zum Hauptinhalt
In der Nähe dieses Spielplatzes wurde die Frau vergewaltigt.

© dpa

Update

Nach Vergewaltigung in Mülheim: Mit 12 Jahren ins Gefängnis?

Nach der Vergewaltigung einer Frau durch Kinder und Jugendliche fordert die Polizeigewerkschaft Konsequenzen. Andere Experten lehnen dies ab.

Die mutmaßliche Gruppenvergewaltigung einer 18 Jahre alten Frau durch fünf Kinder und Jugendliche in Mülheim/Ruhr hat eine neue Debatte über die Altersgrenze für die Strafmündigkeit entfacht. Gegen den Hauptverdächtigen, den 14-jährigen Georgi S., ist Haftbefehl wegen Wiederholungsgefahr erlassen worden, da er bereits früher durch Fälle von sexueller Belästigung aufgefallen sein soll. Zwei weitere 14 Jahre alten Jungen sind auf freiem Fuß, gegen sie wird ermittelt. Zwei 12-Jährige, die an der Tat ebenfalls beteiligt gewesen sein sollen, sind strafunmündig. Gegen sie werden die Ermittlungen gleich eingestellt, da sie ohnehin nicht vor Gericht gestellt werden können. Nach deutschem Strafrecht können Kinder unter 14 Jahren nicht bestraft werden.

Der Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, forderte deshalb, die Strafmündigkeit in Deutschland auf ein Alter von zwölf Jahren herabzusetzen. Für Wendt geht es dabei aber nicht vorrangig um Bestrafung. „Ein Vorteil wäre, dass die Jugendämter mit den 12- und 13-Jährigen nicht mehr alleingelassen werden und den Kindern über die Jugendgerichtshilfe frühzeitig geholfen werden kann“, sagte Wendt.

Der Deutsche Richterbund hat sich gegen eine Absenkung des Alters für Strafmündigkeit bei Kindern ausgesprochen. Bei den Jugendlichen gehe die Gleichung „Mehr Strafrecht gleich weniger Kriminalität“ nicht auf, erklärte der Vorsitzende des Richterbundes Jens Gnisa. Das Jugendstrafrecht habe sich im Grundsatz bewährt. „Es hat durch den darin niedergelegten Erziehungsauftrag zu einem deutlichen Rückgang der Jugendkriminalität geführt“, erklärte Gnisa. Man sehe daher auch keine Notwendigkeit, das Alter für Strafmündigkeit von 14 auf 12 Jahre herabzusetzen. Der Staat habe heute schon über die Jugendämter und die Familiengerichte die Möglichkeit einzuschreiten.

Jugendbehörden zu schwach aufgestellt

Auch der Deutsche Kinderschutzbund sprach sich gegen ein niedrigeres Alter für die Strafmündigkeit aus. Vielmehr sei das Jugendamt gefordert zu reagieren und sich die Ursachen für das Verhalten eines Kindes im Einzelfall anzuschauen, sagte die stellvertretende Geschäftsführerin Martina Huxoll-von Ahn.

Für Wendt liegt genau da das Problem. Die Jugendbehörden seien einfach zu schwach aufgestellt. Zwar gehörten Kinder und Jugendliche auch mit 15 Jahren nicht ins Gefängnis, aber wenn sie sich in einem Gerichtsverfahren vor einem Richter verantworten müssten, würde das auf junge Täter mehr Eindruck machen, als wenn sich das Jugendamt einschalte und einen Mitarbeiter vorbeischicke.

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) sieht keine Notwendigkeit, dass Alter herabzusetzen. Die Zahl der tatverdächtigen Kinder unter 14 Jahren sei nach den Statistiken des Bundeskriminalamtes seit 2004 zurückgegangen. Vielmehr müssten die Behörden mehr Personal bekommen und besser zusammenarbeiten, um auf solche Fälle frühzeitig reagieren zu können.

Die Debatte um Strafmündigkeit flammt alle Jahre wieder auf. Immer wenn etwa Intensivtäter, nicht selten aus Familien mit Migrationshintergrund, auffällig werden, die im Alter von 13 Jahren genau wissen, welche Rechte sie haben – und dass sie nichts befürchten müssen. Ermittler machen in solchen Fällen auch die Erfahrung, dass auch die Jugendämter wenig ausrichten können, zumal wenn die Eltern die Hilfe nicht annehmen und selbst die Einweisung in ein Heim nichts bringt. Diese jungen Täter seien sehr wohl in der Lage, schon früh ihre Lage und ihre Taten zu beurteilen.

Die Nazis hatten die Strafmündigkeit auf 12 Jahre gesenkt

Genau in diesen Einzelfällen ist es nach Ansicht von Ermittlern durchaus angebracht, das Alter für die Strafmündigkeit herabzusetzen. Doch die Gesetzesnorm lässt keine Ausnahmen zu, diese wären durch die ungleiche Behandlung auch rechtlich problematisch. Zugleich hält die soziale Reife meist eben nicht mit einer früher einsetzenden Pubertät Schritt.

Bislang heißt es im Strafgesetzbuch, Paragraph 19: „Schuldunfähig ist, wer bei Begehung der Tat noch nicht vierzehn Jahre alt ist.“ Es ist ein Erbe der Weimarer Republik und der Humanisierung des Strafrechts. Mit dem Jugendgerichtsgesetz aus dem Jahr 1923 ist erstmals ein Sonderstrafrecht für Jugendliche geschaffen. Schon damals galt, was auch in der Bundesrepublik weiter Recht ist: Auch bei Jugendlichen zwischen 14 und 17 Jahren muss vor einer Bestrafung auch die Schuldfähigkeit festgestellt werden, dazu zählen die sittliche und die geistige Reife, den Grund von Verboten zu erkennen, Gut von Schlecht zu unterscheiden. Heute ist dies noch differenzierter, auch das Unrechtsbewusstsein und die Fähigkeit, nach den eigenen, nicht kindlichen Einsichten zu handeln. Zudem gilt: Erziehungsmaßregeln vor Freiheitsstrafe.

Im Nationalsozialismus wurde das Jugendstrafrecht wieder verschärft, die Nazis führten den Jugendarrest ein, schafften die Bewährung ab, ließen in schweren Fällen auch die Strafmündigkeit ab 12 Jahren und das Erwachsenenstrafrecht für Jugendliche unter 18 Jahren zu – für „charakterlich abartige Schwerverbrecher“.

Im Fall von Mülheim hatte das Jugendamt schon mit den  Familien zu tun und versuchte es auch jetzt bei den Eltern der beiden 12-Jährigen. Doch sie haben die Hilfsangebote nicht angenommen, wie die Stadt am Dienstag mitteilte. „Es obliegt der Verantwortung der Eltern, das anzunehmen“, sagte ein Sprecher.

Am Sonntag kam es zu einem weiteren sexuellen Übergriff

Die Tatverdächtigen stammen aus bulgarischen Familien. Eine Gefährdung des Kindeswohls liege in den Familien der Zwölfjährigen offenbar nicht vor, hieß es. Dies habe die Polizei geprüft, als sie die beiden nach der Tat zu ihren Familien gebracht habe. Eine Inobhutnahme der Kinder sei möglich, wenn die Eltern mit der Situation überfordert sind. Die Gruppe soll die – laut „Bild“ leicht geistig behinderte – 18-Jährige in ein Waldstück gelockt und dort vergewaltigt haben. Die Polizei und die Stadt Mülheim/Ruhr berieten ihr weiteres Vorgehen.

Wie erst am Dienstagabend bekannt wurde, ist es dann am Sonntag zu einem weiteren sexuellen Übergriff eines Kindes und mehrere Jugendlicher gegen ein Mädchen gekommen. Eine 15-Jährige soll am Sonntagabend an einer Bushaltestelle von fünf Tatverdächtigen umkreist und von zwei Jungen intim angefasst worden sein, bestätigte die Staatsanwaltschaft Duisburg  einen Bild-Bericht.

Ermittelt werde nicht wie im Fall vom Freitagabend wegen Vergewaltigung, sondern wegen sexueller Belästigung – aber nur gegen vier Verdächtige. Denn einer der fünf Tatverdächtigen sei erst elf Jahre und strafunmündig, die übrigen 15 bis 17 Jahre alt. Sie sind, wie aus Ermittlerkreisen bestätigt wurde, syrischer und libanesischer Herkunft. (mit dpa)

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false