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Untergehende Pracht. Historische Regatta auf dem Canal Grande, im Hintergrund die Rialto-Brücke. Foto: Fabrizio Bensch/Reuters

© REUTERS

Neue Berechnungen: Venedig wird doch versinken

Zwar kämpfen die Venezianer jedes Jahr mit Hochwasser, doch die Stadt schien gerettet. Jetzt haben Forscher festgestellt, dass der Meeresboden unter Venedig absinkt. Bislang tauchte das in keiner Berechnung auf.

In malerischer Kulisse vor einem Restaurant sitzen, während der Wasserspiegel beim Essen langsam bis zum Knie steigt, das sind unvergessliche Momente. Was der Besucher liebt, ist für die Bewohner eine Bedrohung. Vier bis fünf Hochwasser im Jahr, das ist Alltag in Venedig. Aufgrund der globalen Erwärmung steigt der Meeresspiegel immer weiter, die Venezianer müssen sich auf immer stärkere Überschwemmungen einstellen. Die Lagunenstadt rüstet sich gerade mit gigantischen Schutzwällen – doch neueste Forschungsergebnisse zeigen, dass auch diese nicht ausreichen könnten. Denn anders als bisher angenommen sinkt Venedig auch von sich aus weiter ab. Dieses Abrutschen hielt man eigentlich für beendet, seit die Stadt Ende des 20. Jahrhunderts damit aufgehört hatte, das Grundwasser abzupumpen. Nun allerdings hat eine Forschergruppe aus den USA und Italien in Langzeitmessungen herausgefunden, dass der Boden unter Venedig offenbar noch immer nicht zur Ruhe gekommen ist. Langsam, aber doch messbar, sinkt Venedig um etwa zwei Millimeter im Jahr und kippt dabei leicht nach Osten.

Diese überraschenden Ergebnisse kommen dadurch zustande, dass die Geowissenschaftler um Yehuda Bock von der Universität von Kalifornien in San Diego verschiedene Daten kombiniert haben. Sie führten nicht wie in früheren Untersuchungen nur Messungen mit Radarsatelliten durch, sondern verwendeten zusätzlich GPS-Daten und beobachteten die Bewegungen über einen Zeitraum von zehn Jahren. Durch die Kombination beider Methoden seien Bewegungen registriert worden, die keine der einzelnen Messelemente allein hätte nachweisen können, schreiben die Forscher. Die Messungen dürften den Venezianern neue Sorgen bereiten. Innerhalb des Messzeitraums von 2000 bis 2010 senkte sich die nördliche Lagune um zwei bis drei Millimeter pro Jahr, während die südliche Lagune um drei bis vier Millimeter absank, schreiben die Geowissenschaftler. Für die Stadt Venedig bedeutet das eine Senkung von rund ein bis zwei Millimeter jährlich, mit einem leichten Kippen nach Osten. „Das ist zwar nur ein kleiner Effekt, aber er ist wichtig“, sagt Yehuda Bock. Frühere Messungen wiesen darauf hin, dass sich der Meeresboden stabilisiert hatte. Allein in den Jahren 1950 bis 1970 hatte sich der Untergrund aufgrund der Grundwasserentnahme um zwölf Zentimeter gesenkt. Nachdem der Zusammenhang festgestellt worden war, stellten die venezianischen Behörden Ende des 20. Jahrhunderts das Abpumpen ein, das Problem schien damit gelöst. Jedoch hat sich der Boden offenbar noch immer nicht vollständig gesetzt. Denn dass sich der Boden erst gesetzt habe, um dann erneut abzusinken, erscheint den Wissenschaftlern äußerst unwahrscheinlich. Wahrscheinlicher sei, dass frühere Messungen nicht genau genug waren.

Höchstens 0,6 Millimeter seien jährlich auf die Bewegung der tektonischen Platten in der Region zurückzuführen, schreiben Bock und seine Kollegen im Fachmagazin „Geochemistry, Geophysics, Geosystems“. Die Adriatische Erdplatte, auf der Venedig liegt, wird unter die Apenninhalbinsel und das Gebirge gedrückt, wodurch der Untergrund leicht absinkt. Gepaart mit dem steigenden Meeresspiegel, der ebenfalls etwa zwei Millimeter jährlich ausmacht, rechnen die Forscher damit, dass der Wasserpegel in der Lagune rund um den Stadtkern in den nächsten 20 Jahren um etwa acht Zentimeter steigen wird.

Diese Ergebnisse könnten Auswirkungen auf die Bemühungen der Behörden haben, Venedig nachhaltig vor Hochwasser zu schützen. Spätestens im kommenden Jahr sollen die drei Tore an der Adria fertiggestellt sein, die im Falle einer starken Flut geschlossen werden können. Das Projekt „Modulo Sperimentale Elettromeccanico“ wird in biblischer Anspielung passenderweise mit „Mose“ abgekürzt. Fünf Meter dick, 20 Meter breit und bis zu 30 Meter hoch sollen die gigantischen Flutwälle sein. In Betonfundamenten im Boden verankert werden sie bei normalem Wasserstand unter der Wasseroberfläche verborgen bleiben und sobald der Meeresspiegel auf einen Meter über Normal steigt computergesteuert nach oben fahren. 4,3 Milliarden Euro kostet dieses umstrittene Projekt, das Venedig im Ernstfall vom Meer abriegeln soll.

Zusätzlich zu den Bedenken der Umweltschützer werfen Yehuda Bock und seine Forscherkollegen nun erneut auch die Frage auf, ob diese Wälle ausreichen. Das Absinken des Meeresbodens muss ihrer Meinung nach in die Berechnungen miteinbezogen werden, da auch der Untergrund unter den entstehenden Toren sinke. Damit sind sie nicht allein: Die Unesco rechnet ohnehin damit, dass dieses Milliardenprojekt die vollständige Überflutung Venedigs nur einige Jahrzehnte hinauszögert.

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