amerikaner mit einem eigenen Fläschchen Pillen zu versorgen. Die Medikamente können abhängig machen, weshalb die Behörden versuchen, die Ausgabe der Opioiden einzudämmen.

Doch das ist auch keine Lösung. Süchtige, die von ihren Ärzte keine Medikamente mehr erhalten, drängen auf den illegalen Rauschgiftmarkt und treiben dort die Zahl der Todesopfer nach oben. Die relativ niedrigen Preise für Heroin auf dem Schwarzmarkt verstärken den Trend. Im Bundesstaat Maine etwa kostet eine Dosis des Opioid-Schmerzmittels Oxycontin rund 50 Dollar, während ein Schuss Heroin für zehn Dollar zu haben ist. In manchen Brennpunkten wachse eine ganze Generation von Waisenkindern auf, deren Eltern von Opioiden umgebracht wurden, berichtete CNN kürzlich.

Angesichts der Dimensionen der „Opioiden-Epidemie“ wirkt die Polizei nicht immer souverän. Ein Sheriff in Florida veröffentlichte kürzlich ein martialisch anmutendes Video, in dem er umringt von maskierten und bewaffneten Drogenfahndern an einem Pult steht und an die Dealer gerichtet sagt: „Wir sind hinter euch her.“ Der Auftritt des Sheriffs wirke wie ein Propagandavideo des IS, schrieb ein Twitter-Nutzer. „Vielleicht sollte man noch ein oder zwei Leute enthaupten.“ Ein Hilfsangebot für Süchtige fehlte im Video des Sheriffs.

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